Читать книгу Mein Leben für die Hexenkinder - Maïmouna Obot - Страница 11

Auf nach Afrika

Оглавление

»Du? Nach Afrika?« Meine Familie starrt mich ungläubig an, als ich von meinen Plänen berichte. Meine Mutter hat in den Siebzigern drei Jahre lang Kindergärten an der Elfenbeinküste aufgebaut, meine kleine Schwester hat sich vor ihrem Afrikanistikstudium in der Entwicklungshilfe in Togo engagiert und in Nigeria beim Radio gearbeitet. Und mein Vater ist in Ikot Ntot geboren, einem Dorf in Akwa Ibom, Nigeria. Von Deutschland aus hat er mit mehreren Initiativen und Vereinen versucht, bildungspolitisch in seiner alten Heimat tätig zu werden. Kurzum: meine gesamte Familie ist Afrika-affin, bis auf mich. Ich habe zudem eine Insektenphobie. Außerdem habe ich Angst vor tropischen Krankheiten. Dies war unter anderem der Grund dafür, dass ich elf Jahre zuvor nicht zur Hochzeit meiner kleinen Schwester nach Togo gereist bin. Ich hatte Angst, dass eine eventuelle Malariaerkrankung mir das Erste Juristische Staatsexamen zwei Monate später versauen könnte.

»Tja, hm, wollen tu ich ja auch nicht, aber ich war noch nie da und wenn ich da jetzt nicht mal hinfahre, mache ich es wahrscheinlich nie. Außerdem habe ich von Kindern gehört, die als Hexen verfolgt werden. Die würde ich gerne besuchen.« Keiner glaubt, dass ich tatsächlich reisen werde, bis ich am 1. August 2016 das Flugzeug besteige.

Am Tag des Abflugs steige ich nervlich am Ende ins Flugzeug. Kurz zuvor war ich noch strafversetzt worden, weil ich um mehr Arbeit gebeten hatte. »So was wie Sie können wir hier nicht brauchen. Tun Sie einfach das, was Ihnen befohlen wird. Auch, wenn es Nichtstun ist!« Diese Haltung, die mir signalisiert, dass es besser sei, ich würde nicht existieren, kenne ich zur Genüge. Aber ich weiß es besser: Gott hat einen Plan und eine Aufgabe für mich, ich habe sie nur noch nicht gefunden. Allerdings ermüdet es mich zusehends, den Stürmen, die von außen auf mich hereinbrechen, standhaft meinen mit göttlichen Zusagen gespickten Regenschirm entgegenzuhalten. Langsam muss doch etwas geschehen! »Herr, gebrauche mich!«

Meinem Kofferinhalt kann man meine Angst vor Malaria ansehen: Ein zur Sicherheit zweimal mit Insektenschutzmittel imprägniertes Moskitonetz, vier imprägnierte Strumpfhosen sowie funktionale, aber einfallslos designte Tropenbekleidung. Dazu einen dauerimprägnierten Schal und natürlich Anti-Moskito-Spray für all diejenigen Hautpartien, die man nicht mit Kleidung bedecken kann. Die Malariaprophylaxe umklammere ich ganz fest mit beiden Händen.

Nigerias größte Stadt Lagos empfängt mich mit angenehmer Hitze, leckerem Essen, Strom und Wasser. Dass die letzten beiden Dinge keineswegs selbstverständlich sind, werde ich noch früh genug herausfinden. Die Vielfalt der Farben, Menschen und Gerüche ist einfach atemberaubend. Stundenlang kann ich mir die Zeit damit vertreiben, Menschen zu beobachten: die Vielfalt der Stoffe kennt kein Ende. Beide Geschlechter kleiden sich mit natürlicher Eleganz und jede Person legt Wert auf ein möglichst individuelles Outfit, das den Charakter des Trägers am vorteilhaftesten unterstreicht. Ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Unnachahmlich ist auch die Art und Weise, wie Nigerianer es verstehen, sich durch den stets dichten Verkehr auf grazile Art und Weise hindurchzuschlängeln. Viele tragen dabei auch noch schwere Lasten auf dem Kopf. Lagos ist eine der Städte, in denen selbst eine durch Stau ums Zehnfache verlängerte Fahrt nicht langweilig wird. Es gibt so viel zu sehen, zu hören, zu riechen! Straßenhändler bieten alles an, was man brauchen könnte. Klopapier, Zeitungen, Unterwäsche und sogar Haustiere! Was es in den Läden nicht gibt, findet man auf der Straße. Meine zum Zeitvertreib mitgeführten Bücher schlage ich kein einziges Mal auf, viel zu fasziniert bin ich von dem Treiben um mich herum.

In Nigeria ist Religion allgegenwärtig. Man kann grob sagen, dass in der Nordhälfte der Islam die vorherrschende Religion ist und in der Südhälfte vornehmlich Christen wohnen. Diese Aufteilung verschwimmt aber aufgrund der gestiegenen Mobilität immer mehr und ist im 22-Millionen-Einwohner-Moloch Lagos gänzlich aufgehoben. Zu sagen, an jeder Ecke befände sich eine Kirche oder Moschee, wäre eine maßlose Untertreibung. Vielmehr kann man sagen, dass sich circa alle zehn Meter ein Gotteshaus befindet.

Um auf sich aufmerksam zu machen, hat jede Kirche und jede Moschee, die etwas auf sich hält, Lautsprecher auf die Straße gerichtet. Durch diese Lautsprecher werden die Predigten, Gebetsrufe, Chorstunden und Schriftauslegungen von Montag bis Sonntag in die Nachbarschaft getragen. Es kann gut sein, dass man spätabends von der Nachtwache der Mount Zion Church in den Schlaf gesungen wird, nur um am nächsten Morgen mit dem ersten Muezzin-Ruf aus dem Bett zu fallen. In einigen wohlhabenden und neu errichteten Stadtteilen ist der Bau von Gotteshäusern verboten. Die Einwohner bezahlen diesen Luxus eines Plus an Ruhe mit hohen Miet- und Grundstückskosten. Ich empfinde die Geräuschkulisse als amüsant, insbesondere dann, wenn mal wieder eine der Vorsängerinnen den Ton nicht trifft. In praktischer Hinsicht ersetzt der Kirchenchor gleichzeitig das Radio, wenn mal wieder der Strom ausgefallen ist. Immer singt irgendwer irgendwo ein Lied und man kann lauthals einstimmen.

Mein Leben für die Hexenkinder

Подняться наверх