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III. Schuldgrundsatz
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Das deutsche Strafrecht wird auch als „Schuldstrafrecht“ bezeichnet, da es maßgeblich durch den Schuldgrundsatz (nulla poena sine culpa) geprägt wird.[245] Die Schuld bildet neben der Tatbestandsmäßigkeit und der Rechtswidrigkeit die dritte Wertungsstufe für strafrechtlich relevantes Verhalten; ihr kommt jedoch nicht nur strafbegründende, sondern auch straflimitierende Funktion – im Sinne einer Begrenzung des Umfangs der Bestrafung – zu.[246] Nach der Rechtsprechung des BVerfG setzt der Schuldgrundsatz „die Eigenverantwortung des Menschen voraus, der sein Handeln selbst bestimmt und sich kraft seiner Willensfreiheit zwischen Recht und Unrecht entscheiden kann“. Danach liegt dem in Art. 1 Abs. 1 GG verbürgten Menschenwürdeschutz „die Vorstellung vom Menschen als einem geistig-sittlichen Wesen zugrunde, das darauf angelegt ist, sich in Freiheit selbst zu bestimmen und zu entfalten“.[247] In der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung wird dem Schuldgrundsatz mithin Verfassungsrang zuerkannt; seine Wurzeln werden in der Garantie der Würde und Eigenverantwortlichkeit des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) sowie im Rechtsstaatsprinzip gesehen.[248] Aufgrund seiner partiellen Fundierung in Art. 1 Abs. 1 GG gehört der Schuldgrundsatz schließlich auch zu der durch Art. 79 Abs. 3 GG für unverfügbar erklärten Verfassungsidentität, die auch vor Eingriffen durch die supranational ausgeübte öffentliche Gewalt geschützt ist.[249] Der Schuldgrundsatz ist daher auch bei einer Auslieferung zur Vollstreckung eines in Abwesenheit des Verurteilten ergangenen Strafurteils zu wahren.[250]
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Während die primäre Bedeutung des Schuldgrundsatzes im Bereich des materiellen Rechts liegt, entnimmt das BVerfG ihm auch Anforderungen an die Ermittlung des Sachverhalts.[251] Mit Blick auf die Ausgestaltung verfahrensbeendender Absprachen schließt es das Schuldprinzip etwa aus, die Wahrheitserforschung, die rechtliche Subsumtion oder die Strafzumessung zur freien Disposition der Verfahrensbeteiligten und des Gerichts zu stellen. Staatsanwaltschaft und Gericht dürfen sich nicht auf einen „Vergleich“ im Gewande des Urteils, auf einen „Handel mit der Gerechtigkeit“ einlassen.[252] Bedauerlicherweise hat das Gericht die durch den von ihm beauftragten Sachverständigen Altenhain aufgezeigten Defizite in der Anwendungspraxis des § 257c StPO[253] nicht zum Anlass genommen, den Gesetzgeber zu einer grundlegenden Reform der rechtlichen Rahmenbedingungen konsensbedingt abgekürzter Verfahren aufzufordern.[254]