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WISSENSCHAFT KANN DAZU DIENEN, DIE WELT BESSER ZU MACHEN

AUGUSTE COMTE (1798–1857)

IM KONTEXT

SCHWERPUNKT

Positivismus und Studium der Gesellschaft

WICHTIGE DATEN

1813 Henri de Saint-Simon propagiert eine Wissenschaft von der Gesellschaft.

1840er-Jahre Karl Marx sagt: Die Wurzeln historischer Veränderungen liegen in ökonomischen Fragen.

1853 Harriet Martineaus gekürzte Übersetzung von Die positive Philosophie Auguste Comtes vermittelt Comtes Ideen einem größeren Publikum.

1865 Der englische Philosoph John Stuart Mill bezeichnet die frühen soziologischen und späteren politischen Ideen Comtes als die des »guten Comte« und des »bösen Comte«.

1895 In Die Regeln der soziologischen Methode entwirft Émile Durkheim eine systematische Soziologie.

Ende des 18. Jahrhunderts setzte die unaufhaltsame Industrialisierung in den europäischen Gesellschaften einen radikalen Wandel in Gang. Frankreich sah sich in der Folge der Französischen Revolution gleichzeitig vor die Aufgabe gestellt, eine neue soziale Ordnung zu etablieren. Jean-Jaques Rousseau erklärte die sich rasant verändernde Gesellschaft in Begriffen der politischen Philosophie. Sein sozialistischer Kollege Henri de Saint-Simon versuchte dagegen, vor dem Hintergrund sozialer Unsicherheit im Land die Ursachen des sozialen Wandels und die Bedingungen für eine neue Ordnung zu analysieren. Er erkannte ein Muster des sozialen Fortschritts, nach dem die Gesellschaft verschiedene Stadien durchlief. Doch es sollte seinem Schützling Auguste Comte vorbehalten bleiben, eine umfassende Theorie zum Studium der Gesellschaft nach wissenschaftlichen Prinzipien auszuarbeiten, die er zunächst als »soziale Physik«, später mit dem Begriff »Soziologie« bezeichnete.


Verstehen und Verändern

Comte war ein Kind der Aufklärung, und seine Ideen wurzelten im Zeitalter der Vernunft. Die Entwicklung naturwissenschaftlicher Methoden während der Aufklärung beeinflusste auch Comtes Herangehensweise in der Philosophie. Er analysierte eingehend die Naturwissenschaften und ihre Methoden und schlug vor, alle Wissensgebiete sollten auf Basis dieser wissenschaftlichen Prinzipien arbeiten und ihre Hypothesen auf Beobachtung stützen. Ein zentrales Argument in Comtes positivistischer Philosophie besagt, jede Erkenntnis von Wert könne allein aus positiven, wissenschaftlichen Fragestellungen resultieren. Schließlich hatte er die Macht der Wissenschaft zur Veränderung selbst erfahren: Wissenschaftliche Entdeckungen hatten zu technologischen Fortschritten geführt und in der Welt, in der er lebte, die Industrielle Revolution in Gang gesetzt.

Nun war ihm zufolge die Zeit für eine Gesellschaftswissenschaft gekommen, die nicht nur die Mechanismen der sozialen Ordnung und ihres Wandels verstehbar machte, sondern den Menschen auch die Mittel zur Veränderung der Gesellschaft an die Hand gab – ganz nach dem Vorbild der Naturwissenschaften, die die physikalische Umwelt veränderten. Für ihn wartete die Soziologie mit den größten Herausforderungen auf und war folglich als »Königin der Wissenschaften« anzusehen.

Comtes Argument, in der wissenschaftlichen Untersuchung der Gesellschaft kulminiere die menschliche Suche nach Erkenntnis, war von den Ideen Henri de Saint-Simons beeinflusst und wurde im »Gesetz der drei Stadien« formuliert. Danach durchlief das menschliche Verständnis der Welt drei Phasen: eine theologische Phase, in der die Götter als Ursache der Phänomene betrachtet wurden; eine metaphysische Phase, in der die Welt mit abstrakten Konzepten und Begriffen erklärt wurde, und schließlich die positive Phase, in der Erkenntnisse durch wissenschaftliche Methoden verifiziert wurden.

Comtes Theorie der gesellschaftlichen Entwicklung bot auch eine Analyse des sozialen Fortschritts – über die bloße Beschreibung als Jäger-und-Sammler-, Nomaden-, Agrikultur- oder industriell-kommerzielle Gesellschaften hinaus. Comte zufolge blieb die französische Gesellschaft bis zur Aufklärung im theologischen Stadium verwurzelt und ihre soziale Ordnung fußte auf den Regeln der Religion. Im Zuge der Französischen Revolution von 1789 trat Frankreich in das metaphysische Stadium ein. Die soziale Ordnung des Landes orientierte sich fortan an säkularen Prinzipien und den Idealen der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Angesichts der Defizite der postrevolutionären Gesellschaft sah Comte die Chance der Gesellschaft, noch zu seinen Lebzeiten in das positive Stadium einzutreten, in der die soziale Ordnung wissenschaftlich begründet werden konnte.

»Soziologie ist also kein Annex irgendeiner anderen Wissenschaft; sie ist selbst eine autonome und besondere Wissenschaft.«

Émile Durkheim


Comte sah drei Stadien beim Fortschritt der menschlichen Gesellschaft am Werk: Das erste Stadium der Religion kam mit der Aufklärung Ende des 18. Jh. zu seinem Abschluss. Im anschließenden metaphysischen Stadium des rationalen Denkens fand eine Art Paradigmenwechsel vom Göttlichen zum Humanen statt. Aus ihm entwickelte sich schließlich das Stadium der positiven Wissenschaft.

Eine Wissenschaft von der Gesellschaft

Auf der Basis der »exakten« Wissenschaften schlug Comte die Rahmenbedingungen für die neue Wissenschaft der Soziologie vor. Er entwickelte das Modell einer logisch angelegten Wissenschaftshierarchie, demzufolge jede Wissenschaft zu den auf sie folgenden Disziplinen beiträgt. Beginnend mit der Mathematik, setzte sich seine Rangfolge mit der Astronomie, der Physik, der Chemie und anschließend der Biologie fort. Den Gipfel dieser aufsteigenden Ordnung positiver Wissenschaften bildete die Soziologie. Comte sah das eingehende Verständnis der vorangehenden Disziplinen und ihrer Methoden als Voraussetzung dafür an, diese im Rahmen der Soziologie anzuwenden.

Oberstes Prinzip blieb jedoch die Verifizierbarkeit durch Beobachtung – d. h. Theorien mussten sich durch faktische Beweise belegen lassen. Zugleich aber erkannte Comte die Notwendigkeit von Hypothesen an, die der wissenschaftlichen Untersuchung eine Richtung gaben und Umfang und Ziel der Beobachtungen definierten. Und er teilte die Soziologie in zwei große Untersuchungsbereiche: das Feld der »gesellschaftlichen Statistik«, der Kräfte, die den Zusammenhalt und ihre Ordnung gewährleisteten, und das der »gesellschaftlichen Dynamik« – jener Kräfte, die den sozialen Wandel herbeiführten.

In dem Versuch, die Gesellschaft wissenschaftlich zu untersuchen, leistete Comte Pionierarbeit. Zudem bot seine positivistische Philosophie neben einer Erklärung der säkularen Industriegesellschaft zugleich Instrumente für soziale Reformen.

»Aus der Wissenschaft entwickelt sich die Prognose, aus der Prognose die Aktion.«

Auguste Comte

Von der Theorie zur Praxis

Comte formulierte seine Ideen in den politischen Nachbeben der Französischen Revolution und veröffentlichte den 1. Band seines sechsbändigen Werkes Die Soziologie: Die positive Philosophie im Auszug im Juli 1830, zeitgleich mit der zweiten Revolution.

Nach dem Sturz der Monarchie und ihrer Wiedereinsetzung teilte sich die französische Gesellschaft in diejenigen, die nach einer stabilen Ordnung, und jene, die nach Fortschritt riefen. Comte sah in seinem Positivismus einen dritten Weg: eine rationale statt ideologische Handlungsorientierung, die auf objektiven Untersuchungen der Gesellschaft beruhte.

In Frankreich fanden Comtes Theorien seinerzeit zunächst ebenso viele Anhänger wie Kritiker. Tatkräftige Unterstützung erfuhr er indes durch zwei britische Intellektuelle: Der liberale John Stuart Mill finanzierte die Fortführung seines Projekts und Harriet Martineau übersetzte eine überarbeitete Version seines Werks ins Englische.

Sein guter Ruf wurde durch spätere Arbeiten indes getrübt. Darin beschrieb Comte, wie der Positivismus sich politisch umsetzen lasse. Als Ursachen für den Wandel in Comtes Denken von einer rein wissenschaftlichen Betrachtung der Gesellschaft hin zu einer quasireligiösen Auffassung dessen, wie sie sein sollte, werden vielfach seine Scheidung, die anschließende Depression und eine unglückliche Liebe genannt.

Mill und andere britische Denker betrachteten Comtes Forderung nach Anwendung des Positivismus als diktatorisch und das daraus resultierende Regierungssystem als freiheitsberaubend. Zu dieser Zeit meldete sich bereits eine Alternative zu Comtes wissenschaftlicher Untersuchung der Gesellschaft zu Wort: Karl Marx legte eine Analyse des sozialen Fortschritts auf Basis der Ökonomie und ein Modell zur gesellschaftlichen Veränderung durch die politische Aktion vor. Es lässt sich leicht nachvollziehen, dass in einem von Revolutionen erschütterten Europa Comtes positivistische Soziologie im Wettlauf zwischen Kapitalismus und Sozialismus unterging. Dennoch gebührt ihm das Verdienst (noch vor seinem Mentor Saint-Simon), die Soziologie als echte Wissenschaftsdisziplin propagiert zu haben. Er etablierte insbesondere eine Methodologie der Beobachtung und eine Theorie der Sozialwissenschaften, die sich aus den Naturwissenschaften herleitete. Spätere Soziologen lehnten vielfach seinen Positivismus ab, vor allem Durkheim. Gleichwohl lieferte Comte für ihre Arbeiten eine solide Basis. Und auch wenn sein Traum von der Soziologie als »Königin der Wissenschaften« mittlerweile naiv anmutet, bleibt die von ihm propagierte Objektivität bis heute eines ihrer wegweisenden Prinzipien.


Die Julirevolution von 1830 fiel zusammen mit Comtes Veröffentlichung über den Positivismus und schien den Weg zu dem sozialen Fortschritt zu eröffnen, den er sich erhofft hatte.

»Die Philosophen haben die Welt nur … interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern.«

Karl Marx

Auguste Comte


Comte wurde 1798 in der französischen Stadt Montpellier geboren. Seine Eltern waren Royalisten und Katholiken; er aber lehnte die Religion ab und wurde Republikaner. 1817 wurde er Henri de Saint-Simons Assistent, verließ jedoch nach Meinungsverschiedenheiten 1824 seinen Lehrer und begann, u. a. mit Unterstützung John Stuart Mills, mit der Arbeit an seinem Hauptwerk, Die Soziologie: Die positive Philosophie im Auszug.

Comte war psychisch instabil und seine Ehe mit Caroline Massin endete mit einer Scheidung. Seine Liebe zu Clotilde de Vaux blieb platonisch; sie starb 1846. Von nun an widmete sich Comte nur noch dem Schreiben und entwickelte eine positivistische »Religion der Humanität«. 1857 starb er in Paris.

Hauptwerke

1830–1842 Die Soziologie: Die positive Philosophie im Auszug (6 Bände)

1848 Der Positivismus in seinem Wesen und seiner Bedeutung

1851–1854 System der positiven Politik (4 Bände)

Big Ideas. Das Soziologie-Buch

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