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11.Yepun (VLT), Cerro Paranal (Chile) – 14. September, 16:25 Uhr Ortszeit

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Die trockene Luft der klimatisierten Teleskopkuppel brachte Richard erneut zum Frösteln. Mit seinem kahlgeschorenen Kopf in die Hände gestützt saß er auf der Treppe zur Instrumentenplattform. Paul Rodriguez war schon fast eine Stunde fort. Immer noch grübelte er über dessen Andeutungen nach. Die Besiedlung fremder Welten war Science Fiction. Für eine derart vage Idee gab es mit Sicherheit keine Forschungsmittel. Bevor solche Ideen auch nur die Nähe einer realen Umsetzung erreichten, müssten noch Jahrzehnte intensiver Forschung investiert werden. Das hatte schon das Projekt Biosphäre 2 gezeigt, bei dem Anfang der Neunziger Jahre in einem von der Außenwelt abge­schotteten Gebäudekomplex in Arizona ein sich selbst erhaltendes Ökosystem geschaffen werden sollte. Eine Hand voll Menschen sollte sich darin für mehrere Jahre von der Außenwelt abgeschlossen versorgen. Das Experiment musste jedoch vorzeitig abgebrochen werden, da der Sauerstoff von den Baumaterialien absorbiert wurde und die meisten Nutztierarten ausgestorben waren, parasitäre Mikroben und Kakerlaken sich dagegen prächtig vermehrten. Das Projekt hatte mit erschreckender Deutlichkeit die Grenzen der menschlichen Fähigkeit aufgezeigt, komplexe und vernetzte Zusammenhänge der Natur zu überblicken. Trotz aller wissenschaftlichen und technischen Errungenschaften mussten die Wissenschaftler eingestehen, dass sie noch lange nicht in der Lage waren, die Vielzahl der für das menschliche Überleben notwen­digen Umweltparameter zu begreifen oder zu kontrollieren. Schon allein aus diesem Grunde würde die Menschheit noch viele Generationen auf die Erde angewiesen sein.

Auf der anderen Seite war das Leben auf der Erde seit Anbeginn Bedrohungen aus dem Sonnensystem ausgesetzt. Durch die geringe Wahrscheinlichkeit derartiger Ereignisse würde die Mensch­heit wohl noch ausreichend Zeit haben, sich auf eine solche Bedrohung vorzu­bereiten. Wieder durchfuhr ein Frösteln Richards gesamten Körper und er beschloss, im Kontrollzentrum zu warten. Mit von Kälte klammen Fingern öffnete er die schwere Stahltüre von der klimatisierten Kuppelhalle zur Luftschleuse. Am Ende der kurzen Treppe griff Richard nach der Außentür und erwartete die wärmenden Sonnenstrahlen. Noch bevor er die Außentür erreicht hatte schlug die Stahltür hinter ihm metallisch-dumpf ins Schloss. Die Außentür war verschlossen. Sie ließ sich nur mit einer Magnetkarte öffnen. „So ein Mist“, rief er wütend und ging mit lauten Schritten zurück in die mächtige Kuppelhalle.

„Wo bist Du gewesen?“ Richard zuckte zusammen als er die Stimme hörte.

Paul Rodriguez stand unter der Teleskopstruktur und lehnte am Treppengeländer. „Du musst entschuldigen Richard, es kommt immer was dazwischen.“

„Wo bist Du denn so plötzlich her gekommen, Paul?“

„Ich kenne hier oben jeden Kabelkanal“, lachte Rodriguez und Richard konnte sich ein Kopfschütteln nicht verkneifen.

„Sag’ mal Paul. Du hast vorhin so geheimnisvoll getan. Die Besiedlung fremder Planeten und so. Wie kommst Du darauf?“

Wieder lachte Rodriguez. „Ich habe mir schon gedacht, dass Dich das beunruhigen wird.“

„Gibt es denn einen konkreten Anlass?“

„Du kennst doch die Beobachtungsprogramme für interplanetarische Objekte?“

„Klar. Ich habe früher selbst einmal nach Kometen und Asteroiden gesucht.“

„Na, dann muss ich Dir ja nichts über die latente Bedrohung erzählen, die unseren Planeten begleitet.“

„Die meisten von uns machen sich diese Gefahr ihr ganzes Leben lang nicht einmal bewusst.“

Paul nickte stumm.

„Da bin ich aber erleichtert.“ Richard atmete durch. „Ich dachte schon, Ihr hättet einen Brocken entdeckt, der die Erde auslöschen wird.“

„Ganz so dramatisch ist es nicht“, entgegnete Rodriguez. „Wir haben aber eine sehr interessante Entdeckung gemacht.“

„Was denn. Los sag’ schon“, drängte Richard ungeduldig.

„Du hast doch sicherlich von der Beobachtung von Halley weit draußen bei den äußeren Planeten gelesen.“

„Ja, das war eine große Sensation.“ Richards Neugier war entfacht. Er erinnerte sich daran, wie er den Kometen als kleiner Junge gemeinsam mit seinem Vater beobachtet hatte. Ich habe mir damals mein erstes Teleskop gewünscht. Das Paranal Observatorium hatte den Kometen Halley beim Verlassen des Sonnensystems nach dem letzten Besuch im Jahr 1986 in der 28-fachen Entfernung der Erde zur Sonne beobachtet. Zu diesem Zeitpunkt war der Komet soweit wie der Planet Neptun entfernt und das Licht war auf dieser Strecke vier Stunden unterwegs. Halley hatte in dieser Entfernung von der Sonne jegliche Oberflächen­aktivität, die für die Entstehung eines sichtbaren Schweifs verantwortlich ist, eingestellt. Nur hochentwickelte Anlagen wie das Paranal sind durch die Kombination mehrerer Teleskope und lange Integrationszeiten in der Lage, Objekte dieser geringen Magnitude noch zu beobachten.

„Vor über einem Jahr haben wir einen anderen, ziemlich spektakulären Kometen entdeckt“, erklärte Rodriguez weiter. „Damals war er noch zehn Astronomische Einheiten von uns entfernt, weiter als die Saturn-Bahn.“

„Hattet Ihr für eine solche Suche Messzeit?“, war Richard erstaunt.

„Aber nein, Richard. Nicht dafür. Es war wirklich ein großer Zufall. Wir suchen ja nicht systematisch nach Kometen“, erwiderte Rodriguez mit angespannter Stimme. „Wir waren auf der Suche nach Exoplaneten-Systemen. Dabei haben wir bei der Analyse von Aufnahmen im Sternbild Lepus den Kometen entdeckt.“

„Wie groß ist er denn? Werden wir ihn sehen können?“

„Damals hatte er eine Magnitude von 25,5, inzwischen ist er etwa 24,5.“

Die Magnitude beschreibt die Helligkeit von Objekten auf einer logarithmischen Skala, bei der zunehmende Werte einer abnehmenden Helligkeit entsprechen. Objekte mit der Magnitude 25 sind etwa 40 Millionen Mal lichtschwächer als Sterne, die noch mit bloßem Auge in einer sternklaren Nacht ohne Mond und weit entfernt vom Streulicht der Städte wahrgenommen werden können.

„Die Suchprogramme werden ihn – wenn überhaupt – erst entdecken können, wenn er die Jupiter-Bahn lange hinter sich gelassen hat.“ Paul Rodriguez hatte auf der Treppe zur Instrumentenplattform Platz genommen. „Also frühestens in einem Jahr. Ich erwarte aber nicht, dass man ihn so früh schon entdecken wird. Unsere Spektralanalysen haben gezeigt, dass er seine höchste Reflektivität im roten Spektralbereich hat.“

„Du meinst, es könnte sich um einen Damokloiden handeln?“ Langperiodische Kometen dieser Klasse haben elliptische Bahnen, die sie weit über die Grenzen des Sonnensystems hinaus tragen. Aufgrund ihrer geringen Oberflächenaktivität bilden sie aber bei Annäherung an die Sonne keinen ausgeprägten Schweif aus und sind dadurch nicht als klassischer Komet zu beobachten.

„Ja genau. Wir müssen das aber durch weitere Messungen bestätigen. Sicherheit werden wir erst bekommen, wenn er die Jupiterbahn überquert hat.“

„Wie habt Ihr ihn genannt?“

„Er sollte etwas Werbung für uns machen. Darum haben wir ihn wie unseren Freund hier genannt.“ Rodriguez deutete auf blaue Stahl­konstruktion und blickte dann schweigend nach oben in die hohe Kuppel des Teleskops. Richard war an der Treppe vorbei gegangen und stand zwei Schritte vor ihm. Er folgte seiner Handbewegung nach oben zum Teleskop. „Werden wir den Kometen… also ich meine, Yepun, denn überhaupt wahrnehmen?“

„Ich denke, dass er für einiges Aufsehen sorgen wird.“ Rodriguez fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare und starrte auf das Teleskop.

„Hoffentlich wird es dabei bleiben.“ Richard schoss Lucifer’s Hammer durch den Kopf. Er hatte die Schilderungen von Larry Niven und Jerry Pournelle über einen Kometeneinschlag und der Folgen für die Zivilisation während seiner Schulzeit ein halbes Dutzend Mal gelesen.

„Aber Richard, Du weißt doch wie unwahrscheinlich der Zusammenstoß mit einem Kometen ist.“ Rodriguez blickte zu Richard auf. „Wir beobachten ihn weiter, um die Bahn noch genauer zu bestimmen“, erklärte er mit unterkühlter Stimme. Dann wandte er seinen Blick von Richard ab und schwieg. Einige Augenblicke später erhob er sich von den Stufen und umrundete die Teleskopkonstruktion. „Komm Richard, ich zeige Dir den PARSEC-Laser und die adaptive Optik. Ich weiß noch genau, wie Eure Leute aus Heidelberg das alles installiert haben.“

„Ohne diese Systeme wäre Yepun das größte Teleskop, das wir bauen können.“ Rodriguez deutete durch die halb geöffnete Teleskopkuppel zu einer markanten Erhebung der gegenüberliegenden Bergkette. „Da drüben wird die nächste Generation optischer Teleskope entstehen. Das Extremely Large Telescope mit 39 Metern Spiegeldurchmesser.“

„Da ist aber noch nicht viel zu sehen, Paul“, antwortete Richard beim Blick auf den 3.000 Meter hohen Cerro Amazonas.

Rodriguez lachte. „Wenn ich Glück habe, erlebe ich das noch vor meiner Pensionierung.“ Dann zerriss ein schriller Pfeifton die Unterhaltung.

Rodriguez ließ die Münzen in seiner Hostentasche klimpernd fallen und zog das Walkie-Talkie aus der Halterung. „Ich bin so weit! Kommst Du rüber Paul?“, kreischte eine Stimme aus dem Lautsprecher.

„Bin unterwegs“, bestätigte er knapp ins Walkie-Talkie.

„Endlich. Darauf habe ich gewartet. Gerhard hat gerade den Controller für eine der Verzögerungslinien im Interferometer repariert, sonst steht unsere 500-Millionen Euro Anlage heute Nacht“, erklärte Rodriguez gehetzt. „Richard, heute ist es wie verhext. Wir müssen unsere Besichtigung ein anderes Mal fortsetzen. Gerhard braucht mich bei den Tests.“

„Kann ich mitkommen?“

„Warum eigentlich nicht. Dann lernst Du auch gleich den Tunnel kennen.“ Rodriguez eilte zum Ausgang. „Komm’, wir müssen uns beeilen. Heute wollen wir noch ein paar Messungen am Kometen durchführen.“ Mit jedem Schritt nahm er zwei Stufen gleich­zeitig. Dann öffnete er die Tür und steuerte auf das Interferometrielabor im Zentrum der Plattform zwischen den vier Teleskopen zu.

Am Eingang zum Labor wartete Gerhard Boening, der als Ingenieur am Interferometer des VLT arbeitete, und hielt ein kleines Kästchen in der Luft.

„Hi Richard, wie war Dein Rundgang?“

„Sehr spannend. Beeindruckend die Teleskope.“

„Na dann warte mal auf den Tunnel!“.

Dann wandte er sich an Rodriguez. „Du wolltest ja dabei sein. Darum habe ich Dich angepiepst. Ich musste die komplette Controllerplatine aus­tauschen. Ein Bauteilfehler. Zum Glück war es nicht einer der Sensoren oder der Piezo-Controller. Ich habe es unten bereits durch­gemessen.“

„Prima. Lass uns gleich runter gehen.“ Rodriguez öffnete die Eingangs­tür zum Interferometrielabor. Dahinter führten zwei Gänge in die beiden Trakte des überirdischen Gebäudeteils. Direkt hinter dem Eingang führte eine Treppe nach unten. Nach 30 Stufen erreichten sie eine Tür mit der Aufschrift „VLTI Delay Lines“ – Very Large Telescope Interferometer Verzögerungsstrecken. Darüber war in beleuchteten Schriftzeichen die Aufschrift No Entry angebracht. Hinter einer weiteren Tür erreichten sie den 160 Meter langen Interferometrie-Tunnel. Im hellen Scheinwerfer­licht blitzten die durch die gesamte Länge des Tunnels laufenden Führungsrohre für die kleinen Transportwagen mit den darin befindlichen Reflektoren der Verzögerungslinien.

Die beiden Männer standen im Licht einer Halogen-Arbeitslampe vor einer Steuerungseinheit und einem Werkzeugcontainer. Noch bevor Richard die beiden erreicht hatte sprang Paul Rodriguez wortlos auf und lief ans Ende des Tunnels, wo er hinter einer Ecke verschwand.

„Wo will er hin?“ Richard musterte das Oszilloskop und die aufgebauten Messinstrumente.

„Ins Kontrollzentrum, noch einige Funktionstests durchführen. Ich hoffe, das Baby läuft jetzt wieder“ Gerhard Boening richtete sich auf und warf einen Schraubenzieher laut hallend in die Werkzeugkiste.

„Sag mal Gerhard, was weißt Du von den Messungen?“

„Wie meinst Du das?“

„Zum Beispiel von dem Kometen?“ Richard sah einen Moment von den Messsonden hoch, die er zusammenwickelte. „Paul hat mir davon erzählt.“

„Du meinst Yepun?“

„Weißt Du, was es damit auf sich hat?“

„Den haben sie durch Zufall entdeckt“, erklärte Gerhard Boening während er weiter die Werkzeuge zusammenräumte. „Es gab eine ziemliche Aufregung darum.“

„Aufregung?“

„Ja, sie haben ihn doch mehrere Jahre vor dem Perihel entdeckt“, antwortete Boening. „Das ist sehr ungewöhnlich. Eigentlich eine Sensation.“

„Ich weiß. Und nichts weiter?“

Gerhard Boening sah Richard fragend an. Nach einer Weile schüttelte er den Kopf. „Nichts weiter!“

„Aber sie haben die Entdeckung nicht veröffentlicht. Ist doch merkwürdig!“

„Stimmt! Aber ich hab‘ das nicht näher verfolgt“, erklärte Boening und zog die Kabel aus dem Oszilloskop. „Paul sagte uns, wir sollten das nicht an die große Glocke hängen. Er hat mich gebeten, die Parametrisierung aller Datenerfassungsprogramme zu überprüfen. Vielleicht hat er seinen eigenen Messungen nicht getraut.“

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