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2.

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Ryan trug nicht viel bei sich. Das tat er nie. Er war kein Freund von tragbaren Computern oder Handys, benutzte lieber Block und Stift, wenn es darum ging, die wichtigsten Informationen eines Briefings festzuhalten.

Vor der schweren Eichentür zu Grinders Büro angekommen, klopfte er zweimal an und wartete auf das „Herein“.

Als er die Tür öffnete, bot sich ihm der übliche Anblick. Das große, lichtdurchflutete Büro mit dem noch größeren Schreibtisch aus Holz hatte sich in den letzte Jahren genauso wenig verändert, wie sein Besitzer.

Rodewig Remus Grinder saß an seinem gewohnten Platz hinter dem Mahagoni Monstrum. Er war ein alter Haudegen, wie er im Buche stand. Graues Haar, rasierte Seiten, schlichte, schwarze Uniform. Die Züge geformt von Strenge und Disziplin, jede Falte hart erkämpft und voll verdient, die Hände groß wie Bratpfannen, doch gewisslich sauber gehalten. Die Wand hinter ihm war ausgefüllt mit einem Regal enormer Größe, das farblich zum Schreibtisch passte. Darin waren neben Fotos von seinen Kindern, eine Reihe mit bestem Single Malt Scotch aus verschiedensten Ländern, hunderte Akten und Bücher, sowie mehrere kleine Modelle von Panzern und Düsenjets. Grinder war ein Mann der alten Zeit und alte Zeit hieß oft Klischee. Ryan mochte genau das besonders an ihm. Auf einem der beiden Stühle vor dem Schreibtisch saß Leon.

Leon war offiziell der Chef ihrer Abteilung, auch wenn sie beide seit einem Jahr die Entscheidungen in Absprache miteinander trafen. Eigentlich keine gute Idee, doch bei ihnen funktionierte es auf diese Weise sehr gut. Sie waren meistens einer Meinung und ihre Fähigkeiten ergänzten sich. Leon war schon sehr lange dabei und bekannt wie ein bunter Hund. Es gab wohl keinen Geheimdienst auf dieser Welt, zu dem er nicht mindestens einen guten Kontakt hatte und Ryan kannte niemanden, der so viel telefonierte wie er. Außerdem konnte Leon besser mit digitalen Technologien umgehen, was er nie an die große Glocke hing, aber es fiel Ryan immer auf, wenn er ihn am Computer beobachtete und auch, wenn sie sich über die neuste Entwicklungen im Bereich der digitalen Innovation unterhielten.

Ryan hingegen brachte dann seine Expertise ein, wenn es um Handlungen im Feld, die Psyche von Soldaten, oder taktische Entscheidungen ging.

Leon drehte sich zu ihm um und grinste ihn an. Wie immer trug er ein hellblaues Hemd, eine burgundfarbene Krawatte und graue Hose. Sein schwarzes, dünnes Haar saß etwas lockerer und unkontrollierter als sonst, passte aber zu den dunklen, braunen Augen und der kleinen Delle oberhalb der rechten Augenbraue, die er von einem Sturz aus der Kindheit davongetragen hatte. Anders als bei Ryan, hatte Leons Haut nie viel vom Ausland abbekommen, er war dementsprechend blasser und mochte den Winter lieber als den Sommer. Ryan setzte sich neben ihn und meinte flüchtig: „Schöne Grüße von Laura.“

Leon hatte den kleinen Seitenhieb sofort verstanden. Er lächelte ihn sarkastisch an und sagte „Danke.“

Diese zwei…, dachte Ryan bei sich. Jeder wusste doch, dass Beziehungen zwischen Arbeitskollegen dumm waren, geradezu hirnrissig. Wo die Liebe eben hinfällt…

Grinder erhob das Wort: „Meine Herren, ich werde ehrlich zu Ihnen sein.“ Jetzt erst fiel Ryan auf, dass er krank und müde aussah.

„Sie beide sind die besten Analysten, die mir zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung stehen. Das ist keinesfalls schmeichelnd gemeint, mir wäre es auch lieber, wenn wir jemand anderen hätten.“

Charmant wie immer, schoss es Ryan durch den Kopf. Doch obwohl Grinder ihm und seinem Kollegen gerade eine regelrechte Beleidigung entgegen geworfen hatte, änderte das nichts daran, dass er diesen Mann unglaublich gut leiden konnte und ihn seinen gelegentlichen Mangel an Fingerspitzengefühl gerne verzieh. Ryan und Grinder verband weit mehr als nur eine Arbeitsbeziehung, viel mehr als das. Tatsächlich hatte er ihn in seinen ersten Tagen beim Militär kennengelernt. Damals war es Grinder gewesen, der von sich aus auf ihn zugegangen war. Auf die spätere Frage, warum ein Generalmajor Austausch mit einem einfachen Soldat in der Grundausbildung pflegte, antwortete er: Ryan sei ihm aufgefallen.

Vielleicht hatte er Ryans Motivation durchschaut, denn er war damals zum Militär gekommen, weil er seinem Leben einen Sinn verleihen wollte, weil er eben nicht wollte, dass es so zwecklos endete, wie es begonnen hatte. Seine Idee war einfach und kindisch: Ins Militär gehen, kurz die Ausbildung mitnehmen und dann die gefährlichsten Jobs übernehmen, die es dort gab. Dann würde er hoffentlich den Platz von einem Familienvater oder sonst wie geliebten Menschen einnehmen können. Er war ein Junge gewesen, ohne Selbstwert, ohne Stolz, ohne den Willen zu leben.

Ein wenig später war es auch Grinder, der ihn als jüngsten Soldaten der Geschichte in die Ausbildung zum Einzelkämpfer gesteckt hatte. Sie waren keine Freunde, trafen sich nicht regelmäßig zum privaten Barbecue oder zum Fußballschauen, doch verband sie etwas Tieferes, etwas Echtes. Vielleicht war er sogar so etwas wie ein Vater für Ryan.

„Wir haben nicht sehr viel Zeit, darum werde ich gar nicht lange drum herum reden. Sie wissen, es geht um London.“

Leon meldete sich zu Wort: „Ja, London, fünf Tote, ein Täter. Terroristischer Hintergrund ist nicht auszuschließen, ein Bekenntnis zur Tat gab es bislang aber nicht. Der Vorfall ist zum Glück bisher nicht an die Medien vorgedrungen. Bis auf weiteres soll das auch so bleiben.“

„Und Sie Ryan“, fragte Grinder. „Was wissen Sie darüber?“

„Na ja, nur das aus dem kurzen Briefing. Wir waren bis jetzt nicht an Operationen in London beteiligt, hatten also auch keinen Zugang zu den Informationen rund um das Thema. Ich vermute aber mal, wenn Sie schon so fragen…“ Ryan lehnte sich nach vorne und senkte seine Stimme „…, dass Sie etwas mehr wissen, als wir beide?“

Grinder seufzte. Er erhob sich und ging zu dem Tablett mit der Scotch-Karaffe hinüber. Während er sich geschäftig daran tat, die goldene Flüssigkeit in ein Kristallglas zu füllen, begann er zu erklären.

„Das was Sie jetzt hören, ist streng vertraulich. Sie wissen, was das heißt!“ Er hielt kurz inne und blickte ihnen geradewegs entgegen.

„Natürlich!“, sagten Leon und Ryan im Chor. Grinder drehte sich wieder zu dem flüssigen Gold vor sich.

„Also... London.“

Augenreisser

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