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II. Prozessuale Fürsorgepflicht der Gerichte und Strafverfolgungsbehörden
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Es ist allgemein anerkannt, dass auch das Gericht in Strafsachen eine prozessuale Fürsorgepflicht gegenüber den Verfahrensbeteiligten trifft, denen eine sachgerechte Wahrnehmung ihrer prozessualen Befugnisse zu ermöglichen ist.[233] Zur Begründung wird neben dem Fairnessgrundsatz[234] auch auf das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3, 28 Abs. 1 S. 1 GG)[235] rekurriert; dabei gilt das Verhältnis des Fürsorgegrundsatzes zum Recht auf ein faires Verfahren nach wie vor als unklar.[236] Nach Ansicht von Roxin und Schünemann bildet die prozessuale Fürsorgepflicht „das wichtigste Regulativ für eine fair gehandhabte Inquisitionsmaxime“.[237] Die Pflicht besteht nicht nur gegenüber dem Beschuldigten, sondern auch gegenüber anderen Verfahrensbeteiligten wie z.B. Zeugen;[238] sie bindet neben dem Gericht auch die Strafverfolgungsbehörden im Ermittlungsverfahren.[239]
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Bedeutsame einfachgesetzliche Konkretisierungen der prozessualen Fürsorgepflicht des Gerichtes finden sich in den Hinweispflichten (§ 265 Abs. 1 und 2 StPO) sowie in der Pflicht, den Verfahrensbeteiligten eine angemessene Vorbereitung auf eine veränderte Sachlage zu gewähren (§§ 145 Abs. 3, 265 Abs. 3 und 4 StPO).[240] Im Privatklageverfahren hat das Gericht die Objektivität der Verhandlungsführung zu gewährleisten; es hat Benachteiligungen des Privatbeklagten entgegenzuwirken[241] und muss gerade dann in besonderem Maße auf Ausgleich bedacht sein, wenn nur auf einer Seite ein Rechtsbeistand auftritt.[242] Aus der prozessualen Fürsorgepflicht ergibt sich des Weiteren eine Pflicht der Gerichte, im Falle offensichtlicher eigener Unzuständigkeit den fehlgeleiteten Schriftsatz im Rahmen des üblichen Geschäftsgangs an das zuständige Gericht weiterzuleiten. Hingegen besteht keine generelle Verpflichtung zur sofortigen Prüfung der Zuständigkeit für eine Rechtsmittelschrift bei deren Eingang.[243] Keine Grundlage bildet die prozessuale Fürsorgepflicht für aufgedrängte Fürsorge: So können etwa Eingriffe in das Verteidigungsverhältnis nicht mit dem Fürsorgegedanken gerechtfertigt werden.[244]