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5.Casino des Cerro Paranal (Chile) – 13. September, 19:39 Uhr Ortszeit
ОглавлениеRichard saß im großen Speisesaal des Kasinos und zog den Teller mit einer großen Portion Spareribs zu sich heran. Ohne noch einmal über seinen Jet Lag nachzudenken, war die Zeit wie im Flug vergangen. Nach wenigen Stunden auf dem Paranal hatte Richard bereits die wichtigsten Wissenschaftler und Ingenieure, die am Yepun arbeiteten, kennengelernt. Carl Bacher, ein Astrophysiker aus Garching, interessierte sich sehr für Richards Arbeit. Er war ein stämmiger Mann mit Bauchansatz und bayerischem Vollbart und trank als Einziger Bier zum Essen. Er arbeitete im Exoplaneten-Team, einer eingeschworenen Gemeinschaft, die sich mit der Suche und Erforschung von Planeten außerhalb des Sonnensystems beschäftigte. Auf dem Paranal entlockten sie dem Licht, das von Lichtjahre entfernten Sonnensystemen zur Erde vordrang, mit den fortschrittlichsten optischen und analytischen Methoden seine Geheimnisse. In der gesamten Community ernteten sie Anerkennung für die neue Perspektive auf die menschliche Existenz, die ihre Arbeit ermöglichte, ja praktisch erzwang. Seit der Eröffnung des Paranal hatte das Team um Paul Rodriguez das Observatorium durch eine Reihe bahnbrechender Entdeckungen zu einer der ersten Anlaufstellen für diese noch junge Forschungsdisziplin gemacht. Ein Höhepunkt war die erste direkte Beobachtung eines Planeten außerhalb des Sonnensystems. Paul Rodriguez, der sechsundvierzigjährige Portugiese, hatte nach dem Studium einige Jahre in Kalifornien gelebt und arbeitete schon seit der frühen Planungsphase am Observatorium. Seine Veröffentlichungsliste hätte für mehrere Forscherleben gereicht und seine Beiträge zur Exoplaneten-Forschung waren Standardwerke. Die meisten davon hatte Richard gelesen. Rodriguez vereinte, wie kaum ein zweiter, die umfassende Kenntnis der Instrumente und ihrer Möglichkeiten mit dem tiefgreifenden Verständnis der zugrundeliegenden Physik, hatte Professor Fehringer betont.
Als Richard den letzten abgenagten Knochen zur Seite legte, kam ein untersetzter Fünfzigjähriger an den Tisch. „Hey Paul, Wirst Du heute Nacht wieder mit E.T. flirten?“ Mindestens dreimal schlug er ihm während der kurzen Unterhaltung auf die Schulter. Dann wandte sich der Mann von den anderen am Tisch ab und zog Paul zu sich heran. Richard konnte die Unterhaltung dennoch verstehen. „Sag mal Paul, hast Du schon Neuigkeiten zu meinem Projektantrag?“, wollte der Wissenschaftler wissen und schob dabei einen Stapel Unterlagen zusammen.
„Rick, nicht jetzt!“, zischte Rodriguez ihn an. „Morgen kann ich Dir mehr sagen.“ Mit einem Knuff in die Seite verabschiedete er den Kollegen. Als Rodriguez zu seinem Platz zurückkam, wirkte er angespannter als zuvor. Immer wieder nippte er an seiner Cola. Im Gegensatz zu seinen Teammitgliedern offenbarte er nur wenig Privates. Er hatte sein Leben völlig auf seine Arbeit ausgerichtet. Seine wenigen guten Freunde konnten nicht einmal sagen, ob seine Besessenheit von der Idee, Leben im Weltraum zu finden, der Grund für das Scheitern seiner Beziehungen war. Oder hatte er sich nach seiner letzten festen Beziehung vor acht Jahren zur Ablenkung und aus reinem Selbstschutz, wie er es nannte, noch fanatischer in seine Forschung vergraben. Bestätigung bekam er durch die Arbeit mit anderen Wissenschaftlern. In den vergangenen Jahren hatte er sich so ein weitreichendes persönliches Netzwerk namhafter Astronomen weltweit aufgebaut. Doch er hatte auch einen Preis dafür gezahlt. Lange Arbeitstage, der Schlaf kam regelmäßig zu kurz. Auf seine wissenschaftliche Leistung hatte das bisher noch keine Auswirkung, aber er wirkte häufig nervös und rastlos. Und seine markant geformten Gesichtszüge mit den ersten Falten, konnten die Müdigkeit nicht verbergen.
„Richard, ich möchte Dich unbedingt einigen Leuten vorstellen“, erklärte Rodriguez, nachdem er den letzten Schluck seiner Cola ausgetrunken und die Flasche mit einem lauten Stoß auf der Tischplatte abgestellt hatte. „Ich bin mir sicher, dass wir Mittel für Dein Thema bekommen können.“
Richard schluckte. Zwar hatte er schon gehört, dass Paul Rodriguez ein Meister darin war, Fördergelder einzuwerben. Aber auch, dass ihm diese Fähigkeit nicht nur Freunde gemacht hatte.
„Aber Paul, Du hast doch mein Modell noch gar nicht gesehen!“, antwortete Richard und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Glaub’ mir Richard, ich habe ein Gespür dafür“, erklärte Rodriguez mit einem einnehmenden Lachen. „Deine Arbeit wird einen wichtigen Baustein liefern, um die Effizienz unserer Suche in Zukunft zu verbessern. Es gibt da einige Leute, die so etwas erkennen. Und fördern.“ Rodriguez sah sich zur Selbstbedienungstheke um. Seinem Gesichtsausdruck entnahm Richard aber, dass er dort etwas anderes erwartet hatte.
„Es gibt Menschen, die über ausreichende Mittel verfügen und obendrein noch Interesse an den Grundfragen unserer Existenz haben“, erklärte er mit überzeugender Stimme.
„Ob wir allein sind“, ergänzte Richard, „in den dunklen Tiefen des Weltalls.“
Rodriguez grinste zufrieden. „So viele Parameter müssen zusammenpassen, damit in der bewohnbaren Zone um einen Stern Leben entstehen kann und sich über Milliarden von Jahren zu höheren Lebensformen entwickelt, die wir überhaupt erst wahrnehmen können. Das allein lässt die Wahrscheinlichkeit für intelligentes Leben so unglaublich gering erscheinen. Aber in der unvorstellbaren Weite unseres Universums hatte die Evolution genügend Gelegenheit. Wir Menschen sind kein Zufall. Da draußen muss es noch wirklich intelligente Wesen geben. Unser größtes Problem ist die Begrenzung von Zeit und Ressourcen, alle Stellen im Weltraum zu durchsuchen.“
„Und Du glaubst, dass ich dazu einen Beitrag leisten kann?“
„Deine Arbeit wird unsere Suche effizienter machen und uns helfen, unsere knappste Ressource, die Beobachtungszeit, noch besser zu nutzen…“ Rodriguez wandte seinen Blick durch die spiegelnde Scheibe hinaus in den pechschwarzen Nachthimmel. Wenige Sekunden später drehte er sich plötzlich wieder um. Richard folgte unwillkürlich seinem Blick zur Eingangstür. Ein heißkalter Schauer durchfuhr ihn. Am anderen Ende des Speisesaals erblickte er eine hochgewachsene schlanke Frau. Ihre langen Haare hielt sie mit einem Haarreif zusammen. Sie trug eine enge schwarze Hose und eine weiße Bluse, die ihren Oberkörper vorteilhaft betonte. Ohne ihren Blick von Paul Rodriguez abzuwenden, kam sie direkt auf ihn zu und hob die Hand zur Begrüßung. „Hallo Paul, weißt Du eigentlich wie spät es ist?“ Ein Glänzen in ihren braunen Augen offenbarte, was ihre knappen Worte und ihre kontrollierte Körperhaltung zu verbergen suchten.
Fasziniert musterte Richard die junge Frau. Er erkannte die zarten, fast blassen Gesichtszüge und ihr glänzendes schwarzes Haar sofort wieder. Eine attraktive Person. Unerwartet attraktiv für diesen Ort.
Paul Rodriguez sprang auf und umarmte die junge Frau. Carlotta erwiderte die Geste mit zufriedenem Gesichtsausdruck. „Carlotta, ich muss Dir unbedingt Richard vorstellen.“
„Schön, Dich kennenzulernen“, erwiderte Carlotta Cassini freundlich und reichte Richard ihre feingliedrige Hand. Für einen kurzen Augenblick huschte ein vielsagendes Lächeln über ihr Gesicht. „Wir können uns später sicher noch ausführlicher unterhalten.“ Die temperamentvolle Italienerin stammte aus der Nähe von Turin. Sie war, was für diese Profession eigentlich ungewöhnlich war, durch einen Zufall zur Astronomie gekommen. Ihr Diplom und ihren Doktorgrad hatte sie mit Auszeichnung bestanden und arbeitete seit mehreren Jahren auf dem Paranal.
„Wir müssen jetzt los, Paul“, erklärte sie mit einem Tonfall, der keinen Widerspruch zuließ.
Rodriguez schielte auf seine Uhr. Viertel nach acht. „Du hast recht.“ Dann knetete er für einen Augenblick nachdenklich sein Kinn. „Richard, wir haben noch einige wichtige Messungen vorzubereiten. Morgen musst Du uns unbedingt bei den Teleskopen besuchen. Ich zeige Dir dann alles und wir sprechen weiter über Deine Arbeit.“ Rodriguez unterdrückte ein Gähnen. „Und ich zeige Dir noch eine interessante Entdeckung. Die wird den Lauf der Welt verändern.“