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1. Anwendungsbereich, Anspruchsberechtigte und Gewährleistungsgehalt

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Ausschlaggebend für die verfassungsrechtliche Garantie ist der Gedanke, dass jeder an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligte die Gelegenheit erhalten muss, durch sachlich fundierten Vortrag die Willensbildung des Gerichts zu beeinflussen.[138] Auf die Situation des Beschuldigten im Strafverfahren gewendet bedeutet dies, dass er die Möglichkeit haben und auch tatsächlich ausüben können muss, „auf das Verfahren einzuwirken, sich persönlich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu äußern, entlastende Umstände vorzutragen, deren umfassende und erschöpfende Nachprüfung und gegebenenfalls auch Berücksichtigung zu erreichen“.[139] Anspruchsberechtigt ist jedoch nicht nur der Beschuldigte, sondern grundsätzlich jeder, der von der gerichtlichen Entscheidung betroffen werden kann,[140] mithin etwa auch der Nebenkläger und der Privatkläger.[141] Die Staatsanwaltschaft kann sich hingegen nach zutreffender Ansicht lediglich auf die ihr einfachgesetzlich eingeräumten Ansprüche auf Gehörsgewährung berufen.[142]

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Die Gewährung rechtlichen Gehörs dient der Stärkung der Subjektstellung der Verfahrensbeteiligten und soll verhindern, dass diese zum bloßen Objekt des Verfahrens gemacht werden;[143] sie erweist sich damit als Ausprägung der Menschenwürdegarantie (Art. 1 Abs. 1 GG) und ist zugleich Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG).[144] Aus dem Vorstehenden ergibt sich eine Doppelstruktur des Art. 103 Abs. 1 GG, der zum einen ein subjektives Recht des Grundrechtsträgers begründet und zum anderen ein objektiv-rechtliches Prinzip normiert, welches elementare Mindeststandards für gerichtliche Verfahren unter der Geltung des Grundgesetzes sichert.[145] Für den Gesetzgeber ergibt sich hieraus eine Pflicht zur Gewährleistung der durch Art. 103 Abs. 1 GG geforderten Mindeststandards, deren Verletzung mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden kann.[146] Jenseits dieser rechtsstaatlichen Mindeststandards wird rechtliches Gehör nach Maßgabe des einfachen Rechts gewährt; das BVerfG prüft hier im Rahmen des Verfassungsbeschwerdeverfahrens lediglich, ob die Bedeutung des Art. 103 Abs. 1 GG bei der Anwendung des einfachen Rechts verkannt worden ist.[147] Neben dem Gesetzgeber bindet Art. 103 Abs. 1 GG ausschließlich die Gerichte, nicht hingegen die Strafverfolgungsbehörden, deren verfassungsrechtliche Pflicht, dem Beschuldigten im Ermittlungsverfahren rechtliches Gehör zu gewähren, sich jedoch unmittelbar aus dem Rechtsstaatsprinzip ergibt.[148]

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Wie bereits dargelegt, soll der Anspruch auf rechtliches Gehör sicherstellen, dass grundsätzlich in einer gerichtlichen Entscheidung kein Tatsachenstoff verwertet wird, zu dem der von ihm Betroffene nicht vollständig und in Kenntnis seiner potentiellen rechtlichen Bedeutung hat Stellung nehmen können; darüber hinaus folgt aus Art. 103 Abs. 1 GG auch ein Anspruch darauf, dass die Stellungnahme des Verfahrensbeteiligten inhaltlich vom Gericht zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidung berücksichtigt wird.[149] Aus dem Gesagten lassen sich drei „Verwirklichungsstufen“[150] des Anspruches aus Art. 103 Abs. 1 GG ableiten, die auch bei der Ausgestaltung der Rechtsstellung der Verfahrensbeteiligten im Strafverfahren zu berücksichtigen sind: Im Zentrum steht das Äußerungsrecht, für dessen effektive Wahrnehmung der Verfahrensbeteiligte auf die vorherige Information über den rechtlich relevanten Verfahrensstoff angewiesen ist. Darüber hinaus besteht eine Pflicht des Gerichts, das durch den Verfahrensbeteiligten Geäußerte bei seiner Entscheidung auch zu berücksichtigen.[151]

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Als Vorwirkung aus Art. 103 Abs. 1 GG besteht mithin zunächst ein Anspruch des Verfahrensbeteiligten auf Information über alle tatsächlichen Grundlagen der zu treffenden Entscheidung, durch die er beschwert sein kann.[152] Werden strafprozessuale Eingriffsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren gem. § 33 Abs. 4 StPO ohne vorherige Anhörung des Betroffenen gerichtlich angeordnet, so ist das rechtliche Gehör jedenfalls im Beschwerdeverfahren nachträglich zu gewähren; hier darf die Beschwerdeentscheidung nicht ergehen, bevor die aus sachlichen Gründen zunächst verwehrte Akteneinsicht gewährt wurde und der Beschwerdeführer sich umfassend äußern konnte (vgl. für die Entscheidung über die Anordnung bzw. Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft § 147 Abs. 2 S. 2 StPO).[153] Zu einem „Rechtsgespräch“ ist das Gericht hingegen nach herrschender Meinung nicht verpflichtet; jedoch trifft das Gericht nach zutreffender Ansicht eine Pflicht, die Verfahrensbeteiligten auch auf rechtliche Gesichtspunkte hinzuweisen, wenn dies für eine effektive Wahrnehmung des Äußerungsrechts erforderlich erscheint.[154] Einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG hat das BVerfG daher zu Recht auch darin gesehen, dass das Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Verfahrensbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte.[155] Einfachgesetzliche Ausprägungen dieses Anspruches finden sich beispielsweise in den §§ 136 Abs. 1 S. 1, 163a Abs. 4 S. 2 StPO, soweit diese auch eine Eröffnung der in Betracht kommenden Strafvorschriften vorschreiben, sowie in § 265 StPO, der die gerichtliche Hinweispflicht bei Veränderungen des rechtlichen Gesichtspunktes oder der Sachlage[156] normiert. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass eine Gehörsrüge nur dann Erfolg hat, wenn die angefochtene gerichtliche Entscheidung auf der Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG beruht.[157] Eine Verletzung des Anspruches auf rechtliches Gehör kann darüber hinaus etwa in der Nichtzuleitung von Stellungnahmen der Gegenseite,[158] in der Ablehnung eines Beweisantrages[159] oder in der Nichtberücksichtigung von wesentlichem Vorbringen eines Verfahrensbeteiligten liegen. Zwar zwingt Art. 103 Abs. 1 GG die Gerichte nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht dazu, jedes Vorbringen ausdrücklich zu bescheiden; eine Gehörsverletzung kann jedoch anzunehmen sein, wenn besondere Umstände den Schluss zulassen, das Gericht habe das Vorbringen eines Verfahrensbeteiligten bei seiner Entscheidung entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen. Geht das Gericht in seinen Entscheidungsgründen auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags eines Prozessbeteiligten zu einer Frage nicht ein, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert war.[160]

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