Читать книгу Alles ist in mir - Manuela Müller - Страница 24

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Entwurzelt ~ wo gehör ich hin?

Unmittelbar nach dem Mauerfall hatte ich einen schlimmen Verlust zu verzeichnen. Ich war knapp 18 Jahre alt und mit meinem Körper alles andere als zufrieden. Genau zu diesem Zeitpunkt begann mein schönes volles Haar auszufallen. Zuerst machte ich mir keine gesonderten Gedanken darüber, hatte ich doch im Vorfeld nie irgendwelche Experimente mit meinem Haar angestellt, was das Färben und Tönen anging. Ich hatte außerdem mal gelesen, dass bis einhundert Haare am Tag ausfallen dürfen und sich der Haarwuchs immer wieder auf gesunde Weise regeneriert. Also gab es erst einmal keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Zu Beginn schien das auch so zu sein, doch später waren in der Bürste immer mehr Haare und besonders deutlich wurde es nach dem Haarewaschen, wenn ständig unser Abfluss verstopfte. Ich sah überall nur noch Haare von mir. Ich hatte immer sehr volles, naturgelocktes Haar und verstand nicht wirklich, was da gerade geschah. Irgendwann begann ich voller Panik meine ausgefallenen Haare zu zählen, weil ich riesige Angst davor hatte, dass irgendwann keine mehr nachwachsen würden. Innerhalb kurzer Zeit hatte mein Haar seine ganze Fülle verloren. Nun zeigten sich die ersten kahlen Stellen, die ich vorerst noch mit Spangen überdecken und damit vor den anderen geheim halten konnte. Damit wollte ich vermeiden, dass man mich für krank hält und bemitleidet oder sich vielleicht ganz und gar von mir abwendet.

~ Wie oft empfinden wir Mitleid oder sehen weg, wenn wir einem Menschen begegnen, der irgendwie aus der Norm fällt?! ~

Internetrecherche konnte ich damals nicht betreiben, es gab noch kein Internet. Dabei hatte ich so viele Fragen. Folglich blieb mir nur die Option, den Ärzten einfach zu vertrauen. Schließlich wollten sie mir helfen. Das glaubte ich zumindest.

Es kam vor, dass bis zu drei Ärzte um mich herumstanden, um meinen Kopf zu betrachten. Ich fühlte mich wie ein Ausstellungsstück und wusste überhaupt nicht, was da gerade mit meinem Körper passiert. Aber die Ärzte stellten sich meine Fragen wohl auch, denn ich spürte ihre Ratlosigkeit und niemand konnte wirklich sagen, was da mit mir los war.

Einige befürchteten eine Überfunktion der Schilddrüse, andere stellten die Diagnose des Alopecia areata (kreisrunder Haarausfall). Doch sicher war sich keiner. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich mir anhören musste: Frau Hundshagen (Geburtsname), Sie sind ein spezieller Fall! Anstatt einem jungen Menschen Mut zu machen, wurde die kollektive Unsicherheit, die in den Köpfen der Ärzte entstanden war, auf mich übertragen! Das war schrecklich für mich. Denn schließlich musste ich, und zwar ganz allein ich, damit fertig werden! Und die Unsicherheit der anderen konnte ich dabei überhaupt nicht brauchen, fühlte ich mich doch selbst schon unansehnlich genug mit diesem Haar, was zunehmend an Vitalität verlor. Im Laufe der Zeit bildeten sich weitere kahle Stellen, die sich fleckenförmig über den ganzen Kopf ausweiteten. Das alles verunsicherte mich total. Ich fühlte mich hilflos. Nun begann eine Prozedur durch alle möglichen Fachabteilungen der Medizin.

~ Ich hatte Angst und fühlte mich diesem Herumgedoktere an meinem Körper so hilflos ausgesetzt. Und diese Blicke der anderen, und was sie wohl dachten, belasteten meine Seele enorm. Ich fühlte mich so machtlos. Meinen Eltern bin ich unendlich dankbar, dass sie mich nie allein gelassen haben in dieser schweren Zeit. ~

Meine Eltern begleiteten mich, so oft es ihnen möglich war, zu den Untersuchungen. Ich erinnere mich an einen sehr grobmotorischen, unfreundlichen Gynäkologen. Ich fand es einfach nur unmenschlich, wie kühl er mir gegenübertrat. Die Untersuchung verlief nicht schmerzfrei. Und im Grunde verstand ich überhaupt nicht, was eine gynäkologische Untersuchung mit meinem Haarausfall zu tun haben sollte. Ich fühlte mich wie ein Objekt, das man von einer Stelle an eine andere schiebt. Ähnliche Erfahrungen machte ich mit einem Zahnarzt. Nirgendwo hielt man es für nötig, ein junges Mädchen in die Untersuchungen mit einzubeziehen, geschweige denn nach ihrer Anamnese zu fragen. Doch ich blieb still, fügte mich den Untersuchungen und stellte keine Fragen. Meine Eltern und ich vertrauten der Obrigkeit dieser Weißkittel. Richtig schlimm wurde es, als die Untersuchung sich auf meinen Kopf, um den es ja ging, ausweitete. Natürlich hätte ich all das ablehnen können, schließlich lebte ich in einem freien Land. Doch ich vertraute den Medizinern immer noch und fügte mich ihren Untersuchungen. Wir wurden zu Professoren an Universitätskliniken geführt, mussten viel Wartezeit mitbringen und vor allem Geduld. Die Konsultationen nahmen einen Charakter an, mit denen ich mich auf absolutes Neuland begab. Die bisherigen Untersuchungen waren zwar unangenehm, dennoch nichts Besonderes. Jetzt ging es eine Stufe weiter. Man entnahm meiner Kopfhaut einige Gewebeproben, im Fachjargon heißt es Biopsie. Eine Stelle am Hinterkopf wurde desinfiziert und durch eine Injektion örtlich betäubt. Wenig später, als die Spritze Wirkung zeigte, wurde mit einem kleinen Skalpell ein Stück meiner Kopfhaut herausgeschnitten. Das war ziemlich schmerzhaft. Zum Schluss der Prozedur wurde die Stelle mit ein paar Stichen zugenäht und ich bekam einen kleinen Verband am Hinterkopf. Die Wunde schmerzte etwas, nahm aber einen kurzen und guten Heilungsverlauf. Die Probe kam in ein Röhrchen und wurde an irgendein Labor verschickt.

Ich kann aufgrund der vielen Jahre, die inzwischen vergangen sind, nichts über die Untersuchungsergebnisse schreiben. Ich kann mich auch nicht erinnern, jemals welche erhalten zu haben. Ich hatte irgendwann damit aufgehört, nach der Ursache zu suchen!

~ Mein gesundheitliches Thema überforderte mich sehr. ~

Der familiäre Zusammenhalt stärkte mich. Die Tortur ging weiter und ich nahm trotz aller Strapazen jeden gebotenen Strohhalm an, denn ich wollte meine Haare zurück! Es folgte ein Epilationstest.

Durch den Epilations- oder Zupftest kann der Arzt oberflächlich die Art und Schwere eines Haarausfalls bestimmen. Wichtig ist herauszufinden, ob Haare mit den Wurzeln ausgehen oder ob sie lediglich abbrechen (bspw. nach einer aggressiven Dauerwelle). Der Arzt greift zwischen Daumen und Zeigefinger ein Haarbüschel und versucht mit sanftem Zug, einige Haare an verschiedenen Stellen schmerzlos heraus zu zupfen (zu epilieren). Mit dem Test kann der Arzt dann eine Verdachtsdiagnose stellen. Mir selbst wurde keine Diagnose mitgeteilt. Ich habe auch dazu keine Befunde erhalten.

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