Читать книгу Höllentrip - Manuela Martini - Страница 6
Kapitel 2
ОглавлениеVor der Tür eines weißen Ford Kombis hockte eine Gestalt auf dem Boden und rauchte eine Zigarette. Zu Ihren Füßen lag ein großer, zotteliger Hund, der nur müde mit dem Schwanz klopfte, als er Shane kommen sah. Jane hob den Kopf. Ihr Gesicht unter dem Akubra war bleich. Sie musste Mitte Vierzig sein, doch die Sonne des Buschs hatte ihre Haut um einige Jahre schneller altern lassen. Die Ärmeln ihres verwaschenen Jeanshemdes hatte sie über die Ellbogen aufgekrempelt. Ihre Unterarme sprenkelten unzählige Sommersprossen.
„Wie soll ich jetzt meine Fotos schießen?“, sagte sie als er vor ihr stand. „Die haben das Turnier abgeblasen.“ Ihre sommersprossige Hand mit der Zigarette zitterte. Sie stieß ein kurzes, heiseres Lachen aus. „Nicht zu fassen, was?“
Er wusste nicht, ob sie die Leiche meinte oder die Tatsache, dass das Turnier abgesagt wurde.
„Ich hab’ zuerst gedacht, Harvey hat ein Känguru oder so was gefunden, weil er sich so aufgeführt hat. Dann, als ich näher kam, sah es aus wie ein verwitterter weißer Ast“, sie saugte an der Zigarette, sah ihn noch immer nicht an, „dann hab’ ich mich gebückt und hab’ die Finger gesehen.“
In dem Moment sprang sie auf und stürzte hinter den Kofferraum. Harvey, der Hund, blickte Shane mit trüben Augen an. Shane hörte, wie sie sich übergab. Er wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Von hier aus konnte er über das weite, aufgewühlte Spielfeld sehen, an dessen Rändern in der glühenden Hitze Autos und Pferdeanhänger zwischen Klappstühlen parkten. Polocrosse-Spieler und Zuschauer, sicher fast hundert Menschen, hatten sich in den Schatten der Bäume und unter das Dach eines Wellblechverschlag auf der anderen Seite des Spielfeldes zurückgezogen. Von weitem sah er ihre Tricots, Helme und Hüte. Mit Polocrosse, einer Kombination aus Polo und Lacrosse, bei dem zwei Mannschaften auf Pferden mit einem Schläger, der am Ende einen Korb aus Netz hatte, einem Ball hinterher jagten und ihn ins gegnerische Tor zu werfen versuchten, hatte er sich noch nie näher beschäftigt. Er verstand weder etwas von Pferden noch von Lacrosse oder Polo. Doch wenn er einmal Gelegenheit zum Zuschauen gehabt hatte, dann musste er feststellen, dass ihn die Wendigkeit und Kraft der Pferde und die Schnelligkeit und Geschicklichkeit der Reiter sehr beeindruckte.
Zitternd und noch blasser kam die Fotografin hinter dem Wagen zurück. Sie trug zerschlissene braune Jeans und staubige, abgewetzte Boots und war kleiner als er sie im Sitzen eingeschätzt hatte.
„Sorry, aber ich hab’ so was noch nie gesehen.“ Sie atmete tief und blickte ihn endlich an. Ihm fiel die Leuchtkraft ihrer silbergrauen Augen auf.
„So endet es also“, meinte sie.
„Was?“
„Wie spät ist es?“, fragte sie plötzlich aufgeregt und suchte vergeblich an ihren nackten Armen eine Armbanduhr. „Haben Sie eine Ahnung, wie spät es ist?“
„Gleich fünf. Haben Sie eine Ahnung, wer die Tote sein könnte?“
Seine Frage ließ sie in ihrer hektischen Suche innehalten.
„Mit diesem Gesicht?“ Hastig schüttelte sie den Kopf, starrte ihn an.
Er dachte an das von Maden zerfressene Fleisch, die leeren Augenhöhlen. Selbst wenn die Tote eine Bekannte von Jane gewesen wäre, hätte sie sie in diesem Zustand nicht unbedingt identifizieren können.
„Kennen Sie die Leute da drüben?“ Er zeigte auf die Menschenmenge am anderen Ende des Spielfeldes. Anstatt zu antworten zündete sie sich eine neue Zigarette an. Langsam ließ sie den Rauch aus ihrer Nase quellen. Dann sagte sie:
„Das ist hier wie eine Familie. Jeder kennt jeden von irgendwoher oder über irgendwen. Ein aufwendiger Sport. Kostet viel Geld und Zeit.“
„Warum wird ausgerechnet hier eine Leiche vergraben?“, fragte Shane. Sie stieß den Rauch aus.
„Mein Gott, Detective, woher soll ich das wissen?“
Er antwortete nicht und sie musterte ihn und sagte schließlich:
„Fangen Sie am besten bei Barry Denham an.“
Auf seinen fragenden Blick hin fügte sie hinzu:
„Meinem Exmann.“ Sie warf die Zigarette in den Sand, trat mit ihrem Schuh die Glut tiefer als notwendig in die Erde. „Er hat nicht den besten Ruf“, sie sah ihn wieder an.
„Würden Sie ihm einen Mord zutrauen?“, fragte er und blies eine lästige Fliege von seiner Lippe.
„Detective!“, sagte sie unfreundlich. „Ich habe Ihnen nur gesagt, bei wem Sie anfangen können zu fragen. Mehr nicht.“ Sie zog die Oberlippe ein und ihre Augen flammten zornig auf. Er unterdrückte eine Bemerkung und fragte in sachlichem Ton:
„Kennen Sie das Hotel Chinchilla?“
Sie zog eine neue Zigarette aus der Packung.
„Ist eine ganz normale Kneipe“, sie wirkte abwesend, „so wie sie sie überall gibt.“
Er überließ es Tamara, die Personalien von Jane Denham aufzunehmen, setzte die Sonnenbrille wieder auf und sah hinüber auf die andere Seite des Spielfeldes, wo die Menschen sich in Gruppen zusammengedrängt hatten.
Schweiß lief ihm in die Augen als er endlich am Wellblech-Kiosk angelangt war. Er hatte die Ausdehnung des Spielfeldes unterschätzt. Und einen Hut vergessen. Die Leute beobachteten ihn schweigend, vier ortsansässige Kollegen in Uniform nickten ihm zu.
„Detective O’Connor, Homicide Squad“, sagte er laut, hielt seinen Ausweis hoch, auf dessen Lichtbild sein gelocktes Haar noch mehr dunkelbraun als grau war, „hinter dem Spielfeld ist die Leiche einer jungen Frau gefunden worden. Ich möchte Sie bitten, hier zu bleiben und meinen Kollegen alles zu berichten, was Ihnen aufgefallen ist.“
Sie sahen ihn, den Detective aus der Stadt, abschätzend an. Ein Mann, um die fünfundvierzig, stiernackig, mit kompakten Oberkörper und Beinen, lehnte an der Theke des Kiosks und griff nach einer Flasche.
„Eine Coke, Detective?“
Shane nickte dankbar.
„Barry Denham“, sagte der Mann und gab ihm die geöffnete Flasche. „Ich hab’ Sie mit Jane drüben gesehen.“ Er sprach gedehnt, lässig, wie jemand, dem man besser nicht in die Quere kam. Barry nahm einen Schluck aus der Bierflasche. Ihre Augen ähneln sich, dachte Shane. Seine kieselblauen und Janes silbergraue. Ein Grinsen zog sich über Barrys narbiges Gesicht. Wahrscheinlich hatte er in seiner Jugend an Akne gelitten. Dennoch war er das, was man attraktiv nennen würde. Barry trug enge Reithosen, die seine muskulösen Beine hervortreten ließen und am Hintern und an den Knien von Dreck verschmiert waren. Sein grünes Trikot mit der Nummer acht war schweißdurchtränkt. Seine Bewegungen, wie er die Flasche nahm und wie er so auf einen Ellbogen gestützt an der Theke lehnte, waren energisch und zielbewusst, und wenn er lachte, blitzten seine gesunden Zähne. Ein Typ, der genau wusste, was er wollte – und davon überzeugt war, Recht zu haben. Ein paar Männer raunten sich untereinander etwas zu, drei Jungs in Spielertricots begannen eine leere Bierdose herum zu kicken. Ein Hund bellte und stürzte auf die Dose, biss hinein, die Jungs lachten und einer von ihnen warf eine neue auf den Boden. Der Hund hielt inne, im Konflikt, ob er die alte Dose aufgeben und sich die neue schnappen oder sich mit der alten zufrieden geben solle. Noch nicht einmal bellen konnte er mit der Dose im Maul. Die Jungs spielten weiter.
Shane schüttete die kalte Coke hinunter, ahnte, dass er gleich noch mehr schwitzen würde, obwohl er im Schatten stand. Barry wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und blinzelte in die gleißende Helligkeit, die sich jenseits des schattenspendenden Blechdachs endlos ausdehnte. Seine Hände waren rissig und aufgeschürft. Shane blickte ihm ins Gesicht. Er musste beginnen, seine Fragen zu stellen, Antworten anzuhören – dreiste Lügen, Unverschämtheiten und Beleidigungen.
„Fand letzte Woche hier auch ein Turnier statt?“, fing er also an.
„Nein. Aber ein paar aus der Gegend haben ein bisschen trainiert“, antwortete ein älterer Mann mit lederner Haut, der neben Barry an der Theke stand.
„Wer wusste, dass hier ein Turnier stattfinden würde?“
„Jeder, der sich dafür interessiert hat!“, sagte nun eine dicke Frau, die auf einem der wenigen Stühle saß und ein Kind mit hängendem Kopf und schlaffen Armen wie eine Puppe, an sich drückte. „Gab ja überall Plakate“.
„Hier sind immerhin drei Teams aus New South Wales, South Australia und natürlich wir Queensländer“, sagte der alte Mann.
Shane musterte Barry Denham.
„Wollten Sie noch etwas sagen, Barry?“
„Ich?“, sagte Barry, ,,ja, verdammt, finden Sie diesen Mistkerl!“
„Ja“, stimmte jemand zu, und die dicke Frau mit dem Kind rief:
„Ist ein verdammt unangenehmes Gefühl, zu wissen, dass ein Mörder frei herumläuft!“
„Genau!“, „Recht hat sie!“, „Das Schwein muss gefunden werden!“, kam es aus der Menge.
Wie gut kannte er das alles. Jetzt demonstrierten sie Geschlossenheit, später würden sie sich hinter Lügen verschanzen, unangenehme Wahrheiten zurechtbiegen. Er kannte seine Rolle, also rief er:
„Wir tun alles, was wir können! Aber dazu brauchen wir Ihre Unterstützung! Teilen Sie meinen Kollegen alles mit, was Ihnen aufgefallen ist!“
Die Menge um ihn herum verwandelte sich, wurde zu der Gruppe Eltern, vor der er in einem Schulhaus in Caboolture stand. Sie schrien ihn an, den Mörder ihrer Kinder zu finden. „Das Schwein muss gefunden werden!“ Mit ihren Blicken hielten sie ihn fest und forderten ein Versprechen.
Da riss ihn ein Scheppern ins Jetzt. Einer der Jungen hatte die Bierdose an den Blechverschlag geschossen. Der Hund bellte. Jetzt. Alles geschieht jetzt. Der Ort heißt Chinchilla. Es ist Samstag. Chinchilla, nicht Caboolture… sagte die Stimme in seinem Kopf.
„Sollen wir mit den Befragungen beginnen, Detective?“ Ein uniformierter Kollege stand vor ihm.
„Ja, fangen Sie an!“ Erleichtert sah er Tamara mit dem Wagen heranfahren, verabschiedete sich mit einem kurzen Nicken und stieg ein.
„Shane, wir müssen unbedingt die Aircondition reparieren lassen!“, stöhnte sie als er einstieg. „Diese Hitze ist eine Zumutung!“ Auf ihrem Gesicht standen kleine Schweißperlen. Sie schluckte. „Mein Gott, Shane. Vorhin, bei diesem Anblick wäre mir fast schlecht geworden.“
Er brachte kein aufmunterndes Wort über die Lippen, sondern dachte noch immer an die Sache in Caboolture. Sie blickte noch einen Augenblick durch die Windschutzscheibe, dann fuhr sie an. Die Räder des Allrad-PKWs pflügten mühelos durch den weichen Sand. Er hatte einen Job zu erledigen, in dem er nicht versagen durfte. Das war das einzige, das im Moment zählte.