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2. Sachlichkeitsgarantie

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Die herrschende Ansicht entnimmt Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG über das Bestimmtheitsgebot hinaus auch eine Sachlichkeitsgarantie.[118] Danach ist das Recht auf den gesetzlichen Richter auch dann verletzt, wenn sich der Bürger vor Gericht einem Richter gegenübersieht, der nicht den Anforderungen der Art. 92, 97 GG entspricht (die damit über Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG verfassungsbeschwerdefähig gemacht werden).[119] Aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG ergibt sich mithin auch ein Anspruch des mit einem Gerichtsverfahren konfrontierten Bürgers auf einen Richter, der unabhängig und unparteilich ist und die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet.[120] Aus dem Vorstehenden ergibt sich weiter eine Verpflichtung des Gesetzgebers, durch Schaffung entsprechender Regelungen dafür Vorsorge zu treffen, dass ein Richter, der nicht die Gewähr der Unparteilichkeit bietet, von der Ausübung seines Amtes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden kann (vgl. dazu die §§ 22 ff. StPO).[121] Auch in diesem Zusammenhang soll die fehlerhafte Anwendung der gesetzlichen Regelungen allerdings erst dann einen Verfassungsverstoß begründen, wenn die Entscheidung willkürlich oder offensichtlich unhaltbar ist oder Bedeutung und Tragweite des Rechts auf den gesetzlichen Richter grundlegend verkennt.[122] Die Überbeanspruchung eines einzelnen Richters oder eines Spruchkörpers betrifft – unabhängig davon, ob eine solche tatsächlich vorliegt – nicht den Anspruch auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG.[123]

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Umstritten sind die Voraussetzungen, unter denen ein vorbefasster Richter von der Mitwirkung an Entscheidungen im Wiederaufnahmeverfahren ausgeschlossen ist. Die Vorschrift des § 23 Abs. 2 S. 1 StPO verlangt hierfür eine Mitwirkung an der mit dem Wiederaufnahmeantrag angefochtenen Entscheidung, was nach der oben (Rn. 17) erwähnten Formel eine unmittelbare Beteiligung des Richters in seiner richterlichen Funktion an der Urteilsfindung voraussetzt. Nach Ansicht der Senatsmehrheit in zwei Entscheidungen des BVerfG hat weder der Ergänzungsrichter noch der lediglich am Eröffnungsbeschluss beteiligte Richter in diesem Sinne an der angefochtenen Entscheidung „mitgewirkt“,[124] wohl aber ein Richter, der an der Entscheidung über die Revision gegen das Urteil beteiligt war.[125] Die abweichende Meinung zur erstgenannten Entscheidung macht durchaus überzeugend geltend, der Ergänzungsrichter wirke über die mit der (passiven) Rezeption des Verfahrensganges zwangsläufig verbundene innere Beteiligung hinaus durch die Ausübung oder Nichtausübung des Fragerechts[126] auch aktiv auf den Prozessstoff ein und erscheine daher aus der Perspektive des Angeklagten nicht mehr als „neutral, distanziert, unbeteiligt“.[127] Die innere und äußere Beteiligung am Zustandekommen der Ausgangsentscheidung weckt in der Tat berechtigte Zweifel an der Fähigkeit des früheren Ergänzungsrichters zu einer unvoreingenommenen Mitwirkung am Wiederaufnahmeverfahren.[128] Diese Zweifel gelten erst recht für die erneute Sachbefassung eines Richters, der an einer vom Revisionsgericht aufgehobenen Entscheidung mitgewirkt hat. Die höchstrichterliche Rechtsprechung steht gleichwohl auf dem Standpunkt, dass der vorbefasste Richter nicht „automatisch“ von der Mitwirkung an der erneuten Hauptverhandlung ausgeschlossen ist und konstatiert, es bestehe „kein Grund zu der Besorgnis, Richter könnten schon allein deshalb voreingenommen sein, weil ihr Urteil aufgehoben worden ist“.[129] Die Gewährung eines derartigen Vertrauensvorschusses erscheint aus sozialpsychologischer Perspektive wenig plausibel.[130]

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