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1 GEFÜHL Wenn ich Gottes Gegenwart nicht spüre
ОглавлениеLang ist es her.
Dabei hat Christina bis heute alle Einzelheiten vor Augen. Sie erinnert sich genau, wie es damals mit ihr und Gott angefangen hat.
Es war wenige Wochen nach ihrem 16. Geburtstag, als sie den Flyer für eine christliche Sommerfreizeit ungläubig in ihren Händen hielt, unaufhörlich auf diesen starrte und tatsächlich überlegte, ob das etwas für sie sein könnte. Sonderlich religiös war sie nie gewesen. Allerdings würde ihr halber Freundeskreis mit dabei sein. Und da die Stimmung in ihrem Elternhaus täglich angespannter wurde, ertappte sie sich dabei, wie sie ernsthaft in Betracht zog, zwei Wochen ihrer kostbaren Sommerferien in dieses große Unbekannte zu investieren.
Sie tat es. Christina fuhr mit.
Zu ihrer Überraschung wurden diese Tage von einer besonderen Atmosphäre begleitet. Ein warmes Gefühl lag in der Luft, das sich kaum beschreiben, aber allezeit spüren ließ. Es gab eine Gemeinschaft, die so anders war als alles, was sie aus der Schule kannte. Intensive Gespräche, von Seele zu Seele, bis tief in die Nacht. Zeit für lange gemeinsame Waldspaziergänge mit jungen Frauen, die Christina bis heute gute Freundinnen nennen darf. Dort, umgeben von einem Duft nach Regen und Nadelholz, merkte sie zum ersten Mal in ihrem Leben: Ich werde wirklich verstanden.
Als ausgesprochen kostbar entpuppten sich die Abendstunden am Lagerfeuer. Besonders vom gemeinsamen Singen wurde sie berührt. Die Lieder sprachen die Sprache ihres Herzens. Noch heute könnte Christina viele dieser christlichen Ohrwürmer auswendig vor sich hin trällern, wenn sie es denn nur wollte. Über diesen Abenden lag eine außergewöhnliche Stimmung, die sie nur schwer in Worte fassen konnte. Christina hatte den Eindruck: Ich kann fühlen, dass Gott da ist.
Schließlich kam dieser besondere Moment, in dem sie zu glauben anfing. Alles, was sie bisher theoretisch über Gott wusste, wurde plötzlich real. Ihr Glaube rutschte aus dem Kopf in ihr Herz. Es war schwer zu beschreiben, aber es machte irgendwie »klick«. Es gab eine besondere Predigt, in der es nur um sie zu gehen schien. Die Lieder, die an diesem Abend gespielt wurden, sprachen ihr aus der Seele. Es war, als ob Jesus in ihr Leben eintrat und mit seiner Liebe in ihr Herz einzog. Jesu Liebe war real spürbar. Das fühlte sich damals wie das Beste an, was ihr je passiert war. Es war, als ob ihr Herz brennen würde, und der Grund dafür war Jesus. Sie hatte vor Freude sogar ein wenig weinen müssen. Es war ihr kurz peinlich gewesen, aber in dieser ungewöhnlich anderen Gemeinschaft musste sie sich dafür nicht schämen.
»Jesus ist für mich gestorben.« Diese gute Botschaft war der Auslöser für ihre Freude. Es ist ein Satz, der sich mit ein paar Jahren Abstand irgendwie banal anhört. Aber damals war er die beste Botschaft der Welt gewesen. Für Christina begann ein neues Leben, das Leben im Glauben. Vor ihr stand ein Abenteuer. Die ersten Schritte in dieser unbekannten Welt fühlten sich aufregend neu an. Doch all das ist inzwischen viele Jahre her.
Es war irgendwie anders gekommen. Schleichend, Stück um Stück, verblasste dieses Gefühl. Das geschah nicht von heute auf morgen, doch mit einer langsamen Stetigkeit, bis kaum noch etwas davon übrig war. Es gab nie diesen einen Moment, in dem Christina bewusst aufgehört hätte zu glauben. Aber mit ihr und Gott war es schließlich wie mit einem dieser alten Ehepaare geworden: Langsam hatten sie sich entfremdet und auseinandergelebt. Christina kann sich das allerdings nur schwer eingestehen. Aus Gewohnheit geht sie noch hin und wieder in die Kirche. Doch wenn sie ehrlich ist, dann ist sie mit ihrem Glauben am Ende. Aus dem Feuer von damals ist über die Zeit Asche geworden. Gott ist weit weg. Christina kann seine Nähe nicht mehr spüren.
Dieser Prozess war im Wesentlichen ganz unbewusst vonstattengegangen. Aber manchmal liegt sie nachts wach und fragt sich, was nur mit der Zeit passiert ist. »Was ist los mit mir?« Die Gedanken fangen an zu kreisen: »Liebt Gott mich noch? Wenn er mich lieben würde, dann würde er mir das doch zeigen, oder? Ich würde es spüren! Aber ich tue es nicht.« Christina nimmt in sich einen unguten Mix an Gefühlen wahr. Da sind Enttäuschung und Verzweiflung. In manchen Momenten kommt eine gehörige Portion Wut dazu. Sie ruft an die Decke: »Gott, tu doch etwas! Rede mit mir! Ich gebe dir noch eine letzte Chance.«
Gott schweigt.
Das ist Christinas Geschichte.