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9.

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Adriaan Van Doorm saß in der Klemme. Sie hatten ihn auf einen kalten Edelstahlhocker gesetzt, soweit erfüllte dieser Verhörraum durchaus das Klischee. Ebenso wie der silberne Tisch vor ihm, die Kunstlichtlampe, die von der Decke hing und der Gorilla, der die Tür bewachte. Natürlich wusste er nicht, wo sie ihn hingebracht hatten, nur dass es keine Polizeistation war, das schien sicher. Da war auch keiner der berühmten Spiegel, durch den jemand das Gespräch hätte verfolgen können, nur vier kalte Betonwände.

Mit einem lauten Knacken öffnete sich die Tür. Drei Männer kamen herein. Zwei von ihnen setzten sich ihm gegenüber. Der linke Mann kam ihm allzu bekannt vor. Der klassische Geheimdienstmitarbeiter: Mantel, schwarze Haare, das Übliche eben. Adriaan fragte sich, ob das wohl so eine Art Dresscode war. Der Gedanke amüsierte ihn. So weit so gut, aber wer war der Rechte, an ihm passte irgendetwas nicht ins Bild. Die wenigsten Ermittler hatten die Statur eines Gladiators und trugen dabei lieber ein weises T-Shirt mit V-Ausschnitt anstelle des Hemdes. Der musste es sein, von dem er gesprochen hatte. Interessant…

Leon kam direkt zur Sache. Nachdem sie von Amsterdam Schiphol eine halbe Stunde bis zum Safe-House unterwegs waren, hatten sie von Verhoeven erfahren, dass der Mann Deutsch sprach und auf den Namen Adriaan Van Doorm hörte.

„Woher kennen Sie Michael Krüger?“

Adriaan: „Ich hab ihn damals kennen gelernt. Wir hatten einen Dreier. Frag deine Mutter, sie war auch dabei!“ Ryan musste grinsen.

„Siehst du, er erinnert sich“, legte Adriaan nach und zuckte mit dem Kopf in Ryans Richtung.

„Du musst zugeben, dass er witzig ist!“, meinte Ryan zu Leon. Der neigte den Kopf hin und her als müsste er seine Antworten abwägen.

„Hm, ja doch das war schon witzig“, gab Leon zu.

„Also nochmal, würden Sie mir bitte sagen, woher sie Michael Krüger kennen?“

„Weißt du, ich verbringe sehr viel Zeit mit Pornos und ich könnte schwören... ich habe dein Gesicht schon mal gesehen!“ Ryan musste sich die Hand vor den Mund halten. Verhoeven verdrehte die Augen.

„Hören Sie zu“, sagte Leon, „wir stehen etwas unter Zeitdruck, also... könnten Sie mir bitte verraten, warum Sie sich mit Michael Krüger getroffen haben?“

„Weißt du…“, sagte Adriaan und lehnte sich dabei in seinem Stuhl zurück.

„Ich glaube es war in der Kategorie Ana…“ Weiter kam er nicht, denn die Tischkante rammte ihm mit voller Wucht in den Solarplexus. Er schnellte nach vorne und knallte mit dem Kopf auf den kalten Stahl.

Ryan ließ den Tisch los und erhob sich langsam von seinem Stuhl. Er hatte die Bilder der Kleinen im Kopf und die des blutroten Zuckers überall auf dem Boden verteilt, inmitten von Leichen und besudelten Bildern einer toten Familie. Er ging langsam zu Adriaan hinüber und kniete sich auf einem Bein neben ihn, so war er nur ein paar Zentimeter kleiner als er. Adriaan hob benommen den Kopf von der Tischplatte, seine Nase war blutverschmiert und das schulterlange Haar hatte sich an Teilen seines Gesichts festgeklebt. Ryan sah ihn tief und durchdringend an, begann zu flüstern: „Ich hab eine Zeit lang mit Pferden gearbeitet. Das sind schreckhafte Tiere. Man muss immer sicherstellen, dass sie verstehen, was man von ihnen will. Man sollte sanft mit ihnen umgehen, gibt ihnen drei Chancen, man fragt drei Mal nach, gibt drei Mal das Kommando. Erst dann korrigiert man sie. Ich hab mit vielen Pferden gearbeitet, aber die wenigsten waren so dumm wie du.“ Ryan erhob sich, ging langsam um den Tisch herum und setzte sich zurück auf seinen Stuhl. Adrian ließ ihn dabei keine Sekunde aus den Augen.

„Bitte... sagen Sie uns, warum sie sich mit Krüger getroffen haben.“, wiederholte Leon, als wäre nichts geschehen.

Adriaan zögerte kurz, dann lehnte er sich nach vorne und begann schniefend zu reden.

„Darknet. Er hat mich via TorChat angeschrieben. Ich wusste nicht einmal wer er war, aber er wusste, wer ich bin. Dass ich mich mit Nanotechnologie auskenne und einmal bei dem ElectRX Programm in den USA mitgearbeitet habe.“

„Genug.“ Ryan zuckte zusammen. Er drehte sich zu Verhoeven um, der sich gerade zu Wort gemeldet hatte. „Ryan, Leon... auf ein Wort bitte.“

Ryan wollte lauthals protestieren, doch Leon hieß ihm mit einer sanften Bewegung zunächst ruhig Blut zu bewahren. Immerhin waren sie im weitesten Sinne Verhoevens Gäste.

„Bitte bringen Sie ihm ein paar Tempos und was zu trinken“, ordnete Ryan in Richtung eines großen Mannes im Anzug an, der gerade hereingekommen war. Adriaan blutete noch immer aus der Nase. Warum mussten diese Vollidioten immer erst reden, wenn man nachdrücklicher wurde?

„Was soll das?“, fragte Leon sichtlich erbost, nachdem sie zu dritt das kleine Vorzimmer des Verhörraums betreten hatten.

„Weißt du, was ElectRX ist? Das bedeutet, er hat für die Regierung gearbeitet! Das bedeutet, wir müssten irgendwas von ihm finden können, einen Vermerk, eine Personalnummer, irgendwas. Das haben wir aber nicht. Er lügt! Daran können auch Sie nichts ändern.“ Er deutete abwertend in Ryans Richtung.

„Hey, Sie haben ihn jetzt seit über vier Stunden und er hat nichts gesagt“, schnaubte Ryan, „Was zur Hölle ist ElectRX?“

„Das ist von den Amis beziehungsweise von der DARPA“, antwortete Leon im Flüsterton. „ElectRX ist eines der Programme von denen. Im Grunde versuchen sie physischen aber auch psychischen Schmerz durch minimal invasive Eingriffe direkt an den Nervenzellen zu minimieren. Die DARPA forscht schon sehr lange dran. Das bringt uns jetzt aber nicht weiter, was schlagen Sie vor?“, fragte Leon.

„Lügendetekt…“ Verhoeven hatte es noch nicht einmal ganz ausgesprochen, da fiel ihm Ryan bereits ins Wort.

„Oh, kommen Sie. Wir beide wissen, dass diese Maschine so zuverlässig ist wie ein Pendel.“ Der kleine Seitenhieb von eben hatte ihn wütender gemacht als erwartet.

„Wie wäre es, wenn wir uns erstmal alles anhören, was er zu sagen hat?“

„Ich höre mir ja auch sehr gerne Geschichten an, aber dafür haben wir keine Zeit mehr!“

Der Mann im Anzug kam mit einem Päckchen Tempos und einer Dose Cola herein und ging zu Van Doorm in den Verhörraum.

„Ein Lügendetektor wird uns auch nicht weiterbringen.“, sagte Leon, immer noch darum bemüht, die Konversation etwas abkühlen zu lassen.

„Was wissen wir denn noch über den Jungen?“

„Na ja, er…“ Als Verhoeven gerade ausholen wollte, wurden sie von einem dumpfen Schlag aus dem Nebenzimmer unterbrochen. Ryan, Leon und Verhoeven starrten sich gleichzeitig an, blieben einen kurzen Moment wie angewurzelt stehen, lauschten. Nichts war zu hören.

Verhoeven zog seine Waffe, reflexartig wollte Ryan dasselbe tun und griff ins Leere. Er war noch immer unbewaffnet. Verhoeven näherte sich langsam der schwarzen Tür und hielt dabei die Pistole wie einen Schild vor sich ausgestreckt. Er führte die Hand zur Klinke und begann sie langsam zu öffnen. Zuerst einen Spalt breit und dann….

Als Ryan das Knallen der Tür auf Verhoevens Schädel hörte, hechtete er zu Leon und riss ihn mit sich zu Boden. Keine Millisekunde zu spät. Dort wo sie gerade noch gestanden waren, durchschlugen mehrere Kugeln die Wand. Adriaan war aus dem Raum gesprungen, hatte drei Schüsse abgegeben und war durch die zweite Tür des Raumes geflohen. Ryan sprang sofort auf, entriss dem bewusstlosen Verhoeven die Waffe und stürmte hinterher.

Er schnellte hinaus zu den Treppen, seine Waffe zuckte dabei abwechselnd von links nach rechts, um sicher zu gehen, dass Van Doorm ihm nicht auflauerte.

Er wusste was sein Ziel war. Im Erdgeschoss des kleinen Safe-Houses würden bewaffnete Männer auf ihn warten, den Weg konnte er nicht nehmen. Also blieb ihm als einzige Option die gewundene Steintreppe hinauf, wo auch immer die hinführte. Ryan hielt seine Waffe immer nach oben gerichtet und versuchte so nah an den weiß verputzten Backsteinwänden zu laufen wie möglich. Er konnte Schritte auf Stufen hören, dann das quietschen alter Metallscharniere und wie ein Fenster geöffnet wurde. Wenn er ihn erwischen wollte, musste er sich verdammt nochmal beeilen!

Er stürmte die Treppe hinauf, bis er vor einer geöffneten, kleinen Holztür zum Stehen kam. Dahinter verbarg sich ein Dachboden, der nur spärlich beleuchtet, verstaubt und mit alten Möbeln vollgestellt war. Vorsichtig und mit ausgestreckter Waffe überschritt er den Türstock, überprüfte seine rechte Flanke, ehe er sich ruckartig nach links umdrehte, um sich auch vor Angriffen von dieser Seite zu schützen. Doch Van Doorm war längst weg, zwei Meter von Ryan entfernt stand ein Dachfenster sperrangelweit offen und ließ ihn wissen, dass er die Zielperson schon so gut wie verloren hatte. Er schnellte voran, steckte im Gehen die Waffe hinter seinen Rücken zwischen Gürtel und Hose und riss sich dann beherzt mit beiden Händen am Fensterrahmen hoch. Gerade als er nach draußen springen wollte, hörte er einen lauten Knall und ein stechender Schmerz durchfuhr seinen rechten Arm. Scheiße! Er war so ein Trottel!

Das passierte, wenn man lange nicht mehr unterwegs gewesen war und einrostete, man verlor die Basics. Er ließ sich fallen, um unter dem Fenster abzutauchen und damit aus der Schusslinie zu kommen. Hektisch tastete er Brust, Bauch und Beine ab, versuchte in der Dunkelheit des Dachbodens zu fühlen, wo sich der Einschlag befand.

Er hatte Glück. Es war nur ein Streifschuss am Arm, nicht mehr als ein Kratzer. Trotzdem musste er irgendwie die Blutung stoppen. Forsch riss er sich ein Stück seines T-Shirts ab und wickelte es um die betroffene Stelle am rechten Trizeps. Er würde denselben Fehler nicht ein zweites Mal machen, sprang auf und lugte vorsichtig über den Rand des Dachfensters. Adriaan war schon längst weiter gerannt.

Dieser kleine Mistkerl! Er hatte im Verhörraum nicht den Eindruck gemacht, als könnte er mit einer Waffe umgehen. Ryan kletterte aus dem Fenster und fand sich im Dämmerlicht der Stadt auf einem kleinen Spitzdach wieder. Adriaan war bereits zwei Dächer weiter, als Ryan die Verfolgung aufnehmen konnte. Die Ziegel knacksten bei jedem Schritt unter seinem Gewicht und er musste höllisch aufpassen, um nicht abzurutschen oder einzubrechen.

Wenigstens Kondition hab ich noch, dachte Ryan und stellte zufrieden fest, dass er stetig aufholte, zwischen ihm und Adriaan lagen nur noch ungefähr zehn Meter.

„Hey Pferdchen, bleib stehen!“, schrie er ihm hinterher, immer bereit, sofort aus der Schusslinie zu hechten, falls sein Ziel von der Flucht in Angriff übergehen sollte. Adriaan rutschte jetzt vermehrt auf Ziegeln aus, dabei lösten sich manche aus ihrer Verankerung und stürzten in die Tiefe, doch Ryan kam ihm immer näher. In panischem Affekt schlug er einen Haken, bog ab und rannte direkt auf die Spitze des Daches zu. Oben angekommen ließ er sich vornüber nach unten fallen und war nicht mehr zu sehen. Ryan blieb ihm dicht auf den Fersen und bremste erst auf der Dachspitze abrupt ab, um nicht ins Ungewisse springen zu müssen.

Dort oben wurde ihm klar, wohin Van Doorm verschwunden war. Die Häuser, über die sie hinweggerannt waren, hatten an dieser Seite eine lange, zusammenhängende Dachterrasse. Auf dieser Terrasse war Adriaan nach seinem Sprung gelandet und mit ebenem Boden unter den Füßen jetzt wieder ein gutes Stück voraus. Ryan fluchte und ließ sich das kleine Spitzdach bis zur Terrasse hinunter rutschen.

Keine Chance, auf der Ebene bin ich schneller, war sein letzter Gedanke, als er einen Knall hörte. Der Schlag hallte von den Wänden der vielen Häuser wieder, die sie umgaben. Ryan kannte das Geräusch. Er hatte es tausende Male gehört und jedes Mal war es die Nachwehe des Todes. Eines schnellen, aber schmutzigen Todes. Instinktiv ließ er sich vornüber auf den Boden fallen. Hatte ihn da gerade etwas knapp am Hinterkopf verfehlt? Ryan rollte sich in den Schutz der Betonmauer, die die Brüstung der Terrasse bildete. Er blickte auf und konnte gerade noch sehen, wie Adriaan auf die gegenüberliegende Veranda sprang und in einem Haus verschwand. Fuck!

Augenreisser

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