Читать книгу Sustainable Impact - Marc F. Bloom - Страница 18
16.Point Barrow (Nord-Alaska, USA) – 21. September, 00:18 Uhr Ortszeit
ОглавлениеMarc Lighter blickte konzentriert auf die Bildschirmanzeige seines Laptops. Während er die Leistungsparameter des Mikrowellensystems kontrollierte, nippte er an einer Dose Cola. Aus den Augenwinkeln verfolgte er die Monitore der beiden anderen Männer, die mit ihm in dem kleinen Container saßen. Der Container war auf der gesamten Längsseite mit Rechnersystemen und geheimer Steuerungs- und Kommunikationselektronik ausgestattet. Lighter verfolgte ruhig die Daten seines Systems auf dem Bildschirm. Die beiden Air Force Offiziere, mit denen er seit über zwölf Stunden den engen Arbeitsplatz in dem Kommandocontainer teilte, wurden zunehmend unruhig und drängten auf das Ende der Testreihe. Doch auf dem abgelegenen Air Force Stützpunkt kurz unterhalb einer schmalen, langgezogenen Halbinsel, dem sogenannten Point Barrow, gab es außer einer Salzlagune, einem Süßwassersee, Langstrecken-Radarsystemen und den Überresten einiger Startrampen wenig zu erkunden. Daher konzentrierte sich Marc Lighter weiter auf die unterschiedlichen Leistungsparameter an seiner Systemsteuerung. Die POW Main Air Force Base bei Point Barrow lag nur wenige Meter vom Arktischen Ozean entfernt. In den sechziger und siebziger Jahren waren von dem nördlichsten Punkt der Vereinigten Staaten nahezu hundert Höhenforschungsraketen zur Untersuchung der Erdatmosphäre gestartet worden. Seit dem Kalten Krieg stand hier nur noch eine Radarstation der US Air Force. Außerdem wurde auf Point Barrow neben mehreren Wetterstationen auch das Arktische Forschungslaboratorium der Universität von Alaska betrieben, das bei der Untersuchung der Folgen des Klimawandels auf Wetteraufzeichnungen seit dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts zurückgreifen konnte.
„Wir haben jetzt schon einen Massenverlust von elf Prozent“, erklärte Mike Tucker und blickte starr auf die Anzeige des Satellitenradars. „Warte, Marc.“ Tucker bediente hektisch die Tastatur und die Farben auf seinem Bildschirm veränderten sich. „Jetzt scheint er auseinander zu brechen.“ Er sprang auf und deutete auf den Monitor. „Was ist das, Marc? Das war doch so nicht besprochen.“
Der Monitor zeigte die Radarvermessung eines etwa 500 Meter langen und 300 Meter breiten Eisbergs, irgendwo fünfzig Seemeilen vor der Küste des arktischen Schelfeises zwischen 170 und 180 Grad östlicher Länge. In der Mitte der langen Seite war ein wie mit dem Lineal gezogener schmaler Spalt zu erkennen.
„Keine Panik, Mike. Ich habe mal eine kleine Variante probiert.“ Lighter setzte ein breites Grinsen auf. „Und es hat ganz offensichtlich funktioniert.“
„Du hast gut lachen. Ich hoffe nur, wir kriegen keinen Ärger deswegen. Du weißt, die Russen haben ihre Augen überall. Ich will nicht, dass sie drauf kommen, was wir hier machen!“
„Aber Mike, so ein Eisberg ist eine absolut natürliche Sache“, erklärte Marc Lighter mit beschwichtigendem Ton. „Reines Wasser. Diese Dinger zerbrechen halt manchmal. Gerade heutzutage. Da wird niemand drauf kommen, dass wir etwas damit zu tun haben.“
„Und wenn er wie mit einem Tranchiermesser durchtrennt wird?“, regte sich Tucker auf.
„Ach komm schon, Mike. Lass’ gut sein“, fiel ihm Roger Beechey ins Wort.
Tucker ließ sich in den Stuhl zurückfallen. „Er macht ja doch was er will“, brummte er und wechselte die Anzeige seines Monitors. Ein Netzlinienbild zeigte die dreidimensionale Gesamtperspektive des Eisbergs. Die Bilder stammten aus der Ostsibirischen See. Sie wurden von einem hochmodernen Erkundungs- und Spionagesatelliten im globalen Satellitennetzwerk der US-Armee geliefert. Mike Tucker war bei den Weltraumtruppen der US Air Force als Systemoffizier für die Bedienung der Spionagesatelliten verantwortlich. Der Dienstsitz seiner Einheit lag in Kalifornien. Wenige Tage zuvor war er für diesen Geheimauftrag an den nördlichsten Posten, den die Air Force zu bieten hatte, beordert worden. Draußen trieben nach einem kurzen feuchten Sommer die ersten Schneestürme von der Arktischen See aus über das Land. Die Temperaturen erreichten gerade einmal minus zwei Grad. Tuckers Planung hatte für diese Tage einen Urlaub mit seiner Freundin am Strand von Malibu vorgesehen. Entsprechend unterkühlt war seine Stimmung.
„Reicht es Dir jetzt endlich, Marc?“ Tuckers Blick war auf Zustimmung aus.
„Ich möchte gerne noch einige andere Parameterkonstellationen testen“, antwortete Marc Lighter ohne Eile und wandte seinen Blick nicht von der Parameteranzeige des Hochleistungsmikrowellensystems ab. „Beim nächsten Transit. O.K.?“
„Das ist dann schon der zehnte Transit, Marc. Wir hatten für die Tests eigentlich nur acht vereinbart“, wandte Beechey ein, der als Systemoffizier für die Steuerung und Kontrolle des MITADE-Satelliten zuständig war. Das Microwave Tactical Defense System war ein Projekt, das es offiziell gar nicht geben durfte. Nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Zusammenbruch der Sowjetunion hatte der US-Kongress die Finanzierung für die strategische Verteidigungsinitiative, die US-Präsident Ronald Reagan zum Schutz vor Angriffen mit Interkontinentalraketen ins Leben gerufen hatte, massiv zusammengestrichen. Die Entwicklungsprojekte, die bis dahin schon ein Vielfaches der geplanten Mittel verschlungen hatten, aber noch weit von den versprochenen Ergebnissen entfernt waren, wurden über Nacht gestoppt und sämtliche Forschungsarbeiten wurden auf Eis gelegt. Einzig ein Projekt, das den Einsatz von gebündelten Energiepulsen in Form von Mikrowellenstrahlen zur Störung und Beeinflussung feindlicher Gefechtsfeldelektronik einschließlich der Steuerungssysteme strategischer und taktischer Atomwaffen zum Ziel hatte, hatte überlebt. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion waren die Labors und Anlagen von ihrem ursprünglichen Standort in Kalifornien zu einer abgeschiedenen Militärbasis in Arizona gebracht worden und wurden von diesem Zeitpunkt an unter strengster Geheimhaltung und mit Finanzmitteln, die zur Verschleierung über mehrfache Umwege aus dem Budget der Air Force abgezweigt wurden, unter dem Codenamen MITADE weiter vorangetrieben.
Auf die frühen Tage dieser Geheimabteilung der Air Force ging auch die Verbindung zwischen Roger Beechey und Marc Lighter zurück. Lighter war damals nicht bereit gewesen, der plötzlichen Verlagerung seiner Abteilung in die Wüste Arizonas zu folgen. Er hatte es vorgezogen, sich mit seinem Wissen und seiner Erfahrung im Bereich von Hochleistungsmikrowellensystemen zusammen mit seinem Freund Samuel Wallace in der Nähe von Stanford selbständig zu machen. Gemeinsam gründeten sie die Advanced Microwave Technologies Inc. und arbeiteten aufgrund ihrer einzigartigen Expertise auf dem Gebiet hocheffizienter Mikrowellenquellen neben der Entwicklung industrieller Anwendungen auch eng mit der MITADE-Geheimabteilung der Air Force zusammen. Der Höhepunkt des Erfolges von Advanced Microwave Technologies war die Auswahl eines von Marc Lighter entwickelten Hochleistungsmikrowellensystems für den ersten Prototypen eines weltraumgestützten Abwehrsatelliten, den die Geheimabteilung der Air Force als Spionagesatellit getarnt, in eine niedrige Umlaufbahn bringen konnte. Da Marc Lighter als Hauptanteilseigner von Advanced Microwave Technologies kein Interesse an der Veräußerung seiner durch unzählige Patente geschützten Technologie hatte, wurde er von der MITADE-Abteilung seit ihrem Untertauchen immer wieder für Weiterentwicklungen und Tests seines Mikrowellensystems in dem einzigen bisher aktiven Satelliten herangezogen. Durch seine intimen Kenntnisse und Einblicke in die Geheimabteilung, die er dabei zwangsläufig erlangte, verfügte er damit zugleich auch über eine Währung, die seiner Firma eine Verhandlungsposition ermöglichte, von der jeder seiner Wettbewerber nur träumen konnte.
„Wenn es Euch zu langweilig wird, dann macht Euch von mir aus ab durch die Büsche“, erklärte Marc Lighter den beiden Systemoffizieren beiläufig. „Ich werde Euch jedenfalls nicht verpfeifen! Hab’ Wichtigeres zu tun. Die Jungs von der NASA werden mich grillen, wenn ich das hier versaue“, murmelte er, ohne dabei von seinem Bildschirm hoch zu sehen.
Tucker und Beechey tauschten für einen kurzen Moment fragende Blicke aus. Sie verloren jedoch kein Wort und starrten dann weiter auf ihre Monitore. Nach einigen Minuten blickte Beechey von seinem Bildschirm hoch. „Wenn Du uns wirklich nicht verpfeifst, kannst Du von mir aus noch die nächsten vierundzwanzig Stunden weiter testen, Marc.“
Marc Lighter starrte, ohne ein Wort zu sagen, weiter auf seinen eigenen Bildschirm und tippte einige Tastenkombinationen.
„Du kennst Dich ja mit dem Satelliten aus, Marc“, fügte Beechey hinzu.
„Klar, mindestens hundert Mal gesehen, wie Ihr Jungs das macht.“ Lighter nippte desinteressiert an seiner Cola.
Beechey kramte in seiner Tasche. Nach einem Moment zog er einen Memory-Stick hervor. „Das sind die Zugriffscodes. Pass gut drauf auf.“ Dann zögerte er, als Marc Lighter keine Reaktion zeigte, sondern weiter unbeirrt mit seinem Programm beschäftigt war.
„Leg’ sie dort hin. Wird sie schon keiner wegnehmen. Hier kommt ja freiwillig eh niemand her.“
Beechey gab seinem Kollegen einen Stoß in die Seite und sein Gesicht zeigte zum ersten Mal seit Stunden wieder eine Regung. „Also los. Danke Marc, dass Du uns eine Pause gönnst. Du weißt ja, wo Du uns erreichst, wenn Du Hilfe brauchst.“
„Kein Problem Leute. Macht Euch los. Ich komme schon klar.“ Dann schoben die beiden Systemoffiziere ihre Unterlagen zusammen und verließen den Kommandocontainer durch die mit einem Codeschloss gesicherte Zugangstür. Als die schwere Stahltür wieder ins Schloss gefallen war, blickte Marc Lighter zum ersten Mal von seinem Bildschirm auf. Einen Moment saß er regungslos auf seinem Stuhl und versuchte, die Stimmen der beiden draußen zu verfolgen. Die Lüfter und Festplatten der unzähligen Rechner und die Klimaanlage überlagerten mit ihrem monotonen Hintergrundgeräusch jeden Laut. Langsam löste sich die Anspannung der letzten Stunden. Marc Lighter streckte sich und atmete die stickige Luft des Containers tief ein. Dann ging er zur Steuerungseinheit des MITADE-Satelliten. Schnell steckte er den Memory-Stick in den dafür vorgesehenen Anschluss des Kontrollrechners und zwang sich zur Konzentration. Dann hackte er einige Befehle in die Tastatur. Immer wieder schweifte sein Blick zur Tür und er versuchte, trotz der Hintergrundgeräusche eine mögliche Rückkehr der beiden Systemoffiziere zu hören. Nach einigen Momenten, in denen alles ruhig blieb, holte er einen kleinen Zettel aus seiner Hosentasche und faltete das Papier auseinander. 69 Grad 40 Minuten 43,53 Sekunden Nord – 170 Grad 11 Minuten 53,38 Sekunden Ost. Seine Finger huschten über die Tastatur und er übertrug die Koordinaten in das Programm zur Satellitensteuerung. Nachdem er die Eingabe noch einmal überprüft hatte und sie bestätigen konnte, blickte er auf seine Uhr: 00:33 Uhr Ortszeit. Bis zum nächsten Transit hatte er noch genau vierzehn Minuten Zeit. Schnell rollte er mit dem Stuhl zurück an seinen Platz und griff in seine Tasche. Zwischen den Unterlagen zog er eine leere DVD heraus. An der MITADE-Steuerungseinheit legte er sie in das Laufwerk und startete den Kopiervorgang. Der Rechner übertrug die Zugriffscodes und die komplette Steuerungs- und Kontrollsoftware des über eine Milliarde Dollar teuren Satellitensystems auf seinen Datenträger.
In einem kurzen Seitenblick überprüfte er noch einmal die Radarvermessung des Eisbergs, den die NASA für diese Testreihe des Mikrowellensystems ausgesucht hatte. Dabei fiel ihm ein, dass Andrew Whileman und Harrison Greenburg noch auf die Daten seiner Tests warteten. Schnell rutschte er mit seinem Stuhl zum Kontrollpult des Radarsatelliten und kopierte die Daten der Radarvermessung auf einen Daten-Stick, den er immer bei sich trug. Sobald die Kontrolllampe erloschen war, zog er den handlichen Speicher ab und rollte zurück zu seinem eigenen Kontrollrechner, um die Daten an die beiden Wissenschaftler zu mailen. Er selbst interessierte sich nicht sonderlich für die neuen Messwerte. Die Testreihen der vergangenen Stunden, die er mit unterschiedlichen Parameterwerten des Hochleistungsmikrowellensystems durchgeführt hatte, hatten inzwischen zwölf Prozent der Eismasse schmelzen lassen, was einem Volumen von nahezu zwei Millionen Kubikmetern oder fünfundvierzigtausend Lastzügen entsprach. Ein beeindruckender Wert. Doch das waren keine Erkenntnisse, die er nicht schon in den unzähligen Testreihen der vergangenen zwei Jahre gewonnen hatte. In der Wüste Arizonas und auf Grönland hatte er sein Mikrowellensystem unter allen möglichen Betriebsbedingungen und für die unterschiedlichsten Einsatzbereiche getestet. Dabei hatte er die Wirkung der gepulsten Mikrowellenstrahlung auf verschiedene Formen von Materie, elektronische Geräte, Computersysteme und auch auf den menschlichen Organismus untersucht. So nahm Lighter von den Informationen auf der Bildschirmanzeige keine weitere Notiz. Es gab nur wenige Dinge, die ihm noch eine Regung entlocken konnten. Nach dem Einstieg eines reichen Investors in seine Firma hatte er finanziell ausgesorgt und arbeitete eigentlich nur noch, um vor der Leere in seinem Haus zu fliehen, die ein schreckliches Unglück vor fünf Jahren in sein Leben gerissen hatte. Eine Katastrophe hatte seine Frau zusammen mit ihrer Schwester von einem Moment auf den anderen aus seinem Leben gerissen. Danach war er in ein tiefes Loch gestürzt. Monatelang hatte er sich in seinem Haus eingeschlossen und jeglichen Kontakt zur Außenwelt abgebrochen. Erst als seine Firma kurz vor dem Konkurs stand und ein reicher Investor sich für seine Mikrowellensysteme zu interessieren begann, kehrte er langsam zurück ins Leben. Er schloss die Entwicklung einer neuen Generation von Hochleistungsmikrowellensystemen ab, die die Vorgängerserie in ihren Leistungsparametern um ein Vielfaches übertraf und entwickelte besondere Energie in der Erschließung neuer Einsatzbereiche für Mikrowellensysteme.
Plötzlich wurde Lighter vor dem Kontrollrechner aus seinen Gedanken gerissen. Das Schloss der gesicherten Stahltür surrte und Roger Beechey riss keuchend und vom Regen durchnässt die Tür auf. Lighters Puls begann zu rasen. Nervös blickte er zur Uhr und zwang sich zugleich zu einem belanglosen Blick auf den Kontrollmonitor des MITADE-Satelliten. Der Kopiervorgang der Steuerungs- und Kontrollsoftware lief noch immer. Und nur noch drei Minuten bis zum nächsten Transit. Der einzige Test, den er unbedingt zu Ende bringen musste.