Читать книгу Big Ideas. Das Soziologie-Buch - Маркус Уикс - Страница 8
ОглавлениеDIE UNABHÄNGIGKEITSERKLÄRUNG BEZIEHT SICH NUR AUF DIE HÄLFTE DER MENSCHHEIT
HARRIET MARTINEAU (1802–1876)
IM KONTEXT
SCHWERPUNKT
Feminismus und soziale Ungerechtigkeit
WICHTIGE DATEN
1791 Die französische Dramatikerin und Aktivistin Olympe de Gouges veröffentlicht als Reaktion auf die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 die Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin.
1807–1834 Im britischen Empire wird die Sklaverei abgeschafft.
1869 Harriet Taylor und John Stuart Mill schreiben den Essay Die Unterwerfung der Frauen.
1949 Auf Simone de Beauvoirs Werk Das andere Geschlecht folgt die zweite Welle des Feminismus in den 1960er–1980er-Jahren.
1981 Die UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) wird von 188 Staaten ratifiziert.
Im Jahre 1776 proklamierte die amerikanische Unabhängigkeitserklärung: »Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, dass alle Menschen gleich erschaffen wurden, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt wurden, darunter Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit.« Rund 60 Jahre später reiste Harriet Martineau durch die USA und zeichnete danach ein völlig anderes Bild der US-amerikanischen Gesellschaft: Es war von einer deutlichen Diskrepanz zwischen den Idealen der Gleichheit und Demokratie und dem wirklichen Leben geprägt.
Bereits zuvor hatte sie sich als Journalistin für politische Ökonomie und soziale Themen einen Namen gemacht. Nun lieferte sie in Theory and Practice of Society in America neben der Beschreibung auch eine Analyse all der Formen sozialer Ungerechtigkeit, die sie in den USA vorfand.
Befreierin der Gesellschaft
Martineau maß den Grad der Zivilisation einer Gesellschaft an den Bedingungen, unter denen ihre Menschen lebten. Theoretische Ideale jedenfalls bildeten, wenn sie nicht für alle galten, keinen Maßstab. Und die vermeintlichen Ideale der US-Gesellschaft, allen voran das der Freiheit, blieben in ihren Augen angesichts der fortbestehenden Sklaverei »der reinste Hohn«.
So widmete sich Harriet Martineau jahrzehntelang dem Kampf gegen die Sklaverei. Gleichzeitig zeigte sie weitere Formen der Ausbeutung und Unterdrückung auf – etwa die ungerechte Behandlung der Industriearbeiter in Großbritannien und nicht zuletzt die Unterdrückung der Frau in der gesamten westlichen Welt.
Martineau wies auf die Verlogenheit einer Gesellschaft hin, die stolz auf ihre Freiheit war und dabei weiterhin die Frauen unterdrückte. Größer konnte der soziale Affront kaum sein – schließlich machten Frauen die Hälfte der Menschheit aus: »Suchte man nach einem Gradmesser für Zivilisation, gäbe es kaum einen besseren als die Lebensbedingungen der Hälfte der Gesellschaft, über die die andere Hälfte ihre Macht ausübt.« Anders als viele Zeitgenossinnen gab sich Martineau nicht damit zufrieden, sich für das Bildungs- und Wahlrecht von Frauen einzusetzen, sondern beschrieb eingehend die Art und Weise, in der die Gesellschaft die Freiheit der Frauen, im häuslichen wie im öffentlichen Leben, beschnitt.
Harriet Martineau war zu Lebzeiten weithin bekannt. Ihr Beitrag zur Entwicklung der Soziologie wurde indes erst jüngst erkannt. Heute gilt sie als erste Frau, die eine methodologische Studie der Gesellschaft unternahm und erstmals eine soziologisch-feministische Perspektive entwarf.
Der Kontinentalkongress nahm am 4. Juli 1776 den höchst moralischen Regierungsplan an. Waren aber, so fragte Martineau, in einer ungerechten Gesellschaft soziale Tugenden überhaupt möglich?
Harriet Martineau
Harriets progressive Eltern sorgten im englischen Norwich für eine gute Erziehung ihrer Tochter. Früh interessierte sie sich für Politik und Ökonomie und arbeitete ab 1825 erfolgreich als Journalistin. Später zog sie nach London und reiste 1834–1836 durch die USA. Zurück in England, veröffentlichte sie eine dreibändige soziologische Kritik des Landes. Ihre Erfahrungen in den USA bestärkten sie in ihrem Kampf für die Abschaffung der Sklaverei und für die Emanzipation der Frau.
Bereits als Teenager litt Martineau unter Schwerhörigkeit. Dennoch arbeitete und engagierte sie sich bis in die 1860er-Jahre hinein. Inzwischen lebte sie, von schwerer Krankheit gezeichnet, im Lake District und starb dort 1876.
Hauptwerke
1832–1834 Illustrations of Political Economy
1837 Theory and Practice of Society in America (3 Bände)
1837/38 How to Observe Morals and Manners