Читать книгу Mein Leben für die Hexenkinder - Maïmouna Obot - Страница 16
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ОглавлениеDer nächste Tag ist wieder von Geschäftigkeit geprägt: Um auch bei Strom- und Wasserausfall die Kinder versorgen zu können, hat Frau Kent mich um einen Stromgenerator gebeten. Nach zähen Verhandlungen mit dem Elektrowarenhändler erstehen wir einen großen Generator für umgerechnet 350 Euro. Triumphierend hieven wir das Gerät ins bereitstehende Taxi. Nun schnell zurück und alles anschließen! Die Kinder werden sich freuen, wenn sie nicht erst Feuerholz für das Abendessen besorgen müssen.
Doch Frau Kent lässt das Taxi vor einem großen grauen Gebäude anhalten. Im Erdgeschoss befindet sich ein kleiner Schalter. Frau Kent diskutiert mit dem Beamten, dann winkt sie mich zu sich. »Geben Sie ihm 150 Euro.«
Ich bin verwirrt. »Warum?«
»Die Stromrechnung muss bezahlt werden, sonst müssen wir den Generator ständig benutzen, auch wenn es offiziell Strom gibt, und das können wir uns nicht leisten.«
Ich bezahle und hoffe insgeheim, dass nicht noch weitere unbezahlte Rechnungen auftauchen. Wir steigen wieder ins Taxi, das uns zum Markt bringt. Es gilt, die Vorräte für die nächsten Tage einzukaufen.
Gegenüber den Gemüsefrauen hat sich ein Prediger auf einer großen Lautsprecheranlage postiert und schreit wild gestikulierend seine Botschaft ins Mikro. Ich schaue ihm zu. Auf allen Märkten gibt es Pastoren, Älteste und Diakone, die durch Kurzpredigten auf einen kleinen Zuverdienst hoffen. Viele stellen sich aber auch auf die Märkte, um dort um neue Gottesdienstbesucher zu werben. Der Prediger auf der Lautsprecheranlage redet sich in Rage, seine Stimme kippt. Er erzählt vom Hang zur Hexerei, der allen Kindern gemein sei, und dass Eltern ihre Kinder bei ihm auf Hexerei untersuchen lassen könnten. Bei positivem Befund könne er auch einen preisgünstigen Exorzismus durchführen. Dann berichtet er von kannibalistischen Gelagen, an denen Hexenkinder angeblich mit ihren Hexenmeistern teilnähmen. Seine Geschichten schmückt er mit gruseligen Details aus, verwendet aber keinerlei Bibelzitate.
Ich bin schockiert und würde ihm am liebsten den Saft abdrehen. Frau Kent warnt mich jedoch, dass es gefährlich sei, mit diesen Leuten zu reden. Sie hätten eine große Anhängerschaft und ihre Botschaft sei populär. Tatsächlich erhält der Prediger von Umstehenden Geldscheine zugesteckt und niemand scheint sich am Inhalt seiner Predigt zu stören. Ich schaue mich um und entdecke auf zahlreichen Plakaten Werbung für sogenannte Reinigungsgottesdienste oder Hinweise auf besonders erfolgreiche Exorzisten. Nein, durch einfaches Saftabdrehen komme ich hier nicht weiter. Zu lange schon prasselt die Botschaft von den vermeintlich blutrünstigen Kindern schon auf diesen Teil Nigerias herab. Die Abkehr von dieser Lehre und eine Umkehr zum wahren Gehalt der biblischen Botschaft muss sanft und mit Bedacht eingeleitet werden.
Zurück im Heim begrüßen uns die Kinder freudestrahlend: Der Elektriker war da und hat die Leitungen repariert! Nun wartet er im Büro auf seinen Lohn. Fünfzig Euro. Wieder werde ich wie selbstverständlich zur Kasse gebeten.
»Frau Kent«, sage ich, »so kann das nicht weitergehen. Ich habe nicht unendlich Geld. Schreiben Sie doch auf, was Sie brauchen, und ich sehe, was ich machen kann.«
Doch mein Appell verhallt ungehört. Jeden Tag kommt sie mehrmals mit weiteren Dingen an, die dringend gekauft oder repariert werden müssen. Das Geld rinnt mir durch die Hände. Ich hatte 750 Euro angespart und gedacht, dass wir damit locker eine Woche finanzieren könnten und dann noch ein ordentliches Sümmchen als Spende zur Verfügung stehen würde, aber – weit gefehlt. Bereits an Tag vier ist das Geld restlos aufgebraucht. Ich beschließe, früher abzureisen, denn ich kann es mir nicht weiter leisten. Eines möchte ich den Kindern aber noch schenken, und zwar einen Ausflug an den Strand. Damit liegen sie mir seit Tagen in den Ohren. Also chartern wir einen Bus, holen Fleisch- und Fischtaschen für vierzig Personen und machen uns auf den Weg.
Nach anfänglichem Zögern sind die Kids bald ganz begeistert von den Wellen des Atlantiks und planschen ausgelassen. Die Stimmung ist fröhlich und wir singen und tanzen am Strand bis kurz vor Sonnenuntergang. Ich bin glücklich und sie sind es auch.