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Es ist erschreckend, wie einfach es ist, einen Menschen umzubringen. Ich spreche dabei nicht von der Tötung als solcher. Den Abzug der Pistole zu betätigen, das hat mir überhaupt keine Probleme bereitet. Eher hätte ich mit viel mehr äußeren Widrigkeiten und auch inneren Widerständen gerechnet, bis ich Vater schließlich gegenüberstünde und die Schüsse abgeben könnte. Ich war ja weiß Gott nicht der einzige Besucher seines Auftritts im Kultur Casino Bern. Im Gegenteil, das Konzert war ausverkauft, und somit musste ich mit jeder Menge Leute rechnen, die mir im wahrsten Sinne des Wortes bei meiner Tat im Weg stehen könnten. Im Nachhinein denke ich darüber nach, ob ich es mir nicht viel bequemer hätte machen können. Aber die Vorstellung, meinen Vater ganz einfach über den Haufen zu schießen, wenn er nach dem Konzert das Casino verlässt, enthielt für mich zu wenig Dramatik. Es hätte niemals zu seinem aufregenden Leben gepasst.

Die Tat war sorgfältig geplant, aber es gab in dieser Gleichung einen Haufen unbekannter Variablen, welche mir Probleme bereiten konnten.

Eines war mir aber von Anfang an klar: Nach der Tötung brauchte ich noch genügend Zeit, um nach Gigaro zu fahren und mich dort zu verstecken. Ich wusste, dass sie mich finden würden – früher oder später. Ich brauchte lediglich ein paar Tage, um meine Gedanken schriftlich festzuhalten, um der Nachwelt die Gründe für meine Tat darlegen zu können.

Durch meine Lektüre von Kriminalromanen wusste ich, dass der Gebrauch einer Kreditkarte Spuren hinterlassen und somit meinen Aufenthaltsort verraten könnte. So hob ich in den letzten paar Wochen regelmäßig Beträge von meinem Konto ab, um genug Bargeld zu besitzen. Ich entledigte mich auch meines Handys, zerstörte die SIM-Karte und warf das Gerät irgendwo in einen Abfallkorb.

Ich wollte es ihnen so schwer wie möglich machen, mich zu finden, damit ich ausreichend Zeit hätte, um zu schreiben und von dieser Welt Abschied zu nehmen.

Ich durfte nirgendwo Aufmerksamkeit auf mich ziehen. So absolvierte ich letzte Woche noch einen Auftritt mit einem drittklassigen Orchester in Kroatien, bei dem ich Ravels Konzert für die linke Hand spielte und welchen ich lieber abgesagt hätte, da ich unmöglich die Konzentration für diese Aufgabe finden konnte. Es gelang mir aber einigermaßen, meinen Fokus auf Ravel zu bündeln. So absolvierte ich meinen Auftritt ziemlich emotionslos und flog sofort in die Schweiz zurück, wo Vater in der kommenden Woche seinen großen Auftritt haben sollte.

Als Fluchtort nach der Tat kam für mich nur Vaters Ferienhaus in Südfrankreich in Frage, für welches ich noch einen Schlüssel besaß und das ich mit dem Auto innerhalb nützlicher Frist erreichen konnte. Die Polizei würde bestimmt nach mir suchen, nicht unbedingt, weil ich verdächtig war, sondern weil ich als einziger Verwandter von Victor Steinmann benachrichtigt werden musste. Dass ich nicht auffindbar war, würde ziemlich rasch Misstrauen erwecken.

Eine weitere Überlegung war, dass mich im Konzerthaus niemand erkennen durfte. Ich war in der Musikwelt ja kein völlig unbekanntes Gesicht. Also schnitt ich mir meine langen gewellten Haare ab und färbte den Kurzhaarschnitt blond, rasierte mir meinen Bart ab und legte blaue Kontaktlinsen ein. Ich erschrak, als ich mich zum ersten Mal vor dem Spiegel zu Gesicht bekam. So etwa stellte ich mir einen russischen Auftragskiller vor – ich war mir sicher, dass mich niemand erkennen würde.

Die Karte für das Konzert hatte ich mir schon vor langer Zeit am Ticketschalter gekauft und bar bezahlt. Bewusst vermied ich das Onlineportal, um meinen Namen auf keine Art und Weise mit dem Konzert in Verbindung zu bringen.

Pistole, Munition und Schalldämpfer hatte ich mir bereits vor mehreren Jahren beschafft. Es ist heutzutage kein Problem mehr, mit den richtigen Kontakten bequem und anonym zu einer Waffe zu gelangen. Mehrmals hatte ich im Wald Schussübungen absolviert, mehr um meine Nerven zu beruhigen, denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Treffsicherheit ein Problem darstellen würde. Natürlich würde meine Hand zittern, aber ich hatte ja mehr als einen Schuss zur Verfügung, und auf die kurze Distanz schien es mir ein Ding der Unmöglichkeit zu sein, mein Ziel zu verfehlen.

In Gedanken war ich den ganzen Abend bereits hundertmal durchgegangen, konnte die Innenräume des Berner Casinos auswendig aufzeichnen, kannte die Wege in- und auswendig und war bereit, meine Planung in die Tat umzusetzen. Niemand wusste, ob ich mich während Vaters Auftritt in meiner Wohnung in der Altstadt aufhielt oder ob ich im Ausland unterwegs war. Meinen letzten Auftritt hatte ich absolviert, der nächste – ein Dirigat mit Werken von Mozart und Strawinsky in Malmö – sollte erst im nächsten Monat stattfinden, sodass auch Annette Peters, meine Agentin, keine Kenntnisse über meinen aktuellen Aufenthaltsort haben würde.

Ich parkierte meinen Wagen eine Stunde vor Konzertbeginn im Casino-Parkhaus und schlenderte, da ich noch genügend Zeit hatte, am Konzerthaus vorbei zum Münster. Dort betrachtete ich das Eingangsportal mit dem Jüngsten Gericht und studierte die schmerzverzerrten Gesichter im Höllenschlund. Mein Blick blieb auf dem Erzengel Gabriel haften, welcher gerade einem Dämon, der den Fuß auf die Waagschale gestellt hatte, um die Sünden der armen Seele schwerer werden zu lassen, die Gedärme aus dem Leib schnitt. Ich erschauderte. Wie schwer würden meine Sünden wiegen, wenn ich am Himmelsportal Rechenschaft über mein Leben abgeben musste?

Im Kornhauscafé trank ich ein Glas Rotwein – das konnte mir bestimmt nicht schaden, im Gegenteil – und fand mich eine Viertelstunde vor dem Konzert beim Berner Kultur Casino ein. Der Andrang am Haupteingang war groß und die Berner Prominenz zahlreich vertreten, begierig darauf, von den Paparazzi abgelichtet und anschließend in Hochglanzmagazinen abgedruckt zu werden. Ich glaubte sogar, etwas im Abseits der Menge den ekelhaften Stig Johansson zu erkennen. Aber was kümmerte mich der schon!

Gemütlich spazierte ich zum Künstlereingang auf der linken Seite neben der Konzertkasse, der auch von Konzertbesuchern rege benutzt wurde, und rauchte noch eine Zigarette, bevor ich eintrat, die Stufen zum großen Saal erklomm und auf der Parkettebene ein Programmheft erwarb.

Dann ging ich einen Stock höher, zu den Galerien, versicherte mich, dass meine Waffe, welche mit abgeschraubtem Schalldämpfer im Schulterholster unter meinem Jackett steckte, nicht sichtbar war und begab mich durch den Gang, welcher die beiden Galerien miteinander verbindet, auf meinen Platz im hinteren Bereich der rechten Seitengalerie.

Die Stimmung im Saal war feierlich, man konnte die Vorfreude des Berner Publikums, seinen verlorenen Sohn Victor Steinmann endlich wieder einmal in seiner Heimatstadt begrüßen zu dürften, richtiggehend spüren.

Die Zuhörer hatten ihre Plätze eingenommen, das Orchester betrat die Bühne, der Konzertmeister erhob sich, und die erste Oboe spielte das A, damit die Musiker ihre Instrumente stimmen konnten. Dann wurde es ruhig, nur noch vereinzeltes Flüstern war zu hören, und als sich die Türe öffnete, durch die Solist und Dirigent das Podium betraten, waren bereits die ersten Klatscher zu hören, noch bevor man die beiden zu Gesicht bekommen hatte. Der Violinist, Tadeusz Mowtschan, ganz in Schwarz in ein mantelähnliches Kostüm gekleidet, und mein Vater, in der klassischen Kleidung des Dirigenten, wie immer mit Frack, Kummerbund und Fliege, bahnten sich zwischen den Musikern, welche ihre Stühle etwas zur Seite rückten, den Weg nach vorne. Die Szene hatte etwas Bizarres an sich: Der junge Geiger, der sich am Bühnenrand verneigte und den tosenden Applaus entgegennahm, der wohl eher meinem Vater galt, welcher sich aber wie gewohnt, scheinbar uneitel, inmitten des Orchesters im Hintergrund hielt. Ein kurzes Zunicken zum Solisten, dann betrat er das Podest und nahm eine abwartende Haltung ein. Die Oboe spielte nochmals den Kammerton, damit auch Tadeusz noch die Stimmung seiner Violine kontrollieren konnte, und dann begann er mit einer Solointonation das zweite Violinkonzert von Sergej Prokofjew.

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