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Westen ~ wirklich alles golden?

Als mein Partner und ich 1993 in den Westen zogen, suchte ich mir eine Anstellung als Erzieherin im städtischen Kindergarten.

Ich führte eine Beziehung mit einem Mann, der mir sehr vertraut war, und wir hatten uns ein schönes Nest gebaut. Wir waren beruflich gut versorgt, fühlten uns aber vom Herzen her nicht erfüllt. Und wirklich zu Hause war ich dort auch nicht.

Gerade 20 Jahre alt und noch sehr unsicher, legte ich mir bereits damals unbewusst meine erste Maske zu. Ich bekam das Gefühl, die Wessis können alles besser und machen keine Fehler. Wie sie sich so darstellten, schien immer alles perfekt für sie zu laufen.

Also versteckte ich meine Selbstzweifel hinter einer Fassade, um mein Inneres zu verbergen. Schließlich durften die Kollegen meine Unsicherheit nicht bemerken. Denn das junge Ding aus dem Osten hatte die Verantwortung für eine Gruppe von Kindern übertragen bekommen. Und diese Gruppe brauchte gute Führung und pädagogische Kompetenz. Meine Schulabschlüsse waren ausgezeichnet und während der Ausbildungspraxis konnte ich mein Wissen hervorragend unter Beweis stellen, doch die Unsicherheit blieb und steigerte sich mit jedem Tag. Ich hatte plötzlich so viele Zweifel an mir und meinen Fähigkeiten.

~ Ich glaubte nicht mehr an mich und überfrachtete meinen Geist damals schon mit vielen toxischen Gedanken, die sich gegen mich richteten. Dass diese Gedanken wie Gift auf meine Zellen wirkten, erreichte mich damals noch nicht. ~

Ich fühlte mich fremd hier in diesem neuen Land und die Mentalität der Menschen war nicht die meine. Ich fühlte mich nicht dazugehörig und verdammt allein. Hier hatte ich niemanden außer meinen Mann. Er schenkte mir früher oft sein Ohr, wenn ich von der Arbeit nach Hause kam und froh war, den Tag endlich geschafft zu haben. Er spürte, dass ich mich dort nicht wohlfühlte und ihm konnte ich mich anvertrauen. Im Job stellte ich meine Gefühle zurück und machte viel mit mir alleine aus. Damals siegte noch die Illusion, dass bei den anderen stets alles bestens lief.

~ Dass vieles davon nur Fassade war, verstand ich erst später. ~

Der Westen war so ungewohnt anders für mich und das Gefühl, dort gar nicht ankommen zu wollen, breitete sich immer mehr in meinem Herzen aus.

~ Heute weiß ich, dass ich sowieso nur sah, was ich sehen wollte. Ich war viel zu sehr auf meine Schwächen fokussiert und strahlte die Unsicherheit auch im Außen aus. ~

~ Selbst ein Jobwechsel brachte nur wenig Veränderung, denn man nimmt sein Innerstes immer mit, ganz egal wohin man geht. So lange, bis man sich seinen verdrängten Themen stellt! ~

Auch Freundschaften aufzubauen war schwierig für mich. Die meisten Bekanntschaften entstanden mit Menschen, die auch aus der ehemaligen DDR hinzugezogen waren. Wir teilten eine gemeinsame Vergangenheit und diese stellte eine gewisse Verbindung zwischen uns her. Und auch das Verständnis untereinander war ein anderes. Ich traf dort auf Menschen, die vorher noch nie im Osten waren. Sie hatten keine Vorstellung davon, wie unser Land wirklich war. Oder sie hatten ihre eigene vorgefertigte Meinung darüber und damit auch über uns Ossis. Sehr gern hätte ich damals schon mit Vorurteilen darüber aufgeräumt, denn ich fühlte mich glücklich in der DDR. Doch ich war zu sehr mit allen Veränderungsprozessen beschäftigt, passte mich den anderen an und verließ damit immer mehr den Mantel meiner eigenen Persönlichkeit. Damals war mir das so noch gar nicht bewusst. Die Anpassung verlief schleichend. Ich arbeitete an meiner Aussprache, um perfekt hochdeutsch zu sprechen, und auch sonst an allem, womit ich permanent unzufrieden war. Grundsätzlich ist das ja keine negative Eigenschaft, stetig an sich zu arbeiten.

~ Doch wenn man es aus Angst oder Unsicherheit tut, dann verändert man sich nicht aus dem freien Willen heraus. Man tut es, weil man sich selbst nicht genügt und weil man sich ablehnt. Und letztlich folgt man damit einem ganz anderen Stern, nur nicht seinem eigenen! ~

Ich hatte mir das irgendwie anders vorgestellt mit dem Neuanfang im offenen Deutschland. Wir waren jung mit allen Möglichkeiten, doch uns beiden fehlte etwas ganz Bedeutendes. Unsere Basis – unsere Freunde und unsere Familien – war nicht hier.

~ Und Heimat ist nun mal dort, wo deine Freunde sind! ~

Unsere Familien wohnten eine Autostunde entfernt und wir besuchten sie, so oft es uns möglich war. Ans Zurückgehen dachten wir nie, denn wir hatten dort die besten Voraussetzungen, uns zu entwickeln, und wir nutzten sie auch.

~ Jede Medaille hat zwei Seiten. Welche du wählst, entscheidest immer du selbst! ~

Rückblickend weiß ich, dass viele Faktoren dazu beigetragen haben, dass ich mich lange so entwurzelt fühlte. Ich beobachte auch immer wieder, dass viele Menschen das sehr ähnlich empfinden. Sämtliche Unsicherheiten, Lebensfragen und die Suche nach dem Ort, an dem man sich wirklich zu Hause fühlt, ergeben erst in der Jahresmitte ein klares Bild. Vielleicht finden einige ihre Antworten schneller, ich brauchte diese Zeit. Ich bin auch froh, dass die Grenzen offen sind und dankbar für alle Möglichkeiten und Freundschaften, die sich für mich ergeben haben.

~ Wessi sage ich übrigens immer noch, nur ist dieses Wort mittlerweile positiv belegt. Ich habe wunderbare Freunde in den alten Bundesländern und viele Landstriche dort in mein Herz geschlossen. ~

Alles ist in mir

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