Читать книгу Handbuch des Strafrechts - Manuel Ladiges - Страница 113

III. Nulla poena sine lege (Art. 103 Abs. 2 GG)

Оглавление

40

Nach Art. 103 Abs. 2 GG darf eine Person nur dann bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde (vgl. auch § 1 StGB). Untergliedert wird diese Garantiefunktion des Strafrechts durch vier Aspekte: Davon umfasst ist zunächst das Bestimmtheitsgebot (nulla poena sine lege certa). Ergänzt wird dieses durch das Rückwirkungsverbot (nulla poena sine lege praevia), das Analogieverbot (nulla poena sine lege stricta) sowie das Verbot strafbegründenden oder strafschärfenden Gewohnheitsrechts (nulla poena sine lege scripta).[195] Die in Art. 103 Abs. 2 GG verankerte Garantiefunktion stellt eine Konkretisierung allgemeiner rechtsstaatlicher Anforderungen für den Bereich des Strafrechts dar;[196] sie soll den Bürger vor der willkürlichen Ausübung staatlicher Strafgewalt schützen[197] und diesem ermöglichen, zu erkennen, welche Handlungen strafrechtlich sanktioniert sind, damit er seine Tätigkeiten danach ausrichten kann.[198]

41

Eine nähere Behandlung des Grundsatzes im vorliegenden Zusammenhang erübrigt sich, da ihm ausschließlich Anforderungen an die Ausgestaltung und Anwendung des materiellen Strafrechts zu entnehmen sind; für Vorschriften des Strafverfahrensrechts beansprucht er hingegen grundsätzlich keine Geltung.[199] Die Anforderungen an Normenklarheit und Tatbestandsbestimmtheit ergeben sich für diese Vorschriften aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG).[200] Auch verfahrensrechtliche Regelungen können danach allerdings ihrer Bedeutung und ihres Gewichts wegen ausnahmsweise in gleichem Maße schutzwürdig sein wie die von Art. 103 Abs. 2 GG erfassten Positionen des materiellen Rechts.[201]

42

Den Gegenstand eines durch den 2. Strafsenat des BGH initiierten Vorlageverfahrens vor dem Großen Senat für Strafsachen bildete die Frage, ob es sich bei dem richterrechtlich entwickelten Institut der echten Wahlfeststellung (oder auch: gesetzesalternativen Verurteilung, im konkreten Fall wegen gewerbsmäßig begangenen Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei) lediglich um eine den Zweifelssatz einschränkende „prozessuale Entscheidungsregel“[202] handelt, die nicht an Art. 103 Abs. 2 GG zu messen ist, oder (zumindest auch) um eine materiell-rechtliche Bestimmung der „Strafbarkeit“ i.S.d. Art. 103 Abs. 2 GG.[203] Mit Beschluss vom 8. Mai 2017 hat der Große Senat entschieden, dass die gesetzesalternative Verurteilung wegen (gewerbsmäßig begangenen) Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei entsprechend den zum Rechtsinstitut der Wahlfeststellung durch den BGH entwickelten Grundsätzen auch weiterhin zulässig ist.[204] Die gegen die anschließende Verwerfung der zugrunde liegenden Revisionen[205] gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde von der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts nicht zur Entscheidung angenommen.[206] Die besseren Gründe hätten allerdings dafür gesprochen, mit dem 2. Strafsenat und Teilen des Schrifttums[207] einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG anzunehmen: Zunächst ist festzuhalten, dass die von der herrschenden Meinung zur Begründung angeführten Erwägungen materieller Gerechtigkeit und kriminalpolitischer Notwendigkeit prinzipiell ungeeignet sind, Abstriche bei der Bestimmung des Gewährleistungsgehaltes des (abwägungsfesten) Gesetzlichkeitsprinzips aus Art. 103 Abs. 2 GG zu rechtfertigen. Der Verfassungsgeber hat den in den hier in Rede stehenden Sachverhaltskonstellationen virulenten Konflikt zwischen Rechtssicherheit und materieller Gerechtigkeit bereits eindeutig entschieden und einer Relativierung der von Verfassungs wegen zu beachtenden Anforderungen im Wege richterlicher Rechtsfortbildung eine Absage erteilt.[208] Die Lösung der damit aufgeworfenen Legitimitätsfrage ist mit Frister aus der Aufgabe staatlichen Strafens zu entwickeln, die mit der Theorie der positiven Generalprävention in der Wiederherstellung der durch die Straftat infrage gestellten Normgeltung zu sehen ist.[209] Für die Erfüllung dieser Aufgabe reicht jedoch die mit der gesetzesalternativen Verurteilung getroffene Feststellung, dass der Angeklagte irgendeine Norm verletzt habe, nicht aus; vielmehr bedarf es zur Symbolisierung der Normgeltung der Feststellung der Verletzung einer bestimmten Norm.[210] Indem die gesetzesalternative Verurteilung diese Konkretisierung schuldig bleibt, verfehlt sie mithin die Aufgabe staatlichen Strafens.

Handbuch des Strafrechts

Подняться наверх