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6. April 2011: Der Damm ist gebrochen

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Nachdem ich gestern übel beschimpft worden bin, entscheide ich mich, heute zu Hause zu bleiben. Noch am Vormittag entschließe ich mich, meine neue Stelle nach nicht einmal zwei Wochen zu kündigen, und informiere den Vorgesetzten. Er nimmt das relativ gelassen zur Kenntnis und meint, unsere gegenseitigen Erwartungen hätten sich wohl nicht erfüllt. Wie wahr. Ich habe einen Arbeitsweg von insgesamt viereinhalb Stunden, muss bis 21 Uhr arbeiten und das Arbeitsklima ist gelinde gesagt eisig. Alles in allem kein Ort, an dem man es lange aushält. Das Fachgebiet ist zwar interessant, was auch der Grund für mein Interesse an der Stelle war, aber die Arbeitsbedingungen sind unzumutbar.

Das ist für mich nun die fünfte Enttäuschung innerhalb weniger Jahre. Wenn ich zurückblicke, waren es jedes Mal menschliche Gründe, warum es zur Trennung kam. Mobbing scheint sich wie eine Seuche in der Arbeitswelt auszubreiten. Sicher hat es das schon immer gegeben, aber nie in diesem Ausmaß. Ich sehe verschiedene Gründe für diese Entwicklung. Auf der einen Seite sind die Kommunikationsmöglichkeiten heute fast unbegrenzt, auf der anderen Seite ist die Kommunikation aber auch sehr oberflächlich und unverbindlich geworden. Psychologisch sind wir gar nicht mehr in der Lage, die Menge der Kontakte zu verarbeiten. Wir sind schon alleine deshalb gezwungen, keine emotionalen Bindungen entstehen zu lassen. Oberflächlichkeit wird dadurch zur Überlebensstrategie. Dies hat zur Folge, dass man seine Mitarbeiter und Arbeitskollegen nicht mehr richtig kennt, was zu vielen Missverständnissen und Konflikten führt. Aus Konflikten wird irgendwann Mobbing; der Übergang ist fließend.

Ich sehe aber auch eine Ursache im Outsourcing, welches in den vergangenen Jahren in großen multinationalen Unternehmen stattgefunden hat. Viele Konzerne sind dazu übergegangen, Teile ihrer Belegschaft an sogenannte Zeitarbeitsfirmen auszulagern, gerade in der IT. Das erlaubt ihnen, viel Geld zu sparen, weil sie Experten auf Abruf beschäftigen können. Unternehmerische Risiken werden dadurch ausgelagert, die Flexibilität erhöht und Unterbeschäftigung vermieden. Dies hat für die betroffenen Mitarbeiter hohen Stress zur Folge. Unsicherheit wird zu einer Konstante, hohe Arbeitsbelastung ebenso. Gab es früher noch Phasen mit geringer Arbeitsbelastung (z. B. im Sommer), so werden heute einfach die Arbeitsverträge so gestaltet, dass sie bei geringer Auslastung ohne teure Sozialpläne oder Kündigungsfristen aufgelöst werden können. Die in solchen Verträgen beschäftigten Mitarbeiter leiden unter mehrfachem Stress: hohe Arbeitsdichte, immer wieder neues Einarbeiten und permanente Angst, keinen Anschlussvertrag zu bekommen – alles ist auf die Optimierung der Rendite ausgerichtet.

Nicht zuletzt sehe ich eine Ursache des Mobbings darin, dass wir in einer zunehmend narzisstischen Gesellschaft leben. Die Mitarbeiter dieser Firma z. B. halten sich nicht mit Eigenlob zurück. Sie sind besonders stolz darauf, zu einem ausgewählten Kreis von Microsoft-Partnern zu gehören, und erwähnen das auch bei jeder Gelegenheit. Vom Eigenlob zur Abwertung anderer ist es dann nicht mehr weit – und das bekomme ich zu spüren.

Aber was nützt es mir, die Ursachen zu kennen? Mir geht es schlecht, ich fühle mich als Versager und den Verhältnissen gegenüber ohnmächtig. Fakt ist, dass mit diesem abermaligen Scheitern sich Verzweiflung einzuschleichen beginnt. Nachdem ich nun schon seit November 2010 latent suizidal bin, spitzt sich die Lage zu. Meine Gedanken beginnen zu kreisen und suchen einen Ausweg. Wie kann ich dieser Situation entfliehen? Schon wieder eine neue Stelle suchen? Nein, das mag ich nicht mehr, da fehlt mir die Kraft. Das Problem wäre mit diesem Schritt auch nicht gelöst, denn wie überwinde ich die Verzweiflung, die ihre Ursache in menschlichen Enttäuschungen hat? Selbstmord? Das ist einfacher gesagt als getan. Gibt es eine sichere und humane Methode der Selbsttötung? Wenn ich mir diese Option als letzte Rettung offenhalten will, so brauche ich eine zuverlässige Methode, sonst schaff ich das nicht.

DIE ENTSCHEIDUNG - BEGEGNUNG MIT EINEM KANNIBALEN

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