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GRUNDLAGEN DER SOZIOLOGIE

um 1377

Ibn Chaldun beschreibt in seiner al-Muqaddima die asabiya als arabisches Konzept der »Solidarität« bzw. des sozialen Zusammenhalts.

1813

Henri de Saint-Simon propagiert in seiner Denkschrift über die Wissenschaft vom Menschen eine Wissenschaft der Gesellschaft.

1837

Harriet Martineau beschreibt in ihrer Theorie und Praxis der Gesellschaft in Amerika die gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten bei der Unterdrückung von Sklaven, Frauen und der Arbeiterklasse.

1867

Karl Marx schreibt am ersten Band von Das Kapital – einer umfassenden Analyse des Kapitalismus.

1887

Ferdinand Tönnies unterscheidet in seiner Schrift Gemeinschaft und Gesellschaft zwischen traditioneller Gemeinschaft und moderner Gesellschaft.

1767

Adam Ferguson erläutert in seinem Versuch über die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft die Bedeutung des Gemeinsinns, um dem destruktiven Einfluss des Kapitalismus in der Gesellschaft zu begegnen.

1830–1842

Auguste Comte beschreibt in Die Soziologie. Die positive Philosophie im Auszug die Entwicklung der Soziologie als Wissenschaft.

1848

Karl Marx und Friedrich Engels sagen in ihrer Schrift Das Kommunistische Manifest den sozialen Wandel als Resultat einer proletarischen Revolution voraus.

1874–1885

Herbert Spencer legt in seinem mehrbändigen Werk System der synthetischen Philosophie die Entwicklung von Gesellschaften nach demselben Prinzip wie bei Lebensformen dar: Nur die Stärksten überleben.

1895

Émile Durkheim gründet den ersten Europäischen Fachbereich der Soziologie an der Universität von Bordeaux und veröffentlicht Die Regeln der soziologischen Methode.

1946

C. Wright Mills und Hans Heinrich Gerth führen Max Webers Ideen im englischsprachigen Raum ein.

1967

Harold Garfinkel präsentiert in Studies in Ethnomethodology eine neue Methode für die Soziologie, indem er alltägliche, die soziale Ordnung fördernde Verhaltensweisen untersucht.

1990

Judith Butler stellt in Das Unbehagen der Geschlechter das traditionelle Verständnis von Geschlecht und Sexualität infrage.

1893

In Über soziale Arbeitsteilung beschreibt Émile Durkheim die organische Solidarität zwischen voneinander abhängigen Individuen.

1904/05

Max Weber bietet in Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus eine neue Erklärung zur Entwicklung der modernen Gesellschaft.

1959

C. Wright Mills fordert in seiner Schrift Kritik der soziologischen Denkweise, Soziologen sollten die Mittel zur Verbesserung der Gesellschaft vorschlagen.

1975

Michel Foucault beginnt in seinem Werk Überwachen und Strafen mit Untersuchungen über die Natur der Macht in der Gesellschaft.

Obwohl die Soziologie erst im 20. Jahrhundert ihre Legitimation als wissenschaftliche Disziplin vollends etablierte, entwickelten Historiker und Philosophen zahlreiche ihrer Ideen, Fragen und Herangehensweisen bereits Jahrhunderte zuvor. Die erste erkennbar soziologische Untersuchung führte im 14. Jahrhundert Ibn Chaldun durch; die Pioniere der Soziologie finden sich indes erst im ausgehenden 18. Jahrhundert, als westeuropäische Gesellschaften sich grundlegend veränderten: Die Ideen der Aufklärung lösten überlieferte Glaubenssätze ab und die Industrielle Revolution veränderte das Leben und Arbeiten der Menschen. Die Beobachter sahen im Wandel der Gesellschaft neue Kräfte am Werk und fassten sie unter dem Begriff der »Moderne« zusammen, darunter die Auswirkungen von Industrialisierung und Säkularisierung sowie das Wachstum des Kapitalismus.

Eine Gesellschaftswissenschaft

Die moderne Gesellschaft war das Produkt rationaler Ideen und wissenschaftlicher Erkenntnisse. In diesem Sinne suchten Pioniere der Soziologie wie die Franzosen Henri de Saint-Simon und Auguste Comte nach überprüfbaren Beweisen für ihre Theorien. So glaubte Comte nicht nur, die sozialen Kräfte ließen sich – wie in der Physik und Chemie – durch Gesetze beschreiben, sondern ging auch davon aus, dass angewandte Soziologie soziale Reformen in Gang setzen konnte.

Analog dazu sah auch Marx den Zweck eines Studiums der Gesellschaft nicht allein in ihrer Beschreibung, sondern in ihrer Verbesserung. Als wissenschaftliches Modell diente ihm die Ökonomie: Seiner Ansicht nach war der Kapitalismus die treibende Kraft für den sozialen Wandel in der Moderne.

Beinahe ein Jahrhundert vor Marx hatte der Schotte Adam Ferguson vor dem kapitalistischen Eigennutz als Bedrohung für den sozialen Zusammenhalt gewarnt. Später beschrieben Harriet Martineau und Friedrich Engels die sozialen Ungerechtigkeiten kapitalistisch-industrialisierter Gesellschaften im 19. Jahrhundert. Ein weiterer früher Soziologe, Ferdinand Tönnies, entwickelte Fergusons Ideen weiter und beschrieb zwei Formen des gesellschaftlichen Zusammenhalts, den in traditionellen und den in modernen Gesellschaften.

Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich dank Émile Durkheim die Soziologie als eigenständige Disziplin neben Geschichte, Philosophie, Politik und Ökonomie etabliert. Wie Comte stützte auch er sich auf wissenschaftliche, der Biologie entlehnte Methoden: Durkheim betrachtete, wie Herbert Spencer, die Gesellschaft als »Organismus« – mit verschiedenen »Organen« und jeweils eigenen Funktionen.

Ein interpretierender Ansatz

Während Durkheims Genauigkeit ihm akademische Anerkennung einbrachte, sahen längst nicht alle Soziologen es als möglich an, soziale Fragen mit naturwissenschaftlichen Methoden zu untersuchen und auf diese Weise gar gesellschaftliche »Gesetze« zu entdecken. Max Weber verfolgte einen weitaus subjektiveren, »interpretierenden« Ansatz. Während Marx den Kapitalismus und Durkheim die Industrialisierung als dominierende Kraft der Moderne untersuchten, verfolgte Weber die Auswirkungen der Rationalisierung und der Säkularisierung auf das Individuum. In der Soziologie wurden streng naturwissenschaftliche Methoden mehr und mehr von qualitativen Fragestellungen abgelöst, z. B. durch so unmessbare Konzepte wie Kultur, Identität und Macht. Mitte des 20. Jahrhunderts hatte sich ihre Perspektive von der Makro- auf die Mikroebene individueller Erfahrungen verlagert.

C. Wright Mills forderte, die Auswirkungen gesellschaftlicher Institutionen (v. a. der »Machteliten«) auf das Leben der normalen Bürger zu untersuchen. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahmen andere den Gedanken auf: Harold Garfinkel befürwortete einen kompletten Methodenwechsel, um die soziale Ordnung mithilfe des Alltagsverhaltens der Bürger zu untersuchen; Michel Foucault analysierte die Art, wie Machtverhältnisse Individuen zur Konformität mit sozialen Normen zwingen – ein Gedanke, den Judith Butler in ihren Studien zu Geschlecht und Sexualität aufgreift.

Seit Ende des 20. Jahrhunderts herrscht in der Soziologie eine Balance zwischen objektiven Untersuchungen der Gesellschaft insgesamt und interpretierenden Studien individueller Erfahrungen – Methoden, die gegenwärtig, in einer zunehmend globalisierten spät-modernen Welt, in soziologischen Fragestellungen zum Tragen kommen.

Big Ideas. Das Soziologie-Buch

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