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1.

Ryan kam zu spät. Grinder musste wegen ihm einen Termin vorziehen, jetzt hatte er zu warten, bis dieser vorbei war, also machte er es sich in dem kleinen Pausenraum der Analystenabteilung bequem. Obwohl er seit zwei Jahren dort arbeitete, nutzte er dieses Zimmer nur sehr selten. Meistens hatte er viel zu tun. Zwar war er kein studierter Experte auf dem Gebiet, doch zeigte sich gleich zu Beginn, dass er Talent besaß, zudem noch mehr Felderfahrung als die ganze Abteilung zusammen.

Sie waren an diesem Standort ein fünfköpfiges Team. Nicht gerade viel, aber man konnte damit arbeiten. Ryans Position wurde anfangs offen gelassen, er hatte sich dann aber sehr schnell in einer Führungsposition etabliert, was natürlich mit irgendeinem militärischen Rang verbunden war. Der hätte Ryan jedoch nicht unwichtiger sein können, er hatte in seiner Zeit als Soldat beim Leutnant aufgehört sich darüber Gedanken zu machen. Untypische für einen Militär, genauso wie der Grund, warum er überhaupt in den Dienst der Regierung getreten war.

Er ließ seinen Blick durch den Raum wandern, wie er es immer tat, wenn er Zeit und nichts Besseres zu tun hatte. Einen Einrichtungspreis hätte man mit diesem Zimmer wohl nicht gewinnen können. Es gab eine kleine, weiße Küchenzeile mit braun befleckter Kaffeemaschine, einen Kühlschrank, aus dem es modrig roch, wenn man ihn öffnete und einen kreisrunden Tisch mit vier türkisefarbenen Stühlen davor. Sein Blick blieb stehen, verharrte an dem einzigen Gegenstand, den er aufrichtig mochte. Es hing an der Wand. Allein gelassen und umgeben vom trägen, vergilbten Weiß der Wände. Nicht einmal in einem Bilderrahmen, sondern lediglich mit einem Reißnagel am Putz fixiert. Es war die Seite aus einem Buch. Die Schrift war alt, verblasst und teilweise schwer zu entziffern. Sie stammte aus einem der Romanen von Sir Arthur Conan Doyle, natürlich Sherlock Holmes, genauer gesagt ein Auszug aus der Kurzgeschichte ‚The Adventure of the speckled Band‘. Einer seiner besten? Keineswegs. Nicht einmal die Analyse, die Holmes während des ‚Kundengesprächs‘ durchführte, wäre sonderlich beeindruckend gewesen. Es waren vielmehr Watsons Gedanken, die diesen Textabschnitt für Ryan so interessant machten: „…es gab für mich keine größere Freude, als Sherlock Holmes bei der Arbeit zuzusehen. Immerzu bewunderte ich seine Fähigkeit der Deduktion, so flüchtig wie Intuition und doch immer aufgebaut auf den Gefilden der Logik.“

Klingt irgendwie, als sei Watson in ihn verschossen! Bei dem Gedanken huschte Ryan ein Grinsen über die Lippen.

Nach einer Weile, in der er über die seltsame Beziehung zwischen Holmes und Watson sinniert hatte, entschied er, dass er nun doch lange genug gewartet hatte und wollte gerade den Weg zu Grinders Büro einschlagen, als sich ihm eine junge Dame in den Weg stellte. Sie trug eine rote Brille, die ihr eindeutig zu groß war, hatte schwarzes, zerzaustes Haar und trug etwas zu viel Make-Up. Das war Laura Kindel, Mitarbeiterin in der Abteilung für Analyse und Gefahreneinschätzung.

Sie stemmte ihre Hände in die Hüften, fixierte Ryan mit strengem Blick und brabbelte los: „Warum will Grinder Sie sehen? Wir hatten nichts zu tun mit diesem Fiasko. Generell hatten wir in letzter Zeit eigentlich nur Erfolge zu feiern und...“

„Warum“, fiel ihr Ryan ins Wort, „sind Sie überhaupt hier? Ich hab Ihnen gesagt, dass Sie dieses Wochenende frei haben.“ Er hatte sich lange daran gewöhnen müssen die Befugnis zu besitzen, Leuten frei zu geben oder sie zur Arbeit zu verdonnern. Ersteres war ihm immer lieber.

„Recherche. Nachdem ich gehört habe, dass Grinder Sie wegen London sprechen will, hab ich…“

„Woher wissen Sie das überhaupt?“, unterbrach Ryan sie erneut, „Das ist eigentlich streng geheim!“

Laura zögerte kurz, dann antwortete sie: „Ich bin Analystin.“ Sie blickte zu Boden und murmelte: „Ich erfahre so etwas eben.“

Ryan konnte sich sehr gut vorstellen, woher sie diese Information bekommen hatte. Alle wussten, dass er eine Schwäche für sie besaß. Und sie wäre dumm gewesen, das nicht auszunutzen. Zu ihrem Glück konnte Ryan sie gut leiden. Sie konnte zwar sehr anstrengend sein, manchmal trieb sie einen regelrecht an den Rand des Wahnsinns, aber sie war in Ordnung. Sie war stimmig. Ihr Stil passte zu ihrem Charakter, ihr Verhalten zu ihren Motiven. Ryan mochte solche Leute, denn in der Regel fielen ihm bei den Meisten immer Details auf, die nicht zueinander passten. Seien es die teuren Schuhe zum Schmuddel-Outfit, die gezupften Augenbrauen zum ungepflegten Bart, oder das freundliche Lächeln zum bösen Wort. Bei den meisten Charakteren passten Dinge nicht zueinander. Manchmal gab es dafür Erklärungen, aber viel zu oft war die Antwort darauf ganz einfach die, dass die Zielperson in sich nicht stimmig war. Und nicht stimmig bedeutete meistens gefährlich.

„Na gut, tun Sie mir einen Gefallen: Da Sie jetzt eh schon hier sind legen Sie mir alles auf den Tisch, was Sie über London herausgefunden haben. Arbeiten Sie weiter daran!“ Laura blickte strahlend vom Boden auf.

Mit einem „Wird gemacht!“, wuselte sie in Glückseligkeit davon. Ryan blickte ihr kopfschüttelnd hinterher. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass er sich zu beeilen hatte. Grinders Termin müsste sich mittlerweile verabschiedet haben.

Augenreisser

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