Читать книгу Fachdidaktik für die Grundschule - Marianne Häuptle-Barceló - Страница 11
1.1.2 Mit zwei Sprachen aufwachsen
ОглавлениеDer natürliche Erwerb einer Zweitsprache im frühen Kindesalter unter sechs Jahren ähnelt sehr dem Erwerb der Erstsprache. Er führt zum sogenannten teilweisen Bilingualismus, der Zweisprachigkeit. Werden zwei Sprachen parallel gleichbedeutend gelernt, etwa wenn die Mutter und der Freundeskreis Bezugspersonen für die deutsche Sprache sind, die Kommunikation mit dem Vater und der schulische Unterricht aber auf Englisch stattfinden, spricht man von echter Bilingualität. Dies betrifft auch Migrantenfamilien, die im familiären Bereich die Herkunftssprache weiter pflegen.
Solange sich das Hirn noch entwickelt, seine Plastizität also noch nicht weitgehend verloren hat, wachsen Kinder bilingual auf wie andere monolingual: mühelos – vorausgesetzt, die betreffenden Sprachen werden in der Umgebung des Kindes regelmäßig gesprochen, das Kind spricht sie selbst regelmäßig und hat für jede Sprache mindestens eine muttersprachliche Bezugsperson. Nur unter diesen Bedingungen können auch die Versuche mancher Eltern, ihr Kind zweisprachig aufzuziehen, von Erfolg gekrönt sein. Inkonsequenz wiederum führt schnell zu Verwirrung.
Bedingungen generell gelingender Zweisprachigkeit
Damit Kinder eine zweite Sprache unter natürlichen Bedingungen erwerben können, sollten sie sie regelmäßig gebrauchen, sie sollten also in und mit der Sprache leben. Die Kommunikation sollte sich auf sinnvolle Inhalte beziehen und authentischen sprachlichen Input durch viele Sprecher bieten. Nach dem sechsten Lebensjahr, und das betrifft somit die beginnende Grundschulzeit, kann man eine Sprache, selbst wenn man sie unter natürlichen Bedingungen in dem Land, in dem sie gesprochen wird, erwirbt, nicht mehr ganz so mühelos und ohne jegliche systematische Unterweisung erlernen wie einst die Erstsprache. Die Voraussetzung für jede gelungene Zweisprachigkeit besteht also zusammengefasst in: langen Kontaktzeiten mit muttersprachlichen Sprechern beider Sprachen und regelmäßigem Gebrauch beider Sprachen – long exposure and regular use.
„Halbsprachigkeit“ unbedingt vermeiden
Dass Zweit-/Fremdspracherwerb ab der Grundschulzeit mühsamer wird, liegt daran, dass die kognitive Entwicklung fortgeschritten ist und die Erstsprache ständig alles überlagert. Bei ausländischen Kindern und bei Migrantenkindern spielt in diesem Fall der Kontakt mit Muttersprachlern des betreffenden Landes eine wichtige Rolle für den Spracherwerb. Wer sich isoliert, lernt die Sprache nur bruchstückhaft, wer viel mit Muttersprachlern spricht, lernt sie rascher und besser. Kinder sind vor allem dann motiviert, die Zweitsprache Deutsch zu erlernen, wenn sich auch die Eltern um die ihnen fremde Sprache bemühen.
Wenn verhindert werden soll, dass Kinder keine der beiden Sprachen umfassend erlernen („Halbsprachigkeit“), darf man den Prozess des Erwerbs der Muttersprache nicht schon früh abbrechen, unterbrechen oder vernachlässigen, ebenso wenig darf das Erlernen der Zweitsprache aufgezwungen werden. Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, kann ein Kind sich beide Sprachen parallel zueinander, in wechselnden Phasen oder nacheinander aneignen und in beiden Sprachen gleich kompetent werden. Es fördert die Sprachfähigkeit in zwei oder mehr Sprachen zudem ganz erheblich, wenn Kinder in einem sprachfreudigen und mehrsprachigkeitsoffenen Umfeld und Klima aufwachsen.