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abreißen

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WortartVerb
VerwendungszweckTraining, beim Orthopäden
Sozialverträglichkeithoch
Missverständnissehin und wieder
Verwendungshäufigkeitoft
LäufertypusPechvögel, Mutige oder Fleißige
GesprächspartnerTrainingspartner, Orthopäden
Beliebtheits-Skalaje nach Bedeutung 1 – 8

Nicht nur unter den Läufern gibt es immer weniger Alleskönner. Früher gab es noch Universalgenies, die sich in vielen Fachbereichen auskannten und sich rühmen konnten, Experte in vielen wissenschaftlichen Disziplinen zu sein. Mittlerweile können das wohl nur noch sehr wenige Menschen von sich behaupten. Zu groß ist das Wissen der Menschheit mittlerweile geworden. Man muss sich zusehends auf einen expliziten Fachbereich spezialisieren, um mit den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen auf dem Laufenden bleiben zu können. Das Laufen stellt hier keine Ausnahme dar. Auch der Wortschatz der Läufer wird immer ausführlicher, differenzierter und teilweise komplizierter. So gibt es durchaus Ausdrücke, die selbst im Läuferjargon verschiedene Bedeutungen haben. Dazu zählt auch der Begriff des Reißens.

Zunächst einmal kommen wir zu der mit Abstand negativsten Variante dieses Wortes. Wenn sich ein Läufer etwas reißt oder sogar abreißt, ist das immer mit Schmerzen und einer längeren Laufpause verbunden. Nicht selten reißen ein paar Muskelfasern, vielleicht sogar ein Muskelbündel oder ein ganzer Muskel, manchmal aber auch Bänder oder Sehnen. Am häufigsten ist aber eindeutig das Verletzungsbild des Muskelfaserrisses sowie der Bänderriss, der häufig das äußere Sprunggelenk betrifft, das sogenannte Umknicktrauma. Natürlich ist dieses Reißen nicht auf den Laufsport beschränkt, sondern wird im Deutschen ganz allgemein dafür benutzt, wenn bestimmte Körperstrukturen durch übermäßige Belastung zerrissen werden.

Nicht ganz so fatal ist es hingegen, wenn ein Läufer abreißen lässt. Dies geschieht vornehmlich in Rennsituationen, kann aber auch durchaus im Training passieren. Sobald man nicht mehr im Stande ist, dem Tempo seiner Kontrahenten oder Mitstreiter zu folgen, muss man abreißen lassen. Dabei ist oftmals, vor allem bei redegewandten Moderatoren, die Rede vom unsichtbaren Gummiband zwischen den einzelnen Athleten. Sobald dieses Band zerrissen ist, kann man den anderen Läufern nicht mehr folgen und man muss von nun an sein eigenes Rennen laufen. Der Begriff abreißen suggeriert zudem, dass der abgehängte Läufer im Normalfall keine Chance mehr hat, die entstandene Lücke wieder zu schließen. Im Training kann man natürlich auch abreißen lassen, sei es bei einem Dauerlauf oder bei Tempoläufen. Wichtig ist, dass man den Begriff nicht verwenden darf, wenn man bereits nach wenigen Metern nicht mehr seinen Konkurrenten folgen kann. Die Verwendung ist nur dann zulässig, wenn man einen beträchtlichen Teil der Distanz mit den anderen mitgelaufen war. Genauso wenig ist der Begriff zulässig, wenn im Schlussspurt auf den letzten Metern eine kleine Lücke zwischen den um den Sieg sprintenden Athleten entsteht.

Kommen wir zur Bedeutung des Wortes reißen, die man mit Stolz und Freude verwendet. Während er nur ungern zugibt, bei einem Rennen abreißen lassen zu müssen, verwendet er das Verb reißen mit der Präposition herunter umso lieber. Wenn ihnen ein befreundeter Läufer erzählt, dass er vergangene Woche mehr als 100 Kilometer heruntergerissen hat, dann schwingt ein nicht zu überhörender Stolz in seiner Stimme. Warum sagt er aber nicht einfach, dass er in den zurückliegenden sieben Tagen mehr als 100 Kilometer gelaufen ist?

Um das zu verstehen, muss man einerseits selbst Läufer (gewesen) sein, andererseits muss man die konkrete Bedeutung des Wortes herunterreißen in genau diesem Kontext kennen. Zunächst einmal beinhaltet das Herunterreißen die Tatsache, dass die Kilometerzahl eine für diesen Läufer eher ungewöhnlich hohe Zahl darstellt. Außerdem möchte er damit betonen, dass ihm das relativ leicht gefallen ist, wenngleich es natürlich für ihn keine selbstverständliche Leistung war. Dadurch erhofft man, Respekt beim Zuhörer zu ernten. Denn selbst wenn dieser keine Ahnung hat, wie viele Kilometer der Läufer normalerweise pro Woche zurücklegt, so gibt das Verb herunterreißen Auskunft darüber, dass es eben doch keine allwöchentliche Leistung war. Manchmal möchte man damit auch hervorheben, dass man trotz widriger Umstände ein Training bzw. den Trainingsplan durchgezogen hat.

Wenn man eine entsprechende Zahl von Kilometern heruntergerissen hat, also gut auf einen Wettkampf vorbereitet ist, dann kann man sogar eventuell noch etwas reißen. In diesem Satz wurde nicht das Reflexivpronomen sich vergessen, denn eine Verletzung ist das Letzte, was man sich nach einer gelungenen Wettkampfvorbereitung kurz vor dem Saisonhöhepunkt wünscht. Wer etwas im Wettkampf reißen kann oder möchte, der ist guter Hoffnung, sein selbst gestecktes Wettkampfziel erreichen zu können. Natürlich kann man auch einmal nichts reißen. Dann hat man weder sein vorher festgelegtes Ziel noch eine vordere Platzierung geschafft. Hier lässt sich durchaus eine Parallele zur Jägersprache ziehen. So spricht der Jäger von einem Riss, wenn ein Raubtier seine Beute erfolgreich erlegt hat. Ganz ähnlich verhält es sich bei einem Läufer, dessen Laufjagd nach seinem persönlichen Ziel von Erfolg oder gekrönt wird.

Wenn sich Läufer übers Abreißen unterhalten

Läufer: „Ich habe gestern die 20 km trotz des Regens heruntergerissen.“

Übersetzung: „Obwohl es gestern geregnet hat und ich wirklich keine Lust auf diesen Dauerlauf hatte, habe ich die 20 km ohne zu meckern exakt nach Plan durchgezogen.“

Läufer: „Gestern habe ich nichts gerissen.“

Übersetzung: „Gestern habe ich beim Wettkampf nicht das erreicht, was ich mir vorgenommen hatte. Außerdem habe ich auch keine vordere Platzierung erzielt.“

DEUTSCH LAUFEN

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