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17.Englewood (New Jersey, USA) – 1. Oktober, 14:38 Uhr Ortszeit

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Zwei Polizeihubschrauber kreisten seit einer Stunde über dem Viertel. In den Straßen, die den sanierten Häuserblock eingrenzten, patrouillierten seit den frühen Morgenstunden Sicherheitskräfte des Secret Service. Die solaraktive Fassade des Appartementgebäudes glänzte bläulich in der schwachen Nachmittagssonne. Endlich näherte sich die Wagenkolonne. Die Sicherheitsleute an der Absperrung fassten ihre Reihen enger. Einige murmelten kurze Befehle in ihre Mikrophone am Handgelenk. Eine Kolonne von vier Fahrzeugen, darunter zwei schwere gepanzerte Limousinen, hielt vor dem Haupteingang der über 300 Wohneinheiten umfassenden Wohnanlage.

„Was ein Aufwand, George“, murmelte der Geschäftsführer der gemein­nützigen Wohnungsgesellschaft zu einem gut gekleideten Mann Mitte fünfzig mit grauem Haar, der direkt neben ihm stand.

Dann öffneten sich die Türen der beiden vorderen Wagen und des Wagens am Ende der Kolonne. Heraus stiegen etwa ein Dutzend Männer in dunklen Anzügen und durchstreiften mit ihren Blicken sofort die umliegenden Häuserreihen, die Journalisten und die Schaulustigen. Nach einigen Minuten öffneten sich auch die Türen der gepanzerten Limousine und ein mittelgroßer Mann mit Bauchansatz und dünnem Haar stieg aus. Der Präsident. Auf ihn hatten alle gewartet. Umringt von einem Trupp Sicherheitskräften eilte er zum Haupteingang. Dieser lag zurückgesetzt zwischen zwei jeweils fünf Stockwerke hohen Gebäudeteilen. Die beiden Männer, die die Ankunft des Präsidenten schweigend erwartet hatten, gingen ihm entgegen. „Mister President. Herzlich Willkommen“, rief der Geschäftsführer der Wohnungsgesellschaft dem Ankommenden entgegen. „Es ist uns eine Ehre, Sie hier bei uns begrüßen zu dürfen.“

„Schon gut, schon gut“, antwortete der Präsident. „Mister… ähm.“

„Carsson“, klärte der untersetzte Geschäftsführer auf. „Und George Brighton, der unser Projekt erst ermöglicht hat.“

„Carsson, genau. Mister Carsson“, korrigierte sich der Präsident und schüttelte dem Gastgeber die Hand. Dann wandte er sich an Brighton und tat dasselbe. Allerdings ohne, wie es die Presse sonst von Präsident Goldman gewohnt war, mit einem telegenen Blick die Kameras suchend. „Kommen wir zur Sache. Ich habe wenig Zeit.“

„Mister President, bitte hier entlang“, beeilte sich Carsson und wies dem Präsidenten den Weg ins Innere. Wenige Augenblicke später ver­schwanden die drei Männer im Gebäude. Die Kamerateams folgten, so gut die Sicherheitsvorkehrungen es zuließen.

Auf einer Tribüne in der bis auf den letzten Platz besetzten Eingangshalle der Wohnanlage zog Präsident Goldman einen Zettel aus der Innentasche seines Jacketts. Er entfaltete ihn, strich ihn auf dem Rednerpult glatt und begann seine Rede. Nach einer kurzen Begrüßung und den üblichen Floskeln über die Freude „heute hier bei Ihnen sein zu können“ kam der Präsident zu seinem eigentlichen Thema. „Meine sehr verehrten Damen und Herren. Sie haben mich eingeladen, heute hier zusammen mit Ihnen diese Wohnanlage ihrer Bestimmung zu übergeben. Dafür bin ich Ihnen außerordentlich dankbar. Sie werden sich sicherlich fragen, warum der Präsident der Vereinigten Staaten sich die Zeit nimmt, eine Wohnanlage in New Jersey zu eröffnen. Hat er nichts Besseres zu tun?“ Der Präsident war nach einigen abgelesenen Sätzen zum Aufwärmen zu seiner gewohnten Form aufgelaufen und spielte durch sein provokantes Lachen mit seinen Zuhörern. Ein Raunen ging durch die Reihen. Nach einigen Momenten blickte er zufrieden zurück auf seinen Redetext und fuhr fort. „Ich habe trotz vieler Verpflichtungen und eines engen Zeitplanes die Einladung der gemeinnützigen Solarpower Wohnungsgesellschaft gerne angenommen. Und ich will Ihnen auch erklären warum. Mit diesem Gebäudekomplex haben Sie den Beweis angetreten, dass die Unab­hängigkeit vom Öl möglich ist. Sie haben in moderne Technologien investiert und damit ein Wohngebäude geschaffen, das völlig unabhängig von fossilen Energieträgern ist. Es bietet den Bewohnern zugleich einen hohen Komfort und völlige Autonomie bei Heizung, Warmwasser, Klimatisierung und Stromversorgung. Und ich bin Ihnen dankbar, dass Sie dieses Projekt umgesetzt haben, denn Sie schaffen damit eine wichtige Voraussetzung für die weitere Sicherung unseres Wohlstandes im Zeitalter steigender Rohstoffpreise.“

Der Präsident hatte seinen Redetext zur Seite gelegt und sprach frei zu den mehr als dreihundert geladenen Zuhörern. Die Männer des Secret Service standen hinter, neben und vor dem Rednerpult und blickten unentwegt in die Reihen der Zuhörer. Plötzlich hob einer der Männer seine Hand ans Ohr und konzentrierte sich auf die eingehende Meldung. Als er die Nachricht vernommen hatte, wandte er sich zum Präsidenten, der noch immer die Vorzüge der Wohnanlage und die Vorteile der autonomen Energieversorgung pries. Er gab ihm ein kurzes Zeichen mit der Hand. Unmerklich nickte Präsident Goldman und bemühte sich sogleich, zum Schluss seiner Ausführungen zu kommen. „Die eingesetzten Technologien reichen von Solarthermieanlagen und Photovoltaiksystemen über Wärmepumpen und Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung bis hin zu Wärmeschutzisolierungen. Aber diese Technologien können Ihnen die Experten viel besser erklären als ich. Deshalb will ich Sie auch nicht länger auf die Folter spannen.“ Noch einmal machte Goldman eine Pause und blickte in die Menge seiner Zuhörer. „Ich eröffne hiermit die erste energieautonome Wohnanlage auf amerikanischem Boden. Ich wünsche Ihnen, den Bewohnern, allzeit eine glückliche und frohe Zeit in diesen Gebäuden und Gottes Segen. Den Erbauern sage ich ein herzliches Dankeschön für den Mut und die Weitsicht bei der Umsetzung ihrer Vision. Ich bin sicher, dass wir auch in Zukunft noch viel von Ihnen hören werden. Ich danke Ihnen.“

Dann wartete Goldman noch für einen kurzen Moment den Applaus seiner Zuhörer ab und trat mit einem Gruß in die Menge und in die laufenden Fernsehkameras vom Rednerpult nach hinten weg. Dort warteten Carsson und Brighton auf ihn. „Mister President, vielen Dank für Ihre Rede. Ich würde mich freuen, wenn wir Ihnen anschließend noch die…“

„Oh, Mister… Ähm“, unterbrach ihn Goldman.

„Carsson.“

„Mister Carsson. Ich habe gerade von einer dringenden Angelegenheit erfahren, um die ich mich persönlich kümmern muss“, erklärte der Präsident in einem Tonfall, der keinen Widerspruch zuließ. Dabei nahm er einen handgeschriebenen Zettel von einem Sicherheitsoffizier ent­gegen. Dann blickte er demonstrativ auf die Uhr. „Mein Helikopter wartet.“

Wenige Schritte entfernt saß ein fünfundsechzigjähriger Mann auf einem Stuhl an der Rückwand der Halle und stützte sich auf einen Stock. Er hatte die Rede des Präsidenten aufmerksam verfolgt und erhob sich nun unter Mühen von seinem Platz. Brighton eilte zu ihm und stützte ihn auf den wenigen Metern zum Präsidenten. Dort angekommen, schob der gebrechliche Mann die randlose Brille auf seine knollige Nase und sprach den Präsidenten direkt an. „Mister President. Mein Name ist Simmons, Peter Simmons. Ich möchte mit Ihnen gerne noch über die verpflichtende Einführung erneuerbarer Energien im Gebäudebereich, die Höchstgrenzen für den Spritverbrauch von Fahrzeugen und den Umbau der nationalen Stromversorgung sprechen“, erklärte der Mann mit gekrümmten Rücken und klammerte sich dabei mit seiner knöchernen Hand an einen Stock.

„Was wollen Sie? Sie haben doch gehört, dass ich keine Zeit habe“, antwortete der Präsident barsch. „Außerdem halte ich von solchen Zwangsmaßnahmen nichts. Die behindern nur unsere Wirtschaft und zerstören unser Wirtschaftswachstum. Von den Arbeitsplätzen, die das kostet, ganz zu schweigen.“

„Aber Mister President, Sie haben doch gerade noch den Einsatz erneuerbarer Energien in diesem Gebäude gelobt und die Vision von energieautonomen Gebäuden angepriesen…“ Der alte Mann sah Goldman kopfschüttelnd an und wartete auf eine Reaktion. Goldmann blickte auf seine Uhr. Ein Secret Service Agent wartete auffordernd auf ein Zeichen, um einzugreifen. Doch Goldman wies ihn mit einer flüchtigen Kopfbewegung zurück. „Verstehen Sie Sir, was ich gerade eben gesagt habe ist richtig. Aber ich kann doch nicht unserer gesamten Industrie so mir nichts dir nichts verordnen, dass sie alle ihre Produkte, Prozesse und Verfahren umstellt. Können Sie sich vorstellen, was das für Investitionen erfordert. Das würde unser Land kaputt machen. Wir müssen sehen, dass wir unsere Position im weltweiten Wettbewerb behaupten und stärken. Da können wir nicht so einfach die gesamten Infrastrukturinvestitionen der letzten fünfundzwanzig Jahre, ach was sage ich, fünfzig Jahre, über den Haufen werfen.“

„Aber Mister Goldman“, wandte Simmons hustend ein. „Sie wissen auch, dass wir jetzt handeln müssen. Wir dürfen unsere Ressourcen nicht länger für ein Wachstum verschwenden, das in einer riesigen Marketing­schlacht um immer mehr Kunden und Marktanteile mit immer neuen Produkten doch nur bestehende gleichartige Funktionalität ersetzt. Wir haben jetzt die historische Aufgabe, unsere Zivilisation auf einen nachhaltigen Umgang mit unserem Planeten und dessen begrenzte Möglichkeiten auszurichten. Und gerade wir als Amerikaner müssen der Welt ein Vorbild sein…“

„Hören Sie, Sir“, unterbrach der Präsident die unter großer Anstrengung formulierten Sätze des Fünfundsechzigjährigen. „Ich habe jetzt wirklich keine Zeit mehr. Es gibt Angelegenheiten von globaler Bedeutung, die keinen Aufschub dulden“, erklärte Goldman und griff der Reihe nach die Hände der drei Männer, um sie zur Verabschiedung zu schütteln. „Vielen Dank Ihnen allen.“

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