Читать книгу Augenreisser - Lukas Kellner - Страница 16

10.

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„Ein Scharfschütze?“ Leon war verblüfft.

„Wo soll der denn hergekommen sein?“

„Ich hab keine Ahnung“, seufzte Ryan und rieb sich die Stirn.

„Und weil es keine Kugel gibt, wird mir das auch niemand glauben.“

„Warte mal ab, vielleicht findet die Spurensicherung ja noch was.“

„Nein, ich hab selber zuerst nachgesehen. Vielleicht war das doch noch ein bisschen viel, ich hab da ja eine Vorgeschichte…“

Nachdem klar gewesen war, dass keine Gefahr mehr von herumfliegenden Geschossen ausging, war Ryan zurück zum Safe-House geklettert. Dort wartete bereits ein Krankenwagen auf ihn.

Leon war sichtlich erleichtert gewesen, Ryan wiederzusehen und bestand darauf, dass er sich zu allererst in medizinische Behandlung begab. Nachdem ihn ein Notarzt halbwegs zusammengeflickt und Leon allen nötigen Papierkram unterzeichnet hatte, entschieden sie sich, zunächst etwas essen zu gehen. Solange die Spurensicherung den Tatort zerlegte, konnten sie ohnehin nichts unternehmen. Jetzt saßen sie in einem kleinen Café namens ‚Delirium‘ unter einer Brücke.

Das Delirium lag genau gegenüber vom Mövenpick Hotel Amsterdam. Ryan blickte durch die Spiegelungen im Fensterglas in die verregnete Nacht hinaus. Der hell leuchtende rosa Elefant, das Markenzeichen des Cafés, thronte auf einer Anzeigetafel direkt über dem Eingang. Die Tische draußen waren überdacht und hell erleuchtet von hunderten, bunt leuchtenden Lämpchen, gelb, lila und blau.

„Ich hab so was noch nie erlebt“, sagte Ryan, „Ich dachte echt, ich hätte einen Schuss gehört.“

„Vielleicht hat unten auf der Straße irgendwas geknallt. Du hast da jemanden verfolgt, du warst auf Adrenalin, da kann das schon mal sein, dass man was fehlinterpretiert.“

„Wie konnte das eigentlich passieren? Passen die gar nicht auf?“, schnaubte Ryan.

„Ich weiß auch nicht. Richtig übel, wenn bei so ´ner Aktion jemand drauf geht…“ Leon schüttelte ungläubig den Kopf, ehe er weiterredete: „Wenn Verhoeven aufwacht, muss ich mit ihm mal drüber reden. Ich kenn ihn ja schon ein bisschen länger. Eine Zielperson so zu unterschätzen geht gar nicht. Sie haben ihn ja nicht mal gefesselt. Wahnsinn…“

Ryan antwortete nicht, stattdessen stocherte er in den Pommes herum, die er sich bestellt hatte. Als sie fertig waren, bezahlten sie ihre Rechnung und machten sich auf den Weg zum Mövenpick-Hotel. Sonderlich weit hatten sie es nicht, es waren gerade einmal fünfzig Meter zu gehen, dann kam man über einen metallenen Steg hinüber auf die kleine Halbinsel auf der das Hotel und ein großes Terminal für Kreuzfahrtschiffe gebaut worden waren. Durch eine Drehtür in der orangefarbenen Fassade gelangten sie in die Lobby. Links waren eine sterile Sitzecke, sowie ein kleiner Shop für Souvenirs und allerlei Reisebedarf, rechts eine zweite Sitzecke vor einem edlen Bücherregal mit Kamin.

„Guten Abend“, sagte Leon zu der Dame an der Rezeption und lächelte sie dabei freundlich an.

„Wir haben angerufen, wir sind hier wegen Ihres Gastes Michael Krüger.“ Bei den Worten zeigten sie ihr die Marken, die sie von Verhoeven bei der Ankunft in Amsterdam bekommen hatten.

„Dürften wir uns kurz sein Zimmer ansehen?“

Die Dame hinter den Tresen antwortete in höflich professioneller Manier: „Natürlich! Wenn Sie sich nur noch zehn Minuten gedulden würden, die Gäste sind gerade dabei, abzureisen.“ Ryan blickte instinktiv hinter sich, weil er dachte, sie würden einer Familie beim Auschecken im Wege stehen. Aber hinter ihnen war niemand. Er wandte sich wieder der Hoteldame zu.

„Ähm, tut mir leid, ich versteh nicht ganz... welche Gäste?“

„Die Gäste in Zimmer 203. Das Zimmer, das Sie sich ansehen wollen.“

Leon fiel aus allen Wolken.

„Soll das heißen, das Zimmer wurde wieder vermietet?“

„Ja, tut mir leid Sir, aber wir haben getan, was uns die Polizei gesagt hat. Nach der Anfrage des Managements haben sie zugestimmt, dass wir den normalen Betrieb wieder aufnehmen können.“

Ryan bemühte sich, ruhig und freundlich zu bleiben.

„Aber was ist mit Spurensicherung, ich meine… es ist gerade einmal zwei Tage her, dass der Verdächtige hier war.“

Die Frau begann nervös an einem schwarzen Kuli herumzuspielen.

„Ich war nicht rund um die Uhr hier. Ich kenne mich mit Spurensicherung nicht aus, ich hab das nur mal in einem Film gesehen.“ Sie kicherte kurz. „Aber Leute mit Koffern oder weißen Anzügen oder so waren nicht hier. Es waren eigentlich nur zwei Männer, die sich das Hotelzimmer ansehen wollten. Im Grunde so wie Sie beide jetzt.“

Leon und Ryan warfen sich verwirrte Blicke zu.

„Also, ähm…“, meldete sich die Frau zu Wort, der das Schweigen offensichtlich unangenehm war.

„Wollen Sie sich das Zimmer jetzt ansehen?“

„Nein, danke“, antwortete Ryan mit einem Lächeln und bemüht freundlich. Wenn Gäste in dem Zimmer gewohnt hatten, dann hatte es mindestens einen Waschgang durch die Putzfrau hinter sich und die war in gehobenen Hotels wie diesem übergründlich.

Leon murmelte, er müsse eine rauchen und stürmte aus der Lobby. Ryan lief ihm hinterher.

Sie blieben rechts neben der Drehtür an einem Mülleimer mit integriertem Aschenbecher stehen. Leon holte seine roten Luckies aus der Tasche und führte den braun umwickelten Filter zum Mund. Mit dem Klicken seines Feuerzeugs begann der weiße Rauch seine Lungen zu füllen. Er behielt den Nebel für einige Sekunden in sich, um das Nikotin voll auszukosten, dann atmete er lange und energisch aus. Ryan stellte sich neben ihn und blickte auf die Spiegelungen im Wasser.

„Ich glaub, die wollen uns verarschen.“ Leon gluckste und atmete dabei Rauch aus.

„Wie kann man denn so blöd sein? Ich dachte, Verhoeven wüsste, was er tut. Zuerst Van Doorm und jetzt so ´ne Scheiße!“

Ryan verdrehte die Augen: „Das bedeutet auf jeden Fall, dass wir jetzt erstmal gar nichts haben.“ Sie schwiegen sich an, immer wieder zog Leon an seiner Zigarette und nahm sie erst aus dem Mund, als er einen Anruf bekam. Hastig wühlte er in seiner Jackentasche, entfernte sich ein paar Schritte und begann zu telefonieren. Ryan hörte nicht zu, stattdessen fing er damit an, seinen Blick schweifen zu lassen. Eigentlich war Amsterdam eine sehr schöne Stadt. Er hatte noch nicht viel davon zu Gesicht bekommen, aber die Aussicht gefiel ihm. Dort drüben, ein paar hundert Meter von ihnen entfernt, konnte er den Hauptbahnhof sehen. Er thronte prächtig und mit glänzenden Lichtern über dem Wasser. Eine große Brücke verband die Insel, auf der er sich gerade befand, mit Downtown. Darauf tummelten sich sogar um diese Zeit noch dutzende Fahrradfahrer, die das Licht der Laternen ausnutzten, welche große, goldene Kegel formten und auf die Straße warfen.

Hatte er einen Rückfall gehabt? Vorhin auf dem Dach, hatte er da etwas gehört, das nicht existierte? Musste er sich um seinetwillen Sorgen machen? Es fühlte sich anders an als damals. Noch glaubte er die Kontrolle darüber zu haben und nicht umgekehrt. Außerdem war er viel zu frustriert mit der Art und Weise, wie sich die Dinge entwickelt hatten. Frustriert darüber, dass es so schien, als hätten sie keine Chance mehr, Krüger in die Finger zu bekommen. Der war mittlerweile wahrscheinlich über alle Berge…

Während er in Gedanken versunken die Schönheit Amsterdams und die Spiegelungen im schwarzen Wasser vor sich bestaunte, wurde Leons Telefonat immer lauter und hitziger.

„Ist das ihr Ernst?“ Leon kam mit aufgerissenen Augen auf Ryan zugelaufen.

„Okay, wir sind auf dem Weg.“ Sprach er ins Telefon, nahm noch einen tiefen Zug von seiner Zigarette und warf den Stummel neben den Mülleimer. „Ijburg!“

„Was-Burg?“ Ryan war verwirrt.

„Ijburg, das ist ein Stadtteil, circa 20 Minuten von hier. Sie haben ihn gefunden. Er steht unter Beobachtung, sie warten nur noch auf uns, um zuzugreifen!“

„Wen, Van Doorm?“

„Nein… Krüger!“

Augenreisser

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