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9.Cerro Paranal (Chile) – 14. September, 14:16 Uhr Ortszeit

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Stahlblauer Himmel erstreckte sich über der Plattform des Obser­vatoriums. Die vier Kuppeln der Teleskope strahlten in der Sonne. In der Ferne durchtrennten einige Kondensstreifen das perfekte Blau. Richard keuchte und zog die dünne Höhenluft in seine Lungen. Im kühlen Wind spürte er die Kraft der Sonnenstrahlen auf seiner Schädel­decke. Sein Blick folgte dem Verlauf der Zufahrtstraße, die sich mit wenigen breiten Kehren und langgezogenen Geraden den Berg hinaufzog. Für die knapp 300 Höhenmeter vom Basiscamp hatte er zwei Stunden gebraucht. Immer wieder musste er anhalten. Die extrem trockene Luft der Atacama mit teilweise nur zehn Prozent Luftfeuchtigkeit hatte seine Lunge ausge­trocknet. Atemlos griff er nach der Wasserflasche. Leer. Erst nach einigen weiteren tiefen Atemzügen nahm er die atemberaubende Fern­sicht wahr. Bis zum Horizont verliefen die sanft geschwungenen rot­braunen Bergketten. Im Westen endete der Blick auf einer anderthalb Kilometer tiefer gelegenen Wolkendecke, die sich regelmäßig beim Auf­treffen des kalten Humboldt-Stroms auf den warmen Küstenstreifen Chiles bildete. Dennoch bot die Atacama mit weniger als zehn Milli­metern Niederschlag im Jahr nur wenigen Kreaturen Lebensraum. Im Osten war in der Ferne ein schneebedeckter Vulkan zu erkennen. Der fast 200 Kilometer entfernte Gipfel des Llullaillaco überragte mit seinen 6.739 Metern die anderen Erhebungen der Region.

Nach einer kurzen Verschnaufpause ging Richard zum Kontrollzentrum an der Südwest-Flanke des Plateaus. Es bestand aus zwei im Winkel von 120 Grad ausgerichteten Gebäudeflügeln, die durch einen von roten Stahlträgern eingerahmten Mittelbau verbunden waren. Das Gebäude bildete die Ecke des knapp 200 Meter durchmessenden künstlichen Plateaus, auf dem die vier großen Teleskope in optimierter Geometrie angeordnet waren. Im Zentrum befand sich in einem unterirdischen Tunnel die Optik des Interferometers, das die Einzelteleskope zu einem weit größeren Instrument koppelte. Vor dem Kontrollzentrum parkten viele Wagen, darunter einige Pick-ups, die für den Transport von Material und Gerätschaften zwischen den Teleskopen und dem Basiscamp genutzt wurden. Auf dem Weg zum Eingang fiel Richard eine Überwachungskamera auf, die aus einer gläsernen Halbkugel heraus den gesamten Parkplatz erfasste.

An der Eingangstür stieß er mit Gerhard Boening zusammen. „Hallo Richard, wie geht’s? Du willst sicher zu Paul. Oben im Kontrollraum. Halt Dich einfach rechts und dann die Treppe rauf. Ich muss nach unten in die Elektronikwerkstatt.“ Mit angespannter Miene steuerte er auf einen abgestellten Kleinwagen zu.

Richard betrat das Kontrollgebäude durch eine Lichtschleuse. Direkt hinter der Tür stand ein halbvoller Wasserspender im Halbdunkel. Nachdem er zwei große Becher in einem Zug geleert hatte, folgte er dem Gang nach rechts zur Treppe. Oben waren Stimmen zu hören. Lautlos folgte er den Stufen nach oben. In den vier Ecken des Raumes standen große, jeweils im rechten Winkel angeordnete Tische. Auf jedem der Pulte befanden sich acht bis zehn Monitore sowie eine Web-Kamera, davor standen jeweils vier Drehstühle. Die Steuerung der vier Teleskope. Zu dieser Tageszeit war der Kontrollraum nicht voll besetzt. An einem der Kontrollrechner stand Paul Rodriguez zusammen mit zwei anderen Männern, die Richard nicht kannte. Sie waren in eine intensive Diskussion vertieft. Immer wieder zeigten sie auf Zahlenkolonnen und Grafiken auf den Monitoren. Niemand von ihnen bemerkte Richards Anwesenheit.

„Ray, wenn wir es nicht selber machen wollen, dann müssen wir uns eben jemanden suchen, das sagt auch Bill“, erklärte Paul Rodriguez.

„Das kann er nicht ernst meinen“, erklärte der Angesprochene mit gedrückter Stimme.

„Ganz bestimmt meint er das ernst. Wir müssen uns damit abfinden und es gemeinsam durchziehen. Schließlich haben wir auch alle gemeinsam davon profitiert“, entgegnete Rodriguez und warf sich auf einen der Drehstühle. Dann tippte er etwas in die Tastatur. Am Bildschirm wechselten die Grafiken.

Richard wartete noch einen Moment und ging dann mit einem Räuspern zu den drei Männern. „Hallo Paul, störe ich Euch gerade bei einer wichtigen Sache?“

Paul Rodriguez zuckte zusammen. Sein Gesicht war versteinert und für einige Sekunden starrten die drei Männer den Eindringling wortlos an. Dann sprang er vom Drehstuhl auf. „Aber nein, überhaupt nicht.“ Mit einem einnehmenden Lachen begrüßte er Richard. „Ich habe gar nicht gemerkt, dass es schon so spät ist. Schön, dass Du uns besuchst. Komm mit, wir machen einen Rundgang.“

Dann wandte er sich noch einmal an die beiden anderen Männer: „Wir reden nachher weiter. In der Zwischenzeit könnt ihr schon mal die neuen Observation Blocks verdichten und mit der Kalibrierung abgleichen.“ Es kam zunächst keine Reaktion bis Paul seine Aufforderung noch einmal bedeutsam wiederholte. Dabei sah er einen der Männer, ein Asiat, den Richard zuvor noch nicht gesehen hatte, eindringlich an: „Hochverehrter John Lee! Die Observation Blocks verdichten und reduzieren!“

Es dauerte eine Weile, bis der schmächtige Asiat mit schmalem Gesicht begriffen hatte, was Rodriguez von ihm wollte. „Ja klar, machen wir. Wenn Du zurück bist, haben wir die Daten fertig“, entgegnete er mit einem breiten Grinsen.

„Paul, ich störe Euch auch wirklich nicht bei irgendetwas Wichtigem?“, hakte Richard noch einmal ein.

„Aber nein.“ Rodriguez lachte. „Wir haben nur ein paar Messungen besprochen. Eine sehr interessante Entdeckung in unserem Sonnen­system. Wenn wir nachher noch Zeit haben, können wir uns die Daten gemeinsam ansehen.“

„Sehr gerne. Ich bin gespannt. Ist das die Entdeckung, von der Du gestern gesprochen hast? Gibst Du mir einen Tipp?“

„Nichts Systematisches – wir sind durch einen Zufall drauf gestoßen. Lass uns das später ansehen“, wich Rodriguez aus. „Komm jetzt, Du musst Dir unbedingt die Teleskope ansehen. Wir fangen unseren Rund­gang bei Yepun an.“ Dann griff er seine Jacke und lief die ersten Stufen vom Kontrollraum nach unten. „Hier, den müssen wir auf der Plattform tragen.“ Rodriguez drückte Richard einen Helm in die Hand und schob seinen eigenen höher auf die Stirn.

„Yepun ist das vierte der großen 8,2-Meter Spiegelteleskope. Die Namen der Teleskope stammen aus der Sprache der Mapuche, ein Indio-Volk im Süden Chiles. Der Name Yepun bedeutet Abendstern. Bezeichnet also den Planeten Venus in unserem Sonnensystem“, begann Rodriguez seine Führung und spielte dabei mit den Münzen in seiner Hosentasche. Richard hatte natürlich alle verfügbaren Artikel und Fachbücher über das Paranal Observatorium gelesen. Er hielt es aber für unhöflich, die Ausführungen zu unterbrechen.

Über das letzte Stück der Zufahrtstraße erreichten sie das künstlich angelegte Plateau, das durch Abtragen von 28 Metern des Gipfels geschaffen worden war. Das Plateau war zu dieser Tageszeit menschen­leer. Die Wissenschaftler schliefen nach einer durchwachten Nacht. Nach kurzem Fußmarsch kamen sie direkt vor Yepun zum Stehen. Die silbern glänzende Kuppel ragte acht Stockwerke in den makellosen Himmel. Paul Rodriguez lenkte den Blick vom Betonfundament hinauf zur Kuppelöffnung. „Die Außenhülle hat einen Durchmesser von etwa 30 Metern und ist fast ebenso hoch. Eine Klimatisierung hält die Temperatur konstant zwischen fünf und elf Grad Celsius. So können wir lokale atmosphärische Einflüsse auf die Teleskopstruktur und den Spiegel minimieren“, erklärte er mit monotoner Stimme.

„Paul, bitte spann’ mich nicht länger auf die Folter. Lass uns rein gehen – Oder ist das ein Staatsgeheimnis?“, unterbrach Richard nun doch die Ausführungen mit einem Lachen.

„Aber klar. Warum bin ich da nicht gleich darauf gekommen. Genau das ist die Lösung“, murmelte Rodriguez in Gedanken und starrte durch Richard hindurch. Dann machte er eine bedeutungsvolle Pause und Richard bildete sich ein, Erleichterung in seinem Gesichtsausdruck zu erkennen, wie nach der Lösung eines schwerwiegenden Problems.

„Richard entschuldige bitte. Ich spule hier mein Politiker- und Touristen­programm ab und langweile Dich.“ Im nächsten Augenblick rannte er um den Kuppelbau zu einer großen zweiflügeligen Tür. Dort zog er seine Magnetkarte durch einen Kartenleser neben der rechten Tür. Das Schloss surrte und Paul Rodriguez zog die schwere Tür auf.

„Welcome to our youngest and brightest son.” Mit einer Geste deutete er auf den hinter der zweiten Stahltür gelegenen Aufgang.

„Vielen Dank“, stimmte Richard zurückhaltend ein und öffnete die zweite Tür der Luftschleuse. Dahinter war es merklich kühler und der Widerhall der Schritte ließ die Größe des Raumes erahnen. Während sie die Treppenstufen hinaufeilten, klimperten die Münzen in Pauls Hosen­tasche.

Dann endlich. Das Teleskop. Es war direkt nach oben gerichtet und ragte mit seiner gesamten Höhe bis unter die Decke der breiten Kuppel. Richard blieb stehen und musterte die mächtige Anlage. In einer blauen, im Boden verankerten Trägerkonstruktion lagerte die fünfzehn Meter hohe Struktur. Sie vereinte den 8,2 Meter durchmessenden und über 20 Tonnen schweren Primärspiegel mit den Sekundär- und Tertiärspiegeln zur Lichtbündelung. Ein Torus von zehn Metern Durchmesser, der den Sekundärspiegel trug, ruhte auf starken Trägerrohren, die jeweils zu A-förmigen Stützen auf allen vier Seiten nach unten liefen. Der Haupt­spiegel mit seiner adaptiven Optik lag hinter einem Netzwerk kleinerer Stahlstreben und war von unten nicht zu erkennen. Die mehr als 400 Tonnen schwere Konstruktion ließ sich durch eine hochpräzise Hydrau­lik bewegen und binnen weniger Minuten auf jede beliebige Himmels­position ausrichten, um dieser im Verlauf der Nacht zu folgen.

Beim Blick auf das riesige Instrument sinnierte Richard über das Potenzial seiner Arbeit für die Exoplaneten-Forschung. Planeten, auf denen die Existenz von Leben wahrscheinlich ist, sind selten. Denn nur ein sehr schmaler Parameterbereich für Masse und Leuchtkraft eines Sterns und die Position und Größe seines planetaren Begleiters erfüllt die wichtigen Grundvoraussetzungen. Die genaue Kenntnis des Aufbaus von Sternensystemen und ihrer Entstehung kann die ungerichtete Suche auf eine überschaubarere Zahl von Kandidaten einschränken und so die Erfolgswahrscheinlichkeit der zeitaufwendigen Analysen erhöhen. Nichts Geringeres war das Ziel von Richards Dissertation. Sollte es ihm gelingen, seinen Ansatz zu einer Methode zu entwickeln, könnte das SETI-Programm, das seit Jahren unter schwindender Finanzierung litt, die Suche nach Nachrichten einer außerirdischen Intelligenz damit auf Sternensysteme mit der hoher Wahrscheinlichkeit konzentrieren.

Nach einigen Minuten begann Richard zu frösteln und bemerkte, dass Paul verschwunden war. Hektisch suchte er den mächtigen Kuppelbau ab.

„Hier oben.“ Rodriguez winkte von der obersten Teleskopkonstruktion.

Richard stieg die Stufen zur Instrumentenplattform hinauf. Der Widerhall seiner Schritte erfüllte die weite Kuppel. Auf der Plattform standen Spektrographen und zwei isolierte Behälter für flüssigen Stickstoff. Richard schob sich zwischen den Instrumenten an das Geländer. Von dort eröffnete sich der Blick an den Trägern der Hauptstruktur entlang auf den Hauptspiegel.

„Die Teleskope zeigen uns die lichtschwächsten Objekte im Universum“, erklärte er breitbeinig auf der obersten Plattform der Teleskop­konstruktion. „Und wir sind in der Lage, das Licht dieser Objekte zu zerlegen und mit den modernsten und genauesten Spektroskopie­verfahren zu untersuchen. Wir sehen Objekte, die außer uns nur noch die beiden Keck-Teleskope auf dem Mauna Kea erfassen können. Vielleicht noch die beiden Gemini-Instrumente.“

„Du meinst die Exoplaneten“, folgerte Richard.

„Wir haben schon an die fünfzig Sterne mit Planetensystemen entdeckt.“

„Glaubst Du eines davon ist ein Kandidat?“

„Du lässt aber nicht locker, Richard“, lachte Paul Rodriguez.

„Ich bin eher Realist als Träumer. Deshalb würde ich sagen nein. Du weißt ja, wie viele Bedingungen für die Entstehung von Leben erfüllt sein müssen. Auch nach allen Erkenntnissen, die uns die Wissenschaft bisher eröffnet hat. Für mich grenzt das Leben hier auf der Erde noch immer an ein Wunder.“

„Aber was treibt Dich dann an, Paul?“

„Ich sage ja nicht, dass ich es ausschließe, dass wir dort draußen irgend­wann einmal Leben finden. In der unvorstellbaren Anzahl von Sternen in der Milchstraße und den Myriaden von Galaxien im Uni­versum ist die Erde auch wiederum nichts Besonderes. Aber ich glaube nicht, dass wir beide es noch erleben werden.“ Richard schluckte. „Wann wurde die Radio­astronomie erfunden, Richard?“, fragte Paul mit ruhiger Stimme.

„1932, in den Bell Laboratorien.“

„Also vor nicht einmal 80 Jahren“, rechnete Paul vor.

„Im Vergleich zum Lebensalter des Planeten ist das weniger als ein Wimpernschlag.“

„Stimmt.“

„Die Existenz des Menschen auf dem Planeten, also ich meine die Zivili­sation, die über die technologischen Fähigkeiten verfügt, Informationen über die Grenzen des eigenen Planeten hinaus mittels elektromagne­tischer Wellen auszutauschen, ist auf der Zeitskala des Universums praktisch nicht existent.“

„Ich verstehe“, antwortete Richard mit unterlegter Stimme. „Aber auf anderen Planeten könnte die Entwicklung doch schon sehr viel weiter sein als hier bei uns auf der Erde.“

„Das ist natürlich möglich“, erklärte Paul Rodriguez. „Und es wäre für unsere Zivilisation ein unglaublicher Erkenntnisgewinn, zu verstehen, wie es eine intelligente Spezies geschafft hat, trotz der zwangsläufigen Begrenzung ihrer Ressourcen über Jahrtausende hinweg eine nachhaltige Entwicklung zu nehmen. Ohne dabei ihren eigenen Untergang durch Ressourcenkonflikte oder Ausbeutung der eigenen Lebensgrundlagen herbeizuführen. In einem typischen Sonnensystem kommt der Großteil der Energie vom Zentralgestirn und die muss eine Zivilisation in ihrer Entwicklungsgeschichte intelligent nutzen, um langfristig auf ein und demselben Planeten überleben zu können.“ Rodriguez spielte mit den Münzen in seiner Hostentasche.

„Nein Richard, ich halte unsere Suche aus einem ganz anderen Grund für existenziell. Die Entdeckung von bewohnbaren Planeten außerhalb des Sonnensystems könnte für die Menschheit in Zukunft noch sehr viel größere Bedeutung erlangen, als nur die Einsicht, dass wir nicht die einzige intelligente Lebensform im Universum sind. Der heutige Lebens­raum auf unserem Heimatplaneten könnte in einer nahen Zukunft viel tiefgreifender bedroht werden, als wir uns das vorstellen mögen. Einer unwiederbringlichen Auslöschung der menschlichen Existenz und Intelligenz mit allen ihren Errungenschaften in Wissenschaft, Technik und Kultur könnte sich die Menschheit dann möglicherweise nur noch durch die Besiedlung eines erdähnlichen Planeten in einem fernen Sternensystem entziehen. Praktisch als letzte Chance auf den Fortbestand der menschlichen Rasse.“

Richard blickte Paul Rodriguez schweigend an.

„Sag jetzt nichts, Richard. Ich weiß genau, was Du denkst. Natürlich sind das alles ferne Zukunftsphantasien. Im Moment ist das nicht mehr als Spinnerei. Und wir sind noch viele Generationen davon entfernt, solche Reisen anzutreten. Die Menschheit wird solche Optionen eines Tages benötigen – vielleicht sogar schneller als uns lieb ist.“

„Paul, Du beginnst mir Angst zu machen.“ Richard bekam eine trockene Kehle.

„Aber, Du kennst doch die Bedrohungen unseres Planeten im Sonnensystem…“, setzte Paul Rodriguez an, doch er wurde durch einen schrillen Pfeifton aus seinem Walkie-Talkie unterbrochen. Hektisch nahm er das Funkgerät aus der Halterung am Gürtel und eine Frauen­stimme mit spanischem Akzent krächzte aus dem kleinen Lautsprecher: „Paul. Du sollst sofort zu Guido kommen. Brighton will abreisen und er möchte noch was Wichtiges mit Dir besprechen.“

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