Читать книгу Höllentrip - Manuela Martini - Страница 21
Kapitel 17
ОглавлениеBrisbane. Montagnachmittag, drei Uhr, siebenundzwanzig Grad im Schatten. Sophie Grangé ließ sich auf den Beifahrersitz fallen, warf die Reisetasche auf den Rücksitz und schüttelte ihre Mähne. „Gold-Girl“, hatte sie der Visagist während der Dreharbeiten genannt und das hatte ihr natürlich gefallen.
Das australische Austauschjahr im Rahmen ihres Betriebswirtschaftsstudiums in Lyon war schon fast zur Hälfte vorbei, dachte sie wie inzwischen schon fast jeden Tag. Bisher hatten sie allerdings viel mehr Zeit am Strand der Goldcoast und in Byron Bay verbracht als in den Unterrichtsräumen. Und wenn schon - manchmal erinnerte sie ihr Leben an eine Schale Wasser, die sie auf einem langen, steinigen Weg tragen musste. Mit jedem Schritt aber verschüttete sie etwas, bis die Schale am Ende leer war. Das machte sie traurig und dann fühlte sie sich plötzlich uralt. Aber noch war der Aufenthalt noch nicht zu Ende. Ihr gefiel dieses Land. Sie liebte den Pazifik, die Strände – obwohl sie sonnenempfindliche Haut hatte – sie liebte die Offenheit und Entspanntheit der Menschen und vor allem die der Männer - und ihr gefiel die Tatsache, dass sich im Rücken der großen Städte ein Land öffnete, das voller Geheimnisse und Unbekanntheiten war. Kleine Abenteurerin, hatte ihre Mutter sie genannt, als sie sich, noch ein Kind, bis in die späten Abendstunden draußen herumtrieb.
„Catherine, wo bleibst du denn?“, rief sie und trommelte auf den Türgriff.
Was brauchte Catherine nur so lange? Immer sah sie zehnmal nach, damit sie nur nichts vergaßen. Sophie klappte die Sonnenblende herunter und überprüfte ihren Lippenstift. In der Hitze war Lipgloss das einzige, was sie ertragen konnte. Keine Wimperntusche, keinen Lidschatten und ganz gewiss keinen Lidstrich. Auf ihrer Oberlippe hatten sich kleine Schweißperlen gebildet und ein paar rötliche Hitzeflecken.
Sie lächelte ihrem Spiegelbild zu und klappte dann die Sonnenblende wieder hoch, zupfte die Spaghettiträger ihres hellblauen Sommerkleides zurecht und warf einen ungeduldigen Blick aus dem Seitenfenster.
Catherine, ihre Kommilitonin aus Lyon, hatte sich auch für das Jahr in Australien entschieden, und gemeinsam bewohnten sie das Apartment.
Hinter Catherine fiel die Haustür ins Schloss. Sie schleppte ihre Reisetasche – die wegen der Bücher wieder viel zu schwer geworden war - zum Kofferraum und warf ihn mit einem lauten Knall zu. Anders blieb er nicht geschlossen, hatte Toby gesagt, Sophies Freund. Er hatte ihn Sophie von irgendwoher besorgt – als sie die Gage für den Werbespot bekommen hatte. Catherine hatte von dem Casting gelesen und Sophie darauf aufmerksam gemacht. Ohne Catherine hätte Sophie gar nicht oder viel zu spät davon gehört. Und es war sie, Catherine, die fuhr, weil Sophie darauf keinen Wert legte – und weil sie es auch nicht besonders gut beherrschte, das Linksfahren. Doch Catherine hütete sich davor, dies Auszusprechen. Sophie würde sonst darauf bestehen, das Steuer zu übernehmen und das wollte sie sich ersparen. Sie öffnete die Fahrertür, ließ sich auf den Sitz fallen und putzte ihre runde Brille mit dem unteren Zipfel ihres mit großen türkis- und rosafarbenen Blüten bedruckten, engen Shirts, das leider etwas unter den Achseln zwickte aber ihren Busen hervorhob. Dem einzigen Körperteil, mit dem sie sich Sophie überlegen fühlte.
Sie war klein, etwas gedrungen, kurzsichtig und ihre schulterlangen glatten Haare wurden auch mit blonder Tönung nie so schön wie Sophies. Nur eben ihr Busen war einen Blick wert – mehr Blicke als der von Sophie. Die Bemerkung, dass schließlich doch nur die inneren Werte zählten, war eine schlechte Lüge, wahrscheinlich von einer wunderschönen Frau in die Welt gesetzt, die es nie erleben musste, was es bedeutete, nicht beachtet zu werden.
Für einen Moment befielen sie Zweifel, ob sie für die nächsten zwei Wochen, die sie bei Toby auf der Farm seiner Eltern verbringen würden, Sophies egozentrisches und kokettes Wesen ertragen könnte. In den letzten Wochen hatten sie immer wieder Streit gehabt.
„Hunger?“ Sophie hielt ihr ein Sandwich unter die Nase.
Catherine dachte an ihre beiden Speckröllchen, die sich über den Bund ihrer Jeans wölbten, griff dann aber doch zu. Gegen Essen fehlte ihr der Widerstand.
„Hast du dir kein Sandwich gemacht?“, fragte Catherine mit vollem Mund.
Sophie schüttelte den Kopf und kniff sich in den Bauch.
„Ich werd’ sonst zu fett.“
Wie gut kannte sie diese Antwort, die Frage hätte sie sich sparen können.
„Stimmt“, sagte Catherine, um sich wenigstens ein bisschen zu rächen.
Doch Sophie ignorierte die Bemerkung, zog die roten Sandalen aus, stellte ihre langen, schmalen Füße mit den in derselben Farbe lackierten Nägeln aufs Armaturenbrett und vertiefte sich in deren Anblick.
„Ist es nicht komisch, je länger ich Toby nicht sehe, um so mehr verliebe ich mich in ihn.“ Sie nippte an ihrer Mount Franklin-Wasserflasche.
Die Lippen ihres kleinen Mundes hatte sie ebenfalls in der Farbe ihrer Schuhe mit Lipgloss geschminkt, fiel Catherine auf, während sie sich den Rest des Sandwichs in den Mund stopfte.
„Du idealisierst ihn schon wieder.“
„Und wenn schon“, sagte Sophie mit einer Spur Trotz in der Stimme und zupfte an ihrem Kleid, das sie in einer Strandboutique in Surfers Paradise gekauft hatte.
Ohne das Gespräch weiterzuführen, ließ Catherine den Motor an und reihte sich in den Verkehr ein. Inzwischen war es schon kurz nach drei Uhr und sicher nicht die beste Zeit, um eine so lange Reise zu beginnen. Aber bis zur Dämmerung blieben ihnen noch ein paar Stunden. Wenn alles wie geplant lief, wären sie übermorgen, am Mittwoch Abend auf der Farm in Blackall.
„Vielleicht spüre ich gerade durch unser Getrenntsein unsere Verbindung?“, sagte Sophie unvermittelt als sie an einer Ampel hielten. Sie blickte Catherine aus ihren großen blauen Augen an.
Catherine schaltete den CD-Player an. Sie hatte keine Lust, sich mit Sophie wieder über diesen Surfertypen zu unterhalten. Er war sowieso nur ein weiteres Objekt, das Sophies Eitelkeit befriedigte. Aber das behielt sie für sich. Wenn es etwas Ernstes zwischen den beiden wäre, hätte Sophie diese Reise sicher allein gemacht. Schon während der Tage am Strand schien es ihr, als ob Sophie sich mit ihm langweilen würde. Und deshalb durfte Catherine sie begleiten – und weil es mit dem Auto und Catherine am Steuer - bequemer war. Sophie schüttelte ihr Haar und hört auf einmal auf zur Musik zu summen.
„Ich hab’ mich gerade gefragt, was passiert, wenn bei Toby Distanz genau das Gegenteil bewirkt?“,
„Ihr habt doch gestern telefoniert.“ Catherine bemühte sich, nicht gelangweilt zu klingen.
„Ja, sicher!“ Sophie nahm ihre Füße vom Armaturenbrett und starrte aus dem Seitenfenster.
Wie überraschend schnell sich ihre Stimmungen ändern können, dachte Catherine.
„Ich finde, er hat so anders geklungen“, Sophies Gesicht nahm jetzt einen gequälten Ausdruck an. „Als sei es ihm unangenehm, dass wir ihn bei seinen Eltern auf der Farm besuchen.“
Sie wollte sich eine Zigarette anzünden, doch Catherines Blick ließ sie die Schachtel wieder zuklappen. Catherine konnte es nicht ausstehen, wenn jemand im Auto rauchte. Und bisher hatte sich Sophie immer daran gehalten. Catherine bog in Richtung Ballone Highway ein. Um das Thema zu beenden, sagte Catherine:
„Wenn es uns dort langweilt fahren wir einfach weiter – oder wieder zurück.“
Sophie lächelte.
„Du bist meine beste Freundin, denn du bist die einzige, die mich wirklich versteht.“
Catherine lächelte nun auch. Sophie brauchte sie. So wie ihre Mutter sie brauchte und ihr Vater und ihre schöne, naive Schwester.
Der getönte Streifen am oberen Rand der Windschutzscheibe färbte den Himmel golden. Fast unmerklich hörte die Stadt auf. Häuser, Läden, Parkplätze – wie letzte Grenzfestungen in einem nicht besiegten Land, dachte sie.