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5. Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Anordnung und Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft

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Das BVerfG hat schon früh im sog. Wencker-Beschluss auf „das Spannungsverhältnis zwischen dem in Art. 2 Abs. 2 und Art. 104 GG gewährleisteten Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit und den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung“ hingewiesen, das im Rechtsinstitut der Untersuchungshaft in besonderem Maße sichtbar wird.[333] Das Gericht betonte den Ausnahmecharakter, der einer lediglich auf Verdachtsgründe gestützten Freiheitsentziehung in einem Rechtsstaat zukommen müsse, und hob hervor, dass „den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen ständig der Freiheitsanspruch des noch nicht verurteilten Beschuldigten als Korrektiv entgegengehalten“ werden müsse.[334] Anordnung und Vollzug von Untersuchungshaft müssten vom Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beherrscht werden; der Eingriff in die Freiheit sei nur hinzunehmen, wenn und soweit erstens wegen dringenden, auf konkrete Anhaltspunkte gestützten Tatverdachts begründete Zweifel an der Unschuld des Verdächtigen bestünden und zweitens der legitime Anspruch der staatlichen Gemeinschaft auf vollständige und rasche Bestrafung des Täters nicht anders als durch die vorläufige Inhaftierung des Verdächtigen gesichert werden könne. Die Verfolgung anderer Zwecke durch die Untersuchungshaft sei grundsätzlich ausgeschlossen; namentlich dürfe sie nicht nach Art einer Strafe den Rechtsgüterschutz vorwegnehmen, dessen Verwirklichung das materielle Strafrecht dienen solle.[335] In einem deutlichen Kontrast zu diesen verfassungsrechtlichen Leitlinien stehen Berichte aus der Praxis, die einen instrumentellen Einsatz des Rechtsinstituts zur Verfolgung sog. apokrypher Haftgründe (etwa mit dem Ziel der Geständniserzwingung) nahelegen.[336]

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Dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kommt nach der Rechtsprechung des BVerfG auch Bedeutung für die Frage zu, unter welchen Voraussetzungen eine einmal angeordnete Untersuchungshaft aufrechterhalten werden darf.[337] Danach ist zum einen zu berücksichtigen, dass sich mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft das Gewicht des Freiheitsanspruchs des Beschuldigten gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung vergrößern kann[338] und regelmäßig vergrößern wird.[339] Zum anderen darf die Dauer der Untersuchungshaft nicht außer Verhältnis zu der voraussichtlich zu erwartenden Strafe stehen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit setzt der Haftdauer jedoch nach Auffassung des Gerichts auch unabhängig von der zu erwartenden Strafe Grenzen. Das damit angesprochene, grund- und menschenrechtlich verankerte Beschleunigungsgebot[340] verlange, dass die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um die notwendigen Ermittlungen so schnell wie möglich abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die dem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen.[341] Eine unzureichende personelle und sachliche Ausstattung entlaste insoweit nicht.[342] Komme es auf Grund vermeidbarer Fehler der Justizorgane zu einer erheblichen Verzögerung des Verfahrens, so stehe dies der Anordnung der Haftfortdauer entgegen.[343]

Handbuch des Strafrechts

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