Читать книгу Pädagogische Psychologie - Marcus Hasselhorn - Страница 39

Fokus: Erlernte Hilflosigkeit

Оглавление

Das Phänomen der erlernten Hilflosigkeit (Learned Helplessness) wurde erstmals in einem Tierexperiment von Seligman und Maier (1967) illustriert. Zu Beginn des Experimentes wurden einige Hunde in einem Netz festgehalten und schmerzhaften Stromstößen (elektrischen Schocks) ausgesetzt. Die Hälfte der Hunde ließ man aus dieser Pein entkommen, wenn sie eine entsprechende mechanische Vorrichtung betätigten. Die andere Hälfte bekam keine Möglichkeit zu fliehen.

Am nächsten Tag wurden die beiden Gruppen sowie eine dritte Gruppe, die am Vortag nicht mit Stromstößen gepeinigt worden war, einem Schockvermeidungstraining in einem Doppelkäfig unterzogen. Dort lernten sie, auf einen schrillen Ton hin (diskriminativer Hinweisreiz) über die Trennwand hinweg in den jeweils anderen Käfigteil zu fliehen, was den Ton zum Verschwinden brachte und den drohenden Stromstoß fernhielt, da die elektrischen Schocks nur in der einen Käfighälfte appliziert wurden. Die Hunde, die am Vortag durch eigenes Fluchtverhalten die Schocks hatten beenden können, lernten das Vermeidungsverhalten so schnell wie die bislang nicht geschockten Tiere der dritten Gruppe. Dagegen waren die Hunde, die in der ersten Versuchsphase unvermeidbare Stromstöße erhalten hatten, regelrecht hilflos: Nur selten sprangen sie in den geschützten Käfigteil hinüber; stattdessen kauerten sie still, ließen die Stromstöße über sich ergehen und winselten. Die Erfahrung mit nicht-kontingenten, unvermeidbaren und intensiven Strafreizen hatte sie offenkundig hilflos gemacht.

Hiroto und Seligman (1975) konnten zeigen, dass das Phänomen der erlernten Hilflosigkeit auch beim menschlichen Lernen ausgelöst werden kann: Musste zunächst eine ermüdend lange Reihe von Anagrammaufgaben, die gar nicht lösbar waren, bearbeitet werden, so war man anschließend auch zu einfachen Lernprozessen nicht mehr in der Lage.

Bisweilen täuschen sich Strafende auch hinsichtlich der Wirksamkeit ihres strafenden Handelns, weil sie das Ausbleiben des unerwünschten Verhaltens selbst gar nicht mehr kontrollieren. Nicht selten kommt es auch zu einer Art Kontrast-Phänomen, bei dem ein unerwünschtes Verhalten zwar in jenen Situationen nicht mehr gezeigt wird, in denen es systematisch bestraft wurde, dafür jedoch in anderen Situationen sogar noch zunimmt. So sind Eltern häufig erstaunt, wenn sie vom Lehrer ihres Kindes erfahren, dass es in der Schule noch immer ein unerwünschtes Problemverhalten zeigt, von dem sie glaubten, dass es aufgrund ihrer systematischen Bestrafungsaktivitäten in der Vergangenheit längst überwunden sei. Bisweilen stellt sich dann heraus, dass das betreffende Verhalten zwar im häuslichen Kontext gar nicht mehr vorkommt, dafür aber umso häufiger in der Schule.

Kommen wir noch einmal auf die oben aufgeworfene Frage zurück, ob Bestrafen zur Verhaltensformung weniger gut geeignet ist als Belohnen. Wie bereits erwähnt, hat der »späte« Thorndike (1932) diese Frage mit ja beantwortet, da er zeigen konnte, dass lustvolle Empfindungen (wie sie sich nach Belohnungen einstellen) verhaltenswirksamer sind als aversive oder unangenehme Empfindungen (wie sie nach Bestrafungen erlebt werden). Fasst man die Befunde zur Wirksamkeit von Bestrafung aus den letzten Jahrzehnten zusammen, so kann man Thorndike durchaus zustimmen: Strafe scheint weniger gut geeignet, um neuartige, erwünschte Verhaltensmuster zu erwerben; wird sie jedoch konsequent und angemessen (im Sinne der oben skizzierten Prinzipien) praktiziert, ist sie durchaus wirksam und effizient zur Reduktion unerwünschter Verhaltensweisen. Die Gefahr, dass etwas »schiefläuft« beim Bestrafen und dass die skizzierten unerwünschten Nebeneffekte eintreten, sollte jedoch nicht unterschätzt werden. Gage und Berliner (1996) weisen außerdem darauf hin, dass es bei der Anwendung von Bestrafung im Kontext schulischen Lernens unbedingt »gerecht« zugehen muss. Schüler reagieren sehr sensibel auf die Gerechtigkeit von Bestrafungen. Alle, die aufgrund eines Regelverstoßes eine Strafe verdienen, müssen in der gleichen Weise und mit gleicher Intensität bestraft werden, sonst wird eine kaum mehr kontrollierbare Dynamik von Rechtfertigungen und Relativierungen in einer Lerngruppe ausgelöst, die die intendierte Wirkung der Bestrafung wieder zunichte machen kann.

Alternativen zur Bestrafung. Gelegentlich wird es in Erziehung und Unterricht darum gehen, unerwünschte Verhaltensweisen möglichst dauerhaft zu unterbinden. Im Rahmen der in diesem Abschnitt dargestellten Auffassung von Lernen als Verhaltensformung bieten sich dabei zwei Alternativen zum herkömmlichen Bestrafen – dem Hinzufügen eines unangenehmen Folgereizes – an: die Methode der Extinktion und die Methode der differenziellen Verstärkung. Betrachten wir zunächst die Extinktion. Hier wird der Umstand ausgenutzt, dass erlernte Verhaltensweisen nach dem Aussetzen oder Zurücknehmen einer Verstärkung ohnehin zunehmend seltener gezeigt werden.

Pädagogische Psychologie

Подняться наверх