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Übung: Der Atem-Raum
ОглавлениеSetz dich in eine aufrechte, bequeme Haltung und entspanne deinen Körper. Um in eine meditative Haltung zu kommen, bist du anfänglich recht überfordert und weißt nicht so recht, wo du anfangen sollst. Schließlich weißt du, dass du dich von deinen Gedanken und Emotionen lösen und den Raum hinter diesen betreten möchtest. Auch willst du in den Moment kommen und dich nicht wegbeamen. Du willst raus aus den Träumen und Fantasien, aber auch nicht einschlafen. Ebenso willst du einen offenen Fokus erreichen, aber dich nicht konzentrieren und anspannen. Der Geist ist schnell überfordert und sehr empfindlich. Er richtet den Fokus auf den Körper, dann wieder zu den Gedanken, dann zur Atmung und dann zu den Geräuschen im Außen. Er hüpft hin und her, wie ein Ping-Pong-Ball. Ihn zu etwas zwingen oder von etwas abhalten wollen, wird nicht klappen. Er wird sich wehren. Du musst ihn dort abholen, wo er ist. Und das ist bei allem, was gerade geschieht. Dann kannst du ihn langsam an die Hand nehmen und nach innen und zur Ruhe führen. Schritt für Schritt. Genau genommen in diesen drei folgenden Schritten:
1 Innehalten & WahrnehmenHalte inne und frage dich: »Was passiert jetzt gerade?« Du brauchst nichts bewerten, sondern einfach nur wahrnehmen. Welche Gedanken hast du? Welche Gefühle oder Körperempfindungen bemerkst du? Nimm es bewusst wahr! Bring dich zunächst bewusst in den Raum, in dem du gerade bist. Höre, was los ist und nimm alles wahr, was jetzt gerade passiert. Dazu zählt alles, was ist. So, als ob du jemandem gerade beschreiben müsstest, was hier vor sich geht. Versuche dabei Interpretationen sein zu lassen und rein auf der objektiven und sachlichen Ebene wiederzugeben, was sich gerade abspielt. Im Außen (durch Geräusche, Menschen, deine Umgebung, etc.) wie auch im Inneren (dein Körpergefühl, Verspannung, Atmung, Stress-Reaktionen, dein Stand, kalt, warm, etc.).Auch dein Denken zählt da mit hinein. Nimm wahr, wie du denkst. Blende nichts aus, sondern lade alles ein, in diesem Moment Teil deiner Erfahrung zu sein. Auf diese Weise bringst du den Beobachter mit ins Spiel. Du beobachtest Geräusche und Gedanken und alles, was gerade vorhanden ist. Somit öffnest du eine Lücke und löst dich von der Identifikation mit deinem Denken. Du lässt das Denken geschehen, wehrst dich also nicht dagegen, springst aber auch nicht auf den Zug auf. Langsam laufen die Gedanken ins Leere, die Reaktionen auf die einzelnen Geräusche werden weicher, denn du springst auch nicht jedem Geräusch hinterher. Dein Nervensystem beruhigt sich und merkt, dass gerade keine Gefahr von der Situation ausgeht. Weder von den Geräuschen und der Szene, in der du dich befindest, noch von deinen Gedanken, da sie diese Szene nicht mehr aktiv unterstützen.Gib dir für diesen Punkt Zeit, dich wirklich im Annehmen, in der Widerstandslosigkeit sowie dieser »Bestandsaufnahme« zu üben. Höre, was im Nahen zu hören ist, und auch das, was ganz weit weg ist. Rieche in den Raum, fühle den Raum. Fühle auch dich in diesem Raum. Fühle deinen Gedankenstrom und spüre auch in deine Körperreaktionen und Gefühle hinein. Achte darauf, dich nicht in sie zu verstricken. Bleibe der Beobachter! Lass alles gleichzeitig da sein. Du bist wie ein Schilfrohr, das vom Wasser in alle Richtungen bewegt wird, aber in seiner Mitte verwurzelt ist. Sei weich und flexibel wie ein Farn, der vom Wind berührt, aber nicht zu einem anderen Platz bewegt wird. Bleibe da sitzen, wo du sitzt, mit all dem was geschieht.
2 Sammeln in drei SchrittenSchritt 1: Verdichte nun deine Aufmerksamkeit ganz auf deinen Atem. Zieh deinen Fokus von dem Raum der Sinnesreize und dem Raum der Gedanken ab und lass diese in den Hintergrund treten. Nicht mit Kraft oder Zwang, sondern sanft und locker. Gib deinem Fokus ein Objekt: deinen Atem. Nimm nur noch deinen Atem wahr. Aber versteife dich nicht auf den Atem, sondern bleibe locker und weich und bringe den Atem auf der Bühne der Erscheinungen nach vorn ins Scheinwerferlicht. Schaue dem Atem zu wie einem Sänger auf der Bühne, während dadurch wie automatisch die Band (also alles andere, was nicht Atem ist) in den dunklen Hintergrund rückt und immer leiser vor sich hin spielt. Versuche zuerst, das Kommen und Gehen des Atems bewusst zu spüren. Spüre, wie dein Atem dich bewegt, wie er in der Nase ein und wieder ausströmt. Verfolge deinen Atem bis in den Bauch und spüre auch, wie er diesen nach vorn und nach hinten bewegt. Spüre den ganzen Atemweg, von der Nase bis zum Bauch als einen gleichsamen, harmonischen Vorgang. Spüre, wie dein ganzer Körper atmet. Gib dich dem Gefühl ganz hin. Dabei willst du nichts Besonderes erleben, sondern lediglich mit deiner Wahrnehmung auf dem ruhen, was gerade durch deinen Atem ausgelöst wird. Entspanne dich in deinen Atem hinein.Schritt 2: Verdichte deinen Atem. Lass deinen Fokus kleiner und deine Wahrnehmung detaillierter werden und bleib beim Spüren des Atems an deinen Nasenlöchern. Spüre, wie er dort ein und ausströmt. Bleib entspannt und gib dich ganz dieser kleinen Fläche hin. Schon bald wird dieser kleine Beobachtungsraum größer. Du spürst das Zucken in der Nasenspitze, das Dehnen der Nasenflügel und den Windhauch auf der Oberlippe. Lass dich ganz in diesem Raum leben und einfach sein.Schritt 3: Weite nun deinen Atem langsam wieder aus. Dehne deine Aufmerksamkeit wieder über die Nasenlöcher in den ganzen Atem-Körper hin aus. Wiederhole den ersten Schritt. Wir lösen uns jetzt von dem kleinsten Betrachtungspunkt der Nasenlöcher und dehnen uns langsam wieder in den Raum aus.
3 AusweitenWeite nun deine Aufmerksamkeit auf den gesamten Körper aus und nimm dich von innen wahr. Bleib entspannt und lass alles so sein, wie es ist. Spüre den Energieraum deines Körpers. Spüre die Energie jeder einzelnen Zelle gleichzeitig, vom kleinen Zeh bis hoch zum Scheitel. Lass jeden Bereich mit deinem Atem in Kontakt sein und fühle deinen gesamten Organismus als eine Einheit. Bleibe in deinem inneren Raum der Energie und dehne dich dann langsam auch in den äußeren Raum aus. Kannst du deinen inneren Raum spüren? Kannst du den Raum um dich herum spüren? Kannst du dich im gesamten Raum spüren? Kannst du alle Räume, den inneren, den Raum um dich herum und den gesamten Raum wahrnehmen? Kannst du alles als Einheit spüren, als einen lebenden Komplex, als einen Organismus? Entfalte dich in den Raum und atme! Lass deinen Atem in alle Räume fließen und durchflute sie. Lass es einfach geschehen und lass schließlich den Beobachter los. Werde zu deinem Atem und fließe in alle Räume hinein. Du musst dabei nichts tun. Es passiert von allein, sobald du deine Aufmerksamkeit darauf richtest und es dir erlaubst, zu diesem Raum zu werden.Die Übung beendenKomme dann langsam wieder zu deinen Sinnen und bring dich zurück. Öffne deine Augen, wenn du so weit bist und spüre, wie die Sinnesreize wieder Aufmerksamkeit wollen. Spüre auch, wie dein Gedankenstrom wieder deine Aufmerksamkeit will. Lass dich langsam darauf ein. Kappe nicht sofort die Leitung zu deinem Atem und Energieraum. Vielleicht behältst du noch die Verbindung zu deinem Atem und deinem inneren Raum zu einem Teil für eine Weile bei. Sagen wir 70:30 Innen zum Außen. Dann langsam 50:50 und vielleicht noch bis 30:70. Vorher war es 0:100 aus Innenwahrnehmung des Raumes und der Außenwahrnehmung und deiner Verstrickung in die Reize. Du darfst ruhig die ganze Zeit mit dir verbunden bleiben.
Wenn dich bei dieser Übung die Gedanken oder irgendwelche Geräusche ablenken und du dich in Geschichten und Fantasien verlierst, dann mach dir nichts draus. Es wird während der Meditation der Moment kommen, in dem du dir dessen bewusst wirst. Anstatt dich zu ärgern oder dich zu ermahnen, bring deine Aufmerksamkeit einfach wieder zu dem, wo du stehen geblieben bist und den Faden verloren hast. Wirklich: Lass es unkommentiert und mach einfach weiter, als wäre nichts geschehen. Das passiert und ist völlig normal. Es geht hier nicht explizit darum, die ganze Zeit den Fokus zu halten, sondern darum, immer und immer wieder den Fokus zurückzuholen. Ohne innere Aufruhr. Als ob du einem Welpen beibringen willst, stubenrein zu werden: Am Anfang pinkelt er dir auf den Teppich. Du nimmst ihn, trägst in raus und zeigst ihm, wo er es machen soll. Am nächsten Tag pinkelt er wieder auf den Teppich und ohne über ihn zu schimpfen oder zu klagen bringst du ihn wieder raus. Dein Klagen und dein Schimpfen wird nichts ändern. Ruhig und gelassen wiederholst du es eben einfach, bis es sitzt. Es ist dein Welpe. Du liebst ihn. Er ist ein herrlicher kleiner Kerl. Wieso solltest du ihn anschreien? Er wird es schon lernen. Außerdem ist es kein Problem. Dein Teppich ist bestimmt nicht teuer gewesen und wenn doch, ist dein Hund garantiert viel mehr wert. Mach dir keine Sorgen um den Teppich. Gewöhne deinen Hund einfach nur an das, was er tun soll, und er wird es tun. So sind deine Gedanken auch. Du lässt dich von ihnen ablenken? Okay, kein Problem, und wieder zurück ins Jetzt. Ganz ohne Drama.
Mithilfe der Atemraum-Übung können wir es schaffen, auch im Alltag die meist unbewussten Vorgänge und Reaktionen wahrzunehmen, Abstand zu bekommen, in den Moment einzutauchen, Kontakt zu uns herzustellen und dann zu agieren, anstatt blind zu reagieren. Es ermöglicht uns, die Ruhe zu bewahren, uns zu fokussieren, zu konzentrieren und klar sehen zu können. Denn im Schleier des Stress-Empfindens sehen wir schnell rot und haben Scheuklappen auf, was uns zu impulsiven, unbedachten und unkontrollierten Reaktion verführt. Konzentration ist hier aber eher im folgenden Sinne gemeint: Du konzentrierst dich nicht auf etwas, sondern dein Geist wird konzentriert. Das ist ähnlich wie bei einem Saftkonzentrat oder wenn du eine Soße einkochst: Du reduzierst etwas auf seine Essenz. Du bündelst also den Inhalt. Genau das machen wir auch hier mit deinem Verstand. Während er im Alltag unkontrolliert jedem Gedanken hinterherjagt und sekundenweise von einem Thema zum anderen hüpft, versuchen wir ihn in dieser Meditation zu beruhigen. Er wird sanfter und entspannter, statt jedem Reiz und jedem Impuls nachzurennen.
Tipp: Nutze ein Stopp-Wort. Ein Stopp-Wort kann alles sein, von »Baum«, »Atem«, »Stopp« oder »Ball«, ganz egal. Es dient dazu, dich aus der Schleife herauszuholen. Es soll dich wachrütteln und dir eine kleine Ohrfeige geben, damit du wieder klarer wirst. Du kannst dir auch mental vorstellen, wie du dabei auf den Tisch haust. Es ist wie der Lehrer, der laut wurde, wenn du nur noch gequatscht hast, statt dem Unterricht zu folgen. Ermahne dich, präsent zu werden und in den Moment zu kommen.