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3 HOPE

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Ich heiße Hope. Das ist so ziemlich alles, was ich über mich weiß. Ich weiß nicht, wie alt ich bin. Die anderen Kinder schätzen mich auf fünf oder sechs Jahre, manche sagen, ich könnte aber auch älter sein. Denn wer auf der Straße aufwächst, wächst langsamer als andere. Zu essen gibt es nicht jeden Tag, schon gar nicht für die Allerkleinsten. Und zu denen gehöre ich. Ob ich da bin oder nicht, das ist den anderen egal, ich bin ihnen nur eine Last. Ich bin zu klein und zu schmächtig, um viel zu arbeiten oder irgendwo große Mengen an Nahrung zu stehlen.

Da ich nicht viel esse, lässt Saviour mich mitlaufen. Manchmal gibt er mir sogar etwas zu essen. Saviour ist schon dreizehn und unser Anführer. Ohne ihn wäre ich schutzlos und wüsste nicht, wie ich überleben sollte. Ich will auf keinen Fall ausgestoßen werden, deshalb spreche ich so wenig wie möglich und erfülle alle Aufträge sofort und klaglos. Ich komme, wenn ich gerufen werde, und mache mich unsichtbar, wenn man mich fortschickt. Ich weiß, dass mein Überleben von der Gutmütigkeit dieser Ausgestoßenen abhängt, von den Straßenkindern Ekets.

Wie ich nach Eket gekommen bin? Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass Eket nicht mein Zuhause ist. Zuhause. Manchmal setze ich mich an den Fluss, schließe die Augen und träume von einem Zuhause. Es sind Wunschträume, aber die Gefühle, die kommen von ganz tief in mir und sind eine Erinnerung an die Zeit, an die ich keine Erinnerung habe.

Weiche Sandpfade tun sich vor mir auf und über mir rauscht ganz sacht das Blätterdach der Bananenbäume. Ein leichter Windhauch weht eine angenehme Kühle über meinen Körper. Ich lächele. Vor einem kleinen Häuschen steht eine Frau, deren Gesicht ich nicht erkennen kann. Aber ich sehe, wie die Frau ihre Arme weit öffnet, um mich willkommen zu heißen. »Hope!« Ich breite ebenfalls die Arme aus und laufe auf die Frau zu: »Mama!« Wir umarmen uns und ein Gefühl der Vertrautheit und des Angekommenseins durchströmt mich. Nie wieder will ich diese Umarmung verlassen, nie mehr ein anderes Gefühl kennen. Es riecht nach Mangos und nach Kokosfett. So schön, so gut.

»Hope, koch das Hühnchen hier! Komm, mach schnell!« Saviour streckt mir das zappelnde Tier entgegen und entreißt mich meiner Traumwelt. Rasch springe ich auf, schnappe mir das Huhn und laufe zu meiner Freiluftküche, einer Feuerstelle unterhalb eines Baums.

Mit der rechten Hand grabe ich eine kleine Kuhle in den Boden, mit der linken Hand halte ich immer noch das Huhn. Ich köpfe es mit einer Machete und lasse es über der Kuhle ausbluten. Endlich hört es auf zu zappeln. Dann mache ich Wasser in dem großen Eisentopf heiß und werfe das ganze Huhn hinein, damit sich die Federn leichter ausrupfen lassen. Jetzt noch die Innereien entnehmen und in eine Schüssel tun. Die werde ich nachher säubern und eine Suppe daraus kochen.

Die älteren Kinder haben in der Zwischenzeit Gemüse und Gewürze zum Kochen bei mir abgeladen. Ich bereite daraus einen Eintopf mit Hühnereinlage. Alle schlagen sich den Bauch voll, für mich bleibt nichts übrig. Gut, dass ich mir einen Löffel beim Abschmecken genehmigt habe. Saviour winkt mich zu sich her. »Mach noch schnell die Suppe aus den Innereien, damit wir etwas für morgen haben. Davon kannst du etwas abhaben.«

Ich bin müde und kann mich kaum mehr auf den Beinen halten. Aber die Aussicht auf einen ganzen Teller voll Suppe lässt mich weiterarbeiten, bis ich kurz vor Sonnenuntergang endlich meinem zusammengekrampften Magen geben kann, wonach er sich schon so lange sehnt.

Zu meiner Bande gehören ungefähr zehn Kinder. Von Zeit zu Zeit stoßen neue Kinder hinzu und andere, die schon lange dabei waren, gehen, um woanders ihr Glück zu versuchen. Wir sind alle Hexenkinder, so wie die meisten Straßenkinder. Ich kenne die Geschichten der anderen, aber meine Geschichte kennt keiner, denn ich kenne sie selbst nicht.

Eines Tages stößt Deborah zu uns. Saviour ist in sie verknallt, das wissen wir alle. Wenn er sie nicht so toll finden würde, würde er sie nicht ohne Mutprobe in die Bande aufnehmen. Aber Deborah zeigt auch ohne Zwang allen, was sie kann. Sie hat sich den jungen Soldaten angeboten, die auf der Durchfahrt nach Aba sind. Ihr schöner, schlanker und makellos dunkelbrauner Körper verfehlt seine Wirkung nicht und so streiten sich bereits nach einer Minute drei Soldaten darum, wer sich mit Deborah vergnügen darf.

Ein großer, schöner junger Kerl gewinnt und sie verziehen sich in eines der schmutzigen Stundenmotels am Rand der Durchfahrtsstraße. Was Deborah dort tat oder tun musste, erzählt sie uns danach nicht. Sie schildert aber genüsslich, wie sie dem Soldaten seinen gesamten Wegzoll abgenommen hat, den er den ganzen Tag über von den Vorbeifahrenden eingezogen hatte: Als er auf die Toilette ging, zog sie das Geldbündel aus seiner Tasche und lief davon. Zehntausend Naira!!! So viel nehmen wir alle zusammen oft den gesamten Monat nicht ein! Und nun hat Deborah an einem Abend allein so viel erbeutet. Noch dazu ist es eine sichere Beute, denn die Soldaten bleiben nur einen Tag in der Stadt, sodass sie nicht nach uns Straßenkindern suchen können.

Saviour weist uns daraufhin an, ein Festmahl zu kochen. Afang-Eintopf mit Parawinkel-Einlage. Ich liebe die würzigen Parawinkelschnecken, die samt ihrem filigranen schwarzen Gehäuse in die Suppe geworfen werden und ihr den typischen Geschmack verleihen. Was für ein Luxus!

Obwohl unsere Teller schon lange blitzeblank geleckt sind, können wir es nicht lassen, mit der rechten Hand über das Essgeschirr zu fahren, um noch ein kleines bisschen länger an dem Geschmack und dem guten Gefühl eines vollen Bauches festzuhalten. Eine zufriedene Ruhe breitet sich zwischen uns aus.

»Woher kommt unsere fleißige Köchin?«, fragt Deborah und nickt in meine Richtung. Ich habe mal wieder die Hauptverantwortung beim Kochen getragen. In Mama Cynthia’s Imbiss habe ich gelernt, mit welchen Kniffen sich Laufkundschaft in Stammgäste verwandeln lässt.

Mein Leben für die Hexenkinder

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