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7.Cerro Paranal (Chile) – 14. September, 4:32 Uhr Ortszeit

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Richard lag seit einer Stunde wach. Nicht nur der Jet Lag und die Strapazen der langen Reise raubten ihm den Schlaf. In der Dunkelheit tastete er sich zum Fenster des Containers. Mit weit aufgerissenen Augen versuchte er, die Dunkelheit zu durchdringen. Die Sterne waren in einer ungewohnten Klarheit zu erkennen. Die Milchstraße zog sich als helles Band aneinandergereihter Lichtpunkte über den Himmel nach Norden.

Da draußen gab es eine unendliche Zahl von Galaxien, jede mit mehreren Milliarden Sternen. Wird jemals Leben auf einer dieser fernen Welten nachgewiesen werden? Und seine Arbeit sollte tatsächlich einen Beitrag dazu leisten?

Nach einer viertel Stunde, allein mit den unbekannten Sternbildern des südlichen Nachthimmels, zeigte sich am Horizont ein orange-roter Schimmer. Die aufgehende Sonne. Richard spürte zum ersten Mal die kontinentale Entfernung, die ihn von Karen trennte. Noch nie waren sie so weit voneinander entfernt gewesen – jedenfalls nicht für eine so lange Zeit. Eine Wochenendbeziehung war nicht schön, aber wochenlang mehr als einen Ozean getrennt, schien ihm in diesem Moment unerträglich. Weder E-Mails noch Internetvideo würden dieses Gefühl lindern.

Mit jedem Augenblick durchdrang der orange Schimmer intensiver das Schwarz des Himmels. Auf der Zufahrtstraße durchschnitt der Lichtkegel eines Wagens die Nacht. Die ersten Wissenschaftler verließen die Teles­kope. Die Beobachtungen waren jetzt endgültig beendet. Viele der Instrumente konnten nur bis kurz vor Sonnenaufgang betrieben werden. Danach erlaubten die empfindlichen Systeme keine Messungen mehr. Sie waren dazu ausgelegt, das Licht von Milliarden Lichtjahren entfernten Objekten zu verstärken. Zu viel Licht aber konnte sie zerstören.

Gegen den sich langsam aufhellenden Morgenhimmel wuchsen die Kuppeln der vier identischen Teleskope immer deutlicher aus dem Gipfel. Zusammengeschaltet bildeten sie das Very Large Telescope (VLT) mit einem virtuellen Spiegeldurchmesser von 200 Metern, mit dem man Astronauten auf der Mondoberfläche beobachten könnte. Ein einzig­artiges Instrument, das tiefe Einblicke in die Vergangenheit des Uni­versums und alle darin verborgenen Geheim­nisse eröffnet.

Der Sonnenaufgang erfüllte den Himmel mittlerweile mit allen Rot-Tönen und Richard überhörte das dumpfe Knattern in der Ferne. Langsam kam es immer näher und durchdrang dann seine Gedanken. Ein Erdbeben, wie es die Erde hier oben in den Anden regelmäßig erschüttern lässt. Doch der Boden war absolut ruhig. Jetzt erst konnte er das lauter werdende Geräusch deuten. Ein Helikopter. Eilig stieg er in seine Jeans und Trekkingschuhe und rannte nach draußen. Der schmale Gang zwischen den Containern fühlte sich an wie ein Kühlhaus. Die Haut auf Richards Schädeldecke zog sich zusammen und der Wind durchdrang sein Hemd.

„Hey, Richard pass auf, dass Du Dich nicht erkältest.“ Carlotta Cassini machte Streckübungen am Geländer. In ihren eng anliegenden schwarzen Joggingsachen und den zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenen Haaren sah sie umwerfend aus.

„Carlotta, wer kommt da?“ Richards Atem blies Nebelschwaden in die kalte Morgenluft.

„Das ist George Brighton“, antwortete Carlotta außer Atem.

“George wer?“ Doch Carlotta war schon zu dem zentralen Platz im Basiscamp gelaufen und reagierte nicht mehr.

Carlotta war eigentlich viel zu attraktiv für eine Astronomin. Am Abend zuvor hatte sie kühl und sachlich gewirkt. Richard hatte sich nicht getraut, sie anzusprechen. Doch von den anderen hatte er einiges über sie erfahren. Sie kam aus einfachen Verhältnissen und war auf dem Bauernhof ihrer Eltern in einem kleinen Dorf in der Nähe von Turin aufgewachsen. Zur Astronomie war sie eher unbeabsichtigt gekommen. Bevor sie begann, sich für Jungs zu interessieren hatte sie ihre Zeit meist mit den anderen Jugendlichen beim Abhängen auf der Hauptstraße des kleinen Dorfes verbracht. Mit vierzehn verliebte sie sich in einen zwei Jahre älteren Jungen, der dieselbe Schule besuchte. Aber der schien sie gar nicht zu bemerken, obwohl sie schon damals vielen ihrer männlichen Altersgenossen den Kopf verdreht hatte. Lawrence war mit seinen Eltern aus den USA nach Turin gekommen. Er verbrachte seine gesamte freie Zeit mit dem Bau von Teleskopen und der Beobachtung von Sternen. Und er ging einmal im Monat zum astrono­mischen Kolloquium nach Turin. Das hatte Carlotta herausgefunden als sie ihm an einem nasskalten Winterabend heimlich vom Haus seiner Familie bis zum Planetarium gefolgt war. In der nächsten Woche hatte sie sich ein Herz gefasst und ihn angesprochen. Mit Fragen, die sie aus einem Astronomie-Buch in der Schulbücherei hatte, hatte sie ihn in ein Gespräch verwickelt. In den folgenden Wochen trafen sie sich immer wieder und unterhielten sich lange über die Sterne, die Unendlichkeit des Universums und den Sinn des Lebens. Langsam entwickelte sich eine Freundschaft und Carlottas Interesse für die Astronomie. Lange hatte Richard über Carlottas Geschichte gegrübelt. Und er musste immer wieder daran denken, mit welcher Vertrautheit und zugleich merkwürdigen Distanz Carlotta und Paul sich am Abend begegnet waren. Als eine Windböe zwischen die Container fuhr, eilte Richard in sein Zimmer zurück, um Carlotta wenige Augenblicke später mit seiner Fleece-Jacke bekleidet auf den großen Platz zu folgen. Über dem Landeplatz an der Nordseite des Basiscamps schwebte eine schwarze 17 Meter lange Bell / Augusta AB139 ein. Der wendige sechssitzige Helikopter wirbelte den rotbraunen Staub der Atacama in die klare Morgenluft.

„Carlotta. Wer ist dieser Brighton? Müsste ich den kennen?“, wollte Richard wissen als er den Landeplatz erreichte. Carlotta lachte und hielt die Hand schützend über ihre Augen. Die Rotoren des landenden Helikopters drückten die Luft mit hoher Geschwindigkeit gegen die Wartenden. „George Brighton ist ein großer Freund und Förderer des Paranal“, schrie Carlotta gegen den ohrenbetäubenden Lärm der Tur­binen an. Richard verstand kein Wort, aber er bemerkte ihren Gesichts­ausdruck. Für den Moment musste er es auf sich beruhen lassen. Rot­brauner Sand wirbelte weiter in die Luft. Auch Richard hielt sich die Ohren zu und wandte den kahlen Kopf schützend zur Seite.

In diesem Moment eilte Guido Hubner zum Landeplatz. Der Direktor der Europäischen Südsternwarte war ein stattlicher, hochgewachsener Mann, der die Fünfzig hinter sich gelassen hatte. Er hatte in Göttingen und München Physik studiert und war über mehrere Stationen bei der ESO gelandet. Seit vier Jahren leitete er das Paranal und das La Silla Observatorium der Europäischen Südsternwarte in Chile. In La Silla hatte er vor über zwanzig Jahren seine Doktorarbeit geschrieben. Damals hatte er Fehringer kennengelernt, mit dem ihn eine enge Freundschaft verband. Genau dieser Verbindung, so war sich Richard sicher, hatte er die Bewilligung seines Antrags auf Beobachtungszeit zu verdanken.

Der Rotorenlärm wurde immer lauter. Der Helikopter schwebte nur noch wenige Meter über dem Boden. Das Fahrwerk war ausgefahren und die Räder berührten den Boden. Dann kippte der Pilot die Rotorblätter und der Helikopter sackte in die Federung des Fahrwerks. Freundlich grüßte er die Wartenden durch seine getönte Kanzel, während er die Knöpfe am Steuerpult bediente.

Durch die zwei hinteren Fenster konnte Richard einen schlanken Mann mit grauen Haaren und getönter Brille erkennen. Er trug nur ein hellblaues Hemd mit einer kleingemusterten Krawatte. Richard schätzte ihn auf Mitte Fünfzig.

Guido Hubner eilte gebückt zum Helikopter und öffnete die Tür. „Willkommen Mister Brighton. Schön, Sie wieder bei uns begrüßen zu können. Hatten Sie einen guten Flug?“

„Gut. Danke! Was macht die neue Anlage?“

„Die Solaranlage ist im vergangenen Monat ans Netz gegangen“, schrie Guido Hubner gegen das Geräusch der runterfahrenden Turbinen.

Brighton sprang aus der Kabine und landete mit einem Ausfallschritt auf dem staubigen Boden. Dann zog er sein dunkelblaues Jackett über. Beim Verlassen des Landeplatzes legte er Hubner, wie unter alten Freunden, die rechte Hand auf die Schulter.

„Prima, das ist gut. Lassen Sie uns die Anlage gleich ansehen. Außerdem habe ich von den letzten Entdeckungen gehört. Da möchte ich mehr drüber erfahren.“ Brighton verlor keine Zeit. Die beiden Männer entfern­ten sich vom Helikopter und Brighton begrüßte die wartenden Wissen­schaftler und Ingenieure mit Handschlag und wechselte ein paar Worte mit ihnen. Brighton gab Richard einen festen Händedruck und erkundigte sich nach seinen Forschungsschwerpunkten. „Ich werde in den kommen­den Wochen mein Modell zur Planetenbildung aus einer protoplane­tarischen Scheibe als Nachweismethode für erdähnliche Planeten in bereits entdeckten Exoplaneten-Systemen weiterentwickeln“, erklärte Richard.

„Du arbeitest mit dem PRIMA-System?“ Richard nickte. „Hervor­ragende Datenquelle für die Bewegungsparameter. Bessere Daten bekommst Du nirgends sonst.“

Richard war überrascht. „Ich weiß. Aus den ermittelten Bewegungspara­metern und einer Simulation der Planetenformationsprozesse will ich Rückschlüsse auf die Wahrscheinlichkeit erdähnlicher Planeten ziehen.“

„Spannend. Viel Erfolg“, antwortete Brighton. „Welche Pläne hast Du nach dem Abschluss Deiner Arbeit?“

Richard schluckte. War das nur eine Höflichkeitsfloskel? „Ich träume von einer Post-Doc Stelle. Am Observatorium oder beim MPI. Ist aber schwer, dort unterzukommen.“

„Wir sollten dann unbedingt miteinander sprechen…“ Brighton verabschiedete sich und ließ Richard staunend zurück.

Das klang wie ein Angebot. Wahrscheinlich bildete er sich das aber nur ein. Sie kannten sich doch erst wenige Augenblicke.

Dann steuerten Brighton und Hubner auf das Verwaltungsgebäude zu, während sich die anderen in Richtung Kasino in Bewegung setzten.

„Carlotta, warte bitte! Wer ist dieser Mann? Der ist doch kein Wissenschaftler. Warum kennt er sich so gut aus?“

Carlotta strahlte. „Der ist klasse.“ Sie machte eine Pause und ihre Augen glänzten. Dann sah sie Richard wieder an. „Ich kenne ihn seit einem Jahr. Damals kam er auch mit dem Heli.“

„Nun sag’ schon, was will er hier? Und was macht er, wenn er sich nicht für unsere Arbeit interessiert?“, bohrte Richard.

„Brighton“, fuhr Carlotta endlich fort, „ist ein sehr erfolgreicher Unter­nehmer. Ich glaube, er gehört zu den fünf reichsten Amerikanern. Früher hatte er mehrere Firmen. Vor einigen Jahren hat er sich aber ganz aus dem Geschäft zurückgezogen. Und gibt sein Geld für viele gute Projekte aus.“

„Auch für das Paranal?“, folgerte Richard.

„Richtig. Auch für das Paranal. Insbesondere für Paul und seine Exoplaneten-Forschung. Und noch einige andere Projekte. Die Solaranlage. Hast Du die schon gesehen?“

„Ist ja kaum zu übersehen“, antwortete Richard. „Aber sag‘ mal, Ihr braucht doch sicher riesige Batterien?“

Carlotta nickte „Wir können fast zwei Drittel unseres Stromverbrauchs decken.“

„Das rechnet sich aber nicht wirklich“, grinste Richard provozierend.

„Natürlich nicht. Es wäre selbst hier oben viel ökonomischer, einen Generator zu betreiben oder den Strom aus dem Netz zu beziehen.“ Carlotta deutete auf die Gasturbine hinter einer der Hallen. „Weil wir den Großteil nachts benötigen. Aber es war Brightons Idee, diese Anlage zu installieren. Man braucht schon eine gehörige Portion Idealismus dafür. Aber ich finde es wichtig, dass es Menschen gibt, die nicht alles dem Profit unterordnen.“

Richard nickte stumm und sah sich noch einmal zum Helikopter um.

„Ich glaube, fast jeder hier oben profitiert in irgendeiner Weise von Brighton“, fuhr Carlotta nach einer Weile fort.

„Er ist sehr fokussiert. Und verliert keine Zeit“, stellte Richard fest. „Und dabei ist er ganz natürlich. Solche Leute habe ich mir immer ganz anders vorgestellt.“

„Da hast Du recht“, stimmte Carlotta zu. „Sein Äußeres passt zu einem Industriellen, aber er ist eigentlich ein ganz einfacher und natürlicher Mann. Der wirtschaftliche Erfolg ist ihm nicht zu Kopf gestiegen. Vielleicht treffen wir ihn später noch beim Essen. Dann wirst Du ihn sicher noch näher kennenlernen.“

„Carlotta, Du hast gesagt, er hatte eine Menge Firmen“, erkundigte sich Richard. „Hat er sie aufgegeben?“

„Das ist eine traurige Geschichte.“ Carlotta zögerte. „Er hat vor Jahren seine Familie verloren.“ Ihr Blick senkte sich. „Eine schreckliche Katas­trophe. Er war gerade zum Unternehmer des Jahres gewählt worden. Wahrscheinlich der Höhepunkt seines unternehmerischen Erfolges. Und dann dieser Schicksalsschlag.“

„Was war das für eine Katastrophe?“, ermunterte Richard sie, weiterzu­sprechen. Sie waren mittlerweile die Einzigen in der Nähe des Helikopters. Der Pilot im Cockpit ging eine Checkliste durch und bemerkte sie nicht.

„Du hast doch sicher von diesem schrecklichen Erdrutsch in Kalifornien gehört. In der Nähe von Santa Barbara. Fast 200 Menschen sind dabei ums Leben gekommen.“ Carlottas Stimme wurde heiser. „Auch seine Frau und seine drei Kinder.“

Richard schluckte. Lange starrte er wortlos auf den Piloten im Helikopter. „Danach änderte Brighton sein Leben radikal. Er verkaufte alle seine Firmen und lebte schließlich ganz zurückgezogen. Die Geschichte war damals in allen Magazinen zu lesen. Erinnerst Du Dich nicht?“

„Nein, so was habe ich nicht verfolgt.“

„Mit seinem Vermögen hat er eine Stiftung gegründet, die wissenschaft­liche Einrichtungen und Projekte fördert.“ Carlotta trocknete ihre Augen und sprach mit belegter Stimme weiter.

„Wir hatten das große Glück, dass er sich sehr für Astronomie und die Fragen des Lebens interessiert. Paul hat mir einmal erzählt, wie er Brighton kennengelernt hat. Er war fasziniert davon, wie weit wir mit den Instrumenten in die Tiefen des Weltraumes blicken können. Und unglaubliche Dinge entdecken. Und manchmal auch beunruhigen­de.“

Sustainable Impact

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