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I. Recht auf ein faires Verfahren

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Das Recht auf ein faires Verfahren soll sicherstellen, dass dem Angeklagten ein „Mindestbestand an aktiven verfahrensrechtlichen Befugnissen“[207] zur Verfügung steht; es gewährleistet dem Betroffenen, „prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde wahrnehmen und Übergriffe der staatlichen Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu können“.[208] Aus dem Fairnessgrundsatz hat das BVerfG des Weiteren die Forderung nach der Gewährleistung einer gewissen „Waffengleichheit“ von Strafverfolgungsbehörden und Beschuldigtem im Strafprozess abgeleitet,[209] diese jedoch sogleich dahingehend relativiert, dass nicht alle verfahrensspezifischen Unterschiede in der Rollenverteilung ausgeglichen werden müssten.[210] Selbst wenn man die Umsetzungschancen des Konzeptes der „Waffengleichheit“ unter den durch Macht- und Informationsasymmetrien sowie unterschiedliche Rollenzuweisungen geprägten Bedingungen des Strafprozesses eher zurückhaltend beurteilt, erscheint eine stärkere Beachtung vor allem im traditionell durch die Strafverfolgungsbehörden dominierten Ermittlungsverfahren durchaus wünschenswert.[211]

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Während das Recht auf ein faires Verfahren in Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK ausdrücklich normiert ist, findet es im deutschen Grundgesetz keine explizite Erwähnung. Nach der Rechtsprechung des BVerfG wurzelt es im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und in Art. 2 Abs. 1 GG; darüber hinaus werden Verbindungen zu den verfahrenstypischen Bedrohungen des Rechts auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG) sowie zur Menschenwürdegarantie aufgezeigt.[212] Am Recht auf ein faires Verfahren werden Beschränkungen Verfahrensbeteiligter gemessen, die von den speziellen Gewährleistungen nicht erfasst werden.[213] Dabei hebt das BVerfG in ständiger Rechtsprechung hervor, dass dem Fairnessgrundsatz keine in allen Einzelheiten bestimmten Ge- oder Verbote zu entnehmen sind; vielmehr sei seine Konkretisierung Aufgabe des Gesetzgebers und – in den vom Gesetz gezogenen Grenzen – auch der mit der Rechtsauslegung und -anwendung betrauten Gerichte.[214] Eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren nimmt das Gericht erst an, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht – auch in seiner Auslegung und Anwendung durch die Gerichte – ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben worden ist.[215] Dass im Rahmen dieser Gesamtschau nach Ansicht des BVerfG die „Erfordernisse einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege“ eine Art Gegenpol zu den Rechten des Beschuldigten bilden sollen,[216] wurde bereits im Rahmen der Einführung (Rn. 4) kritisiert.

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Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist beispielsweise das Recht auf eine vertrauliche Kommunikation zwischen dem Strafverteidiger und seinem Mandanten im Recht auf ein faires Verfahren verankert. Danach dürfen Mandanten nicht durch die Gefahr eines unbeschränkten Informationszugriffs der Strafverfolgungsbehörden an einer offenen, rückhaltlosen und vertrauensvollen Kommunikation mit ihren Verteidigern gehindert werden.[217] Eine Verletzung des Fairnessgrundsatzes liegt nach Ansicht des Gerichtes auch vor, wenn eine Verfahrensverbindung dazu führt, dass der Beschuldigte im Hinblick auf das Verbot der Mehrfachverteidigung den Verteidiger seines Vertrauens verliert.[218] Aus dem Recht auf ein faires Verfahren (und nicht aus dem als weniger sachnah bewerteten allgemeinen Willkürverbot) leitet das BVerfG darüber hinaus auch verfassungsrechtliche Anforderungen an die strafrichterliche Sachaufklärung und Beweiswürdigung her;[219] Gleiches gilt für das Recht des Angeklagten, durch die Stellung von Beweisanträgen aktiv an der Sachverhaltsaufklärung mitzuwirken.[220] Eine Verständigung i.S.d. § 257c StPO ist regelmäßig nur dann mit dem Fairnessgrundsatz zu vereinbaren, wenn der Angeklagte vor ihrem Zustandekommen nach § 257c Abs. 5 StPO über deren nur eingeschränkte Bindungswirkung für das Gericht belehrt worden ist.[221] Einem Rückgriff des Tatgerichts auf das Beweismittel des Zeugen vom „Hörensagen“ soll das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren hingegen nicht grundsätzlich entgegenstehen; es gelten jedoch besonders strenge Anforderungen an die Beweiswürdigung und an die Begründung der tatrichterlichen Entscheidung.[222] Die Billigung des BVerfG haben auch die in der Rechtsprechung des BGH entwickelten Leitlinien zum Konfrontationsrecht des Beschuldigten und zur Verwertbarkeit nicht konfrontierter Aussagen von Belastungszeugen bei der Urteilsfindung gefunden.[223]

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Noch nicht abschließend geklärt ist, wie sich das Recht auf ein faires Verfahren auf die Folgen einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation auswirkt.[224] Fraglich ist vor allem, wie mit Erkenntnissen umgegangen werden soll, die im Rahmen einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation[225] gewonnen wurden. Der BGH vertrat in der Vergangenheit mit Billigung des BVerfG[226] die sog. Strafzumessungslösung, nach welcher die rechtsstaatswidrige Tatprovokation lediglich bei der Rechtsfolgenbestimmung zu berücksichtigen ist.[227] In der Entscheidung zur Rechtssache Furcht gegen Deutschland aus dem Jahr 2014 konstatierte jedoch der EGMR, der schon in der Vergangenheit in vergleichbaren Fällen die Annahme eines umfassenden Beweisverwertungsverbotes favorisiert hatte,[228] dass die Vorgehensweise der deutschen Gerichte dem in Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK garantierten Recht auf ein faires Verfahren nicht gerecht werde und daher konventionswidrig sei.[229] Auch das Schrifttum kritisiert seit längerem die Haltung von BGH und BVerfG.[230] Der 2. Strafsenat des BGH hat die Forderung des EGMR in einer Entscheidung aus dem Jahr 2015 aufgegriffen, dabei jedoch hervorgehoben, dass ein umfassendes Beweisverwertungsverbot i.S.d. Rechtsprechung des EGMR in Widerspruch zu grundlegenden Wertungen des deutschen Strafrechtssystems – das insbesondere keine Fernwirkung anerkennt[231] – geraten würde. Stattdessen sei in Fällen rechtsstaatswidriger Tatprovokation regelmäßig ein Verfahrenshindernis anzunehmen.[232] Es bleibt abzuwarten, ob sich dieser Rechtsprechungswandel auch bei den anderen Senaten durchsetzen wird.

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