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Übung: Mit weichen Augen schauen
ОглавлениеUm das alles nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch zu verstehen, mache bitte einmal die folgende, aus drei Schritten bestehende Übung. Such dir einen Gegenstand, den du betrachten kannst. Das kann im Prinzip alles sein, doch für mich funktionierten zu Beginn Pflanzen immer am besten. Sie sind so etwas wie ein Zwischending aus reinem Objekt und Lebewesen. Wir wissen, sie leben, aber weil sie nicht kommunizieren und sich bewegen, können sie für uns schnell zu einem Ding werden. Das ist perfekt für die Übung, um den Unterschied zwischen objektiver Betrachtung und fühlender Betrachtung zu erkennen.
#1 Der analyti sche Blick
Für diese erste Übung bitte ich dich, deinen Gegenstand (die Pflanze) aus einer neutralen Haltung heraus zu betrachten. Stell dir vor, du bist ein Analytiker oder ein Wissenschaftler. Schau dir die Pflanze aus rein wissenschaftlichem Aspekt an und beschreibe einfach, was du siehst. Ohne Wertung oder Interpretation. Ganz neutral und emotionslos. Was siehst du? Wie viele Blätter? Welche Farbe? Welche Form hat die Pflanze? Ist sie eher groß oder klein? Welche Farbe hat der Topf, in dem sie steht? Sind die Blätter glatt oder geriffelt? Gibt es Risse in den Blättern? Und so weiter und so fort. Schreibe gedanklich alles auf, was du sehen kannst, so, als würdest du einen wissenschaftlichen Bericht schreiben, mit dem du versuchen willst, einem anderen diese Pflanze zu erklären.
#2 Der kriti sche Blick
Nun vertiefe deine Betrachtung und schau genauer hin. Diesmal aber mit deiner persönlichen Meinung. Kritisiere die Pflanze und betrachte sie nicht nur, sondern vergleiche, was du siehst, mit deinem persönlichen Geschmack. Was an der Pflanze ist gut gelungen? Was aber ist nicht so schön? Gefallen dir die Blätter? Jedes einzelne? Oder gibt es welche, die schöner hätten wachsen können? Sind ein paar Stellen vielleicht welk? Sieht das noch schön aus? Ginge das nicht besser? Wenn ja, wie? Wie würde die Pflanze schöner sein können, wenn es nach dir ginge? Eine sattere Farbe? Vielleicht ein geraderes Wachstum? Passt denn der Topf überhaupt zur Pflanze? Die Farbe, die Form, die Größe? Was stört dich an ihr und was würdest du gern verbessern, wenn du es könntest? Hat sie Flecken? Wäre es nicht besser, wenn sie keine Flecken hätte? Mach das Experiment einmal mit und lass dich völlig frei über die Pf lanze aus.
Wenn du die Übung gemacht hast, dann fühle in deinen Körper und spüre, wo du die meiste Energie wahrnimmst und wie du dich anfühlst. Du kannst dir gern auch ein paar Notizen darüber machen, wie du diese zwei Übungen erlebt hast, wie du dich dabei fühlst, wie du die Pflanze wahrnimmst, wie du dich dabei wahrnimmst, ob es eine leichte oder schwere Übung ist, ob dein Körper locker oder angespannt ist und wenn ja, wo? Wenn du bereit bist, dann gehen wir zur letzten Übung über.
#3 Mit weichen Aug en schauen
Schließe nun deine Augen und entspanne dich. Lass dein Gesicht ganz weich und locker werden. Die Stirn ist glatt, die Augenlider ruhen sanft auf den Augen, welche friedlich in den Augenhöhlen ruhen. Der Kiefer ist locker, die Zähne auseinander und dein ganzes Gesicht ist vollkommen entspannt. Atme nun ruhig und gleichmäßig in den unteren Bauch und entspanne mit jedem Ausatmen deinen gesamten Körper. Spüre, wie du Kontakt mit dem Boden hast, entweder über die Füße oder dein Becken. Gib dein ganzes Gewicht an den Boden ab und fühle dich sicher getragen und gehalten. Du kannst dich vollkommen entspannen und dich in Sicherheit wiegen. Es gibt gerade absolut nichts, wovor du dich fürchten brauchst. Du bist in absoluter Ruhe und in deinem Frieden. Spüre diesen Frieden in deinem Körper. Atme und fühle deinen Körper, wie er sich mehr und mehr entspannt.
Atme nun in deinen Brustkorb, den Bereich, den dein energetisches Herzzentrum einnimmt. Es liegt meist direkt hinter dem Brustbein. Es ist der Ort, wo du sicherlich am stärksten Gefühle der Freude, des Friedens, der Liebe und des Wohlwollens spürst. Atme dort hinein und öffne dein Herz. Gib dir hierfür Zeit. Du brauchst nichts anzuschieben oder zu erzwingen. Lass es einfach geschehen und verweile in diesem Zentrum, bis sich ein angenehmes Gefühl einstellt. Vielleicht ist es nur etwas Weite oder Wärme, ein Hauch von Leichtigkeit oder ein sanftes Glücksgefühl. Sobald du so etwas spürst, dann stelle dir vor, wie sich dieses Gefühl mit deinen Augen verbindet. Fühle eine innere Verbindung von deinen Augen zu deinem Herzen und spüre, wie sich die Weite und Wärme des Herzens hoch zu deinen Augen hin ausbreitet und auch diese weich und warm werden lässt. Vielleicht mag sich diese Verbindung sogar bis zum Bauch hinab ausweiten, bis auch dieser warm und weich wird. Bleib in diesem Fokus, bis du spüren kannst, wie Augen, Herz und vielleicht sogar der Bauch miteinander verbunden sind und die liebevolle Güte, das Wohlwollen der Herzenergie, aufnehmen und sich davon tränken lassen.
Mit dieser Verbindung der Augen zum Herzen öffnest du nun sanft deine Augen. Bleibe in der inneren Verbindung und lasse den Blick sanft und weich sein. Geh nicht auf die Suche nach etwas und schaue dir nicht die Welt an. Lass das Bild der Welt in dich hineinfallen. Du bist nur ein Fenster durch das das Licht fällt. Werde durchlässig und empfänglich. Du willst nichts erkennen. Stattdessen empfängst du das Bild, was vor dir liegt. Schau dir die Pflanze aus dieser absichtslosen Haltung an und fühle deinen Körper, dein Herz und deinen Bauch. Fühle mehr die Verbindung in dir als das, was im Außen zu sehen ist. Lass es einfach zu und kümmere dich nicht um das, was vor dir geschieht. Du nimmst lediglich wahr und fühlst dich dabei. Du musst überhaupt nichts tun. Ruhe in deinem Sein. Du musst nichts benennen noch beschreiben. Sei einfach mit dem, was ist, und in der Verbindung der Augen zu deinem Herzen. Lass deinen Blick noch einladender, noch freundlicher werden und atme weiter ruhig und gleichmäßig in dein Herz.
Schließe zum Abschluss wieder deine Augen und fühle dem ganzen Experiment noch etwas nach. Wenn du magst, kannst du dir auch hierzu ein paar Notizen darüber machen, was du wahrnehmen konntest, wie es dir ergangen ist, wie du dich und die Pflanze wahrgenommen hast und wie du dich und wie sich dein Körper dabei ange fühlt hat.
Fazit: Wenn wir uns auf etwas konzentrieren, aktivieren wir den Überlebensmodus. Wir wollen das, was wir sehen, genau unter die Lupe nehmen und richten unsere gesamte Aufmerksamkeit auf dieses Objekt. Uns darf nichts entgehen und somit erhöhen wir den Wachheitszustand in dem der Körper Adrenalin und Cortisol ausschüttet. Das sind die Hormone, die uns in Alarmbereitschaft versetzen und Stress auslösen. Anspannung ist eines dieser Resultate. Und vielleicht konntest du bei dir beobachten, wie sich der Körper anspannt, solange du dabei bist, die Welt vor dir bis ins kleinste Detail zu analysieren. Vielleicht ist es dir aber auch nicht aufgefallen, weil du gar kein Gespür für deinen Körper mehr hattest. Du bist vollkommen mit deiner Aufgabe verbunden und von deinem Verstand eingenommen, sodass du vielleicht deinen Körper gar nicht mehr wahrgenommen hast. Achte in deinem Alltag öfter darauf, wie dein Körper sich verhält, wenn du dich in mentalen Prozessen wie nachdenken, grübeln, vergleichen, analysieren oder auch kritisieren befindest und spüre immer wieder nach, wie sich das, was du im Geiste durchlebst, auf deinen Körper auswirkt.