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VII. Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit
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Nach der Rechtsprechung des BVerfG bildet die Ermittlung des wahren Sachverhalts, zu der Strafverfolgungsbehörden und Gerichte gem. §§ 160 Abs. 1, 244 Abs. 2, 261 StPO verpflichtet sind, das zentrale Anliegen des Strafprozesses und die Grundvoraussetzung für die Verwirklichung des verfassungsrechtlich verbürgten Schuldprinzips.[346] Geradezu sprichwörtlich ist jedoch auch die korrespondierende Feststellung, „dass die Wahrheit nicht um jeden Preis, sondern nur auf ‚justizförmige‘ Weise, d.h. in einem rechtsstaatlich geordneten Verfahren erforscht werden darf“.[347] Die Wahrheitserforschungspflicht wird daher durch klassische strafprozessuale Gewährleistungen wie beispielsweise die Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechte gem. §§ 52 ff. StPO, das Schweigerecht des Beschuldigten i.S.d. §§ 136 Abs. 1 S. 2, 243 Abs. 5 S. 1 StPO oder das Verbot bestimmter Vernehmungsmethoden in § 136a StPO begrenzt; hinzu treten die Grundrechte des Beschuldigten und dritter Personen[348] als Schranken für Maßnahmen der Sachverhaltsaufklärung.[349]
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Kritikwürdig erscheint der Selbstbetrug des Gesetzgebers, der in § 257c Abs. 1 S. 2 StPO mit Blick auf Verständigungen im Strafverfahren geradezu kontrafaktisch konstatiert, § 244 Abs. 2 StPO bleibe „unberührt“. Nicht zuletzt dem im Auftrag des BVerfG von Altenhain erstatteten Gutachten lassen sich genügend Belege für die mangelnde Bereitschaft vieler Gerichte zu einer angemessenen Überprüfung verständigungsbasierter (sog. „schlanker“) Geständnisse entnehmen.[350] Die von Altenhain erhobenen Rechtstatsachen lassen den Schluss zu, dass es um die Verwirklichung des Amtsaufklärungsgrundsatzes in Verfahren, die durch eine Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten beendet werden, schlecht bestellt ist. Entgegen einer teilweise im Schrifttum vertretenen Ansicht[351] erscheint im Übrigen auch eine konsenstheoretische Deutung des § 244 Abs. 2 StPO nicht geeignet, die mit der Verständigungspraxis verbundene Erosion der legitimatorischen Grundlagen staatlichen Strafens aufzuhalten.[352] Ungeachtet der Billigung, welche die durch das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren[353] eingeführten Vorschriften durch das BVerfG erfahren haben,[354] sollte daher weiterhin über legislative Maßnahmen zur Domestizierung der Absprachepraxis nachgedacht werden.[355]