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6.

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Als die Tür ins Schloss gefallen war, hatte Ryan eine Welt hinter sich gelassen. Es war wie ein Reflex, wie ein Zwang, der ihn die nächste Zeit nicht mehr loslassen würde. Während er das Wohnhaus verließ, wanderte sein Blick automatisch alle Gefahrenstellen ab, links, rechts, oben… nichts. Er musterte den Chauffeur, der vor einer schwarzen Limousine auf ihn wartete, erkannte sofort, dass er eine Waffe bei sich trug und Kampferfahrung hatte. Die Beule in der Innentasche seines Jacketts und seine Körperhaltung verrieten es ihm. Er übergab ihm seinen kleinen Koffer und ließ sich in den ledernen Rücksitz gleiten.

Auf dem Weg zum Flughafen hatte er genug Zeit, die Informationen durchzugehen, die ihm Leon auf sein Handy geschickt hatte. Die Gesichtserkennung ergab, dass der Mann mit Glatze nur sehr selten auftauchte. Zweimal als Besucher auf Hightech Messen und einmal in Mumbai. Warum er in Indien gewesen war, wusste man nicht. Wenn man seinem Pass traute, hieß er Michael Krüger und hatte eine Zeit lang bei SAP gearbeitet. Obwohl es für all das mehrere Belege gab, war sich Ryan sicher, dass etwas daran nicht stimmen konnte. Ein gewöhnlicher Mitarbeiter bei SAP kündigt, verschwindet und taucht am Schauplatz eines Amoklaufs wieder auf? Welche Rolle spielte er für das Unternehmen? Die E-Mail verriet es ihm nicht. Er würde es selbst herausfinden müssen.

Als Nächstes sah er sich die verfügbaren Bilder der Überwachungskameras an. Nicht gerade angenehm auf einem winzigen I-Phone Bildschirm, aber er konnte zumindest das Gröbste darauf erkennen. Matthew hatte sich sehr unauffällig verhalten. Er war in das Café gekommen, hatte den Besitzer gegrüßt und sich an einen Tisch gesetzt. An der Körpersprache erkannte Ryan, dass er öfter Gast des ‚Lamacun‘ gewesen sein musste. Der Besitzer brachte ihm sofort was er haben wollte, ohne eine Bestellung aufzunehmen. Es passierte eine Weile nichts Ungewöhnliches. Er saß da und beobachtete die Leute. Ryan hätte es wohl genauso gemacht. Dann kam dieser Mann herein. Was war das für eine Lichtquelle, die er dort in den Händen hielt und die im Wechsel zwischen schwarz und weiß hin und her blitzte? Egal was es war, es musste eine Art ‚Auslöser‘ für Matthew gewesen sein, denn keine zwei Sekunden später begann das gnadenlose Morden.

Ryan pausierte das Video, kurz nachdem das Mädchen der jungen Familie am Nebentisch gestorben war. Er seufzte und rieb sich die Augen. Mehr und mehr drängte sich ihm eine Frage auf, die ihn seit Grinders Schilderungen nicht mehr losgelassen hatte. Was war das für eine Technologie, die Matthew zu einer solchen Tat veranlasst hatte und vor allem: Was hätte sie mit Ryan veranstaltet? Genau wie Matthew, war er unzählige Male in Cafés gesessen und hatte Leute beobachtet und beide waren sie als Waisen aufgewachsen. Was zur Hölle war das für ein Ding? Oder war es nur die Assistentin, ein Ablenkungsmanöver, um den eigentlichen Auslöser zu verstecken? So oder so gab es dort draußen etwas, das Menschen dazu bringen konnte, andere Menschen abzuschlachten, als seien es Stubenküken. Oder vielleicht auch nicht? Was wenn Matthew nicht der war, für den Ryan ihn hielt? Wenn er doch aus freien Stücken gehandelt hatte?

Ryan beendete das Video. Es war noch zu früh, um zu spekulieren. Stattdessen machte er mit den Fotos vom Tatort weiter. Nach einem Plan oder kühlem Vorgehen sah das nicht aus, was er vor sich hatte, trug eher die Handschrift roher, ungeplanter Gewalt. Ihm fiel auch auf, wie schnell die Spurensicherung vor Ort gewesen sein musste, denn die Opfer konnten nicht viel länger als eine halbe Stunde tot gewesen sein, man erkannte das an der Farbe ihrer Haut. Er wollte sich eigentlich Bilder des toten Matthew ansehen, doch fand er keine. In einem Bericht war nur vermerkt, dass er durch einen Kopfschuss getötet worden war. In einem anderen hieß es: „...von den örtlichen Behörden im Café ‚Lamacun‘ gestoppt.“ Mehr stand da nicht. Ein Fehler? Gerade als er noch einmal sorgfältiger nachlesen wollte, um sicher zu gehen, dass er nichts übersehen hatte, wurde sein Bildschirm plötzlich schwarz. Das Display zeigte den Namen ‚Grinder‘ an, dazu einen grünen, sowie einen roten Telefonhörer. Er nahm den Anruf entgegen.

„Hallo Ryan, bist du schon am Flughafen?“

„Bin gerade unterwegs.“

„Gut, ich hab nicht viel Zeit, hör zu: Leon ist schon da. Ihr werdet am Gate euren Kontaktmann für Amsterdam kennen lernen. Er heißt Ottmar Verhoeven und ist der Leiter der zuständigen Abteilung des AIVD vor Ort. Von ihm bekommt ihr alles Weitere. Falls ihr noch was braucht, ruft mich unter der Nummer an, die ihr gleich auf’s Handy bekommt!“

„Verstanden.“

Mit einem „Guten Flug“ verabschiedete sich Grinder aus der Leitung.

Ryan blickte aus dem Fenster und ließ sich von der vorbeifliegenden grauen Leitplanke der Autobahn hypnotisieren. Die Informationen hatten bei ihm bisher mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet und er bekam das Bild des kleinen toten Mädchens im ‚Lamacun‘ nicht mehr aus dem Kopf. Die Farbe ihrer Augen, ein kräftiges hellblau, das zur Iris hin grünlicher wurde, erinnerte ihn an ein Mädchen, das er einmal in Afghanistan getroffen hatte. Beide waren nicht mehr am Leben und bei beiden hatte er nichts gegen ihren Tod unternehmen können.

So saß er da, fixierte die graue Leitplanke, die sich mal hob, mal senkte und versuchte sich einen Reim auf den Vorfall in London zu machen, bis sich von vorne der Chauffeur zu Wort meldete.

„Fünf Minuten, dann sind wir da.“

„Danke!“, sagte Ryan. Er musste unbedingt mit Leon sprechen.

Augenreisser

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