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Ganz deutlich erinnere ich mich an ein Gespräch, das ich neulich in einem Bistro in München mit einem Mann führte, der mich erkannt hatte und fragte, ob er sich kurz zu mir setzen dürfe. Ich blieb höflich und bat ihm einen Stuhl an, obwohl ich am liebsten aufgestanden und fortgerannt wäre. PR-Arbeit im kleinen Rahmen, so hätte meine Agentin Annette Peters meine Gutmütigkeit genannt.

Klaus, so stellte er sich vor, war eine unscheinbare Person, graukariertes Jackett, graue Hose, weißes Hemd, bleicher Teint, randlose Brille und ein mächtiger Schnauzbart, wohl ein biederer Buchhalter, der sich den ganzen Tag am Computer mit Zahlen beschäftigte und in seiner Freizeit Konzerte und Opernaufführungen besuchte. Ein sogenannter passionierter Musikliebhaber, eher schon ein Freak, der in mir ein dankbares Opfer gefunden hatte, an dem er seine Schwärmereien auslassen konnte.

Er konnte mir auf den Tag genau berichten, welche meiner Konzerte er besucht hatte und lobte meine Fähigkeiten als Pianist und Dirigent – Arschlecker, dachte ich mir.

»Welche Befriedigung muss es einem verschaffen, wenn man seine Leidenschaft zum Beruf machen kann«, schwärmte Klaus entzückt, »wenn man sich in der Welt der Musik bewegt und mit seiner Arbeit den Menschen eine Freude machen kann.«

Ich nickte mit einem freundlichen Lächeln und dachte mir aber: Du hast keine Ahnung, welche Qual es ist, wenn man den ganzen Tag nur an Musik denkt, wenn einem nichts außer Musik im Kopf herumschwebt. Beim Gehen, bei der Arbeit, selbst bei Gesprächen. Sogar jetzt. Dauernd höre ich sie ganz deutlich mit meinem inneren Ohr, jede Stimme, jede Harmonie, alles und überall. Gefangen in einem Käfig der Klänge.

Klaus plapperte fröhlich drauflos, erzählte mir von seinen Besuchen an den Festivals in Luzern, Salzburg, Schleswig-Holstein und Glyndebourne. Gelangweilt ließ ich den Wortschwall über mich hinwegrieseln und hatte die Aufmerksamkeit schon lange verloren, während in meinem Kopf Tschaikowskys dritte Symphonie ablief, mit der ich mich im Moment ausgiebig beschäftigte.

Von all dem bekam Klaus natürlich nichts mit, und ich musste mich bemühen, mit einem gelegentlichen Nicken oder einer beiläufigen Bemerkung ihm den Eindruck zu geben, dass ich mich am Gespräch beteiligte.

Dann stellte er eine Frage, die mich mit einem Schlag wieder in die Realität zurückbrachte:

»Werden Sie auch wieder einmal gemeinsam mit Ihrem Vater auftreten?«

Victor Steinmann – er hatte mich erneut eingeholt, allgegenwärtig, immer unheilvoll über mir schwebend. Was sollte diese Frage? Klaus, der riesige Klassikfreak, als der er sich ausgab, musste bestimmt von unserem zerrütteten Verhältnis mitbekommen haben, das von den Medien ständig genüsslich ausgeweidet wurde. Weshalb also musste die Rede auf Vater kommen? Wollte mich Klaus damit provozieren?

Es fiel mir schwer, mein Lächeln aufrecht zu erhalten und eine höfliche Antwort zu geben. Die Welt um mich herum schien stillzustehen, und die Luft war enorm dünn geworden. Meine Hände begannen zu zittern, ich zupfte nervös an meinem Hemdkragen und öffnete den obersten Knopf, in der Hoffnung, wieder besser atmen zu können.

Es gelang mir allerdings nicht, mich wieder in den Griff zu bekommen. Klaus legte den Kopf etwas schief und stellte mir eine Frage, die ich allerdings nicht mitbekam. Alles um mich herum begann sich zu drehen, und ich wusste, dass eine Panikattacke im Anmarsch war, der ich nur beikommen konnte, wenn ich mich sofort an die frische Luft begab und Klaus’ Gesellschaft hinter mich ließ.

Ich nahm seine Gegenwart gar nicht mehr richtig wahr, kramte in meiner Tasche nach ein paar Münzen, legte sie auf den Tisch und erhob mich ohne ein Wort der Erklärung oder des Abschieds. Mit starken Schwindelgefühlen taumelte ich dem Ausgang entgegen und trat auf die Straße hinaus. Ich hatte keine Ahnung mehr, wo ich mich befand. Dutzende von fremden Gesichtern kamen auf mich zu, und ich hielt verzweifelt nach einem Ort Ausschau, an dem ich alleine sein konnte.

Ich wankte durch die Menschenmenge und entdeckte eine kleine, verlassene und schmutzige Seitengasse, auf die ich mich zubewegte, die Arme nach vorne gestreckt, um die entgegenkommenden Leute von mir wegstoßen zu können. Die entrüsteten Bemerkungen prallten von mir ab, und ich eilte auf das rettungsverheißende Sträßchen zu, immer noch wie wild nach Luft schnappend.

Endlich hatte ich die Höhe der Gasse erreicht, konnte mich aus dem Strom entfernen und rannte hinein. Hinter meinem Rücken wurde der Lärm der Hauptstraße immer leiser, und als ich das Gefühl hatte, endlich alleine zu sein, hielt ich an, lehnte mich an die Mauer und glitt zu Boden. Ich konzentrierte mich auf meine Atemzüge, bis ich mich wieder beruhigt hatte und regelmäßig Luft holen konnte.

Aus der Ferne hörte ich Motorengeräusche und Stimmen – der Alltag einer Großstadt. Lange Zeit blieb ich auf dem Boden sitzen, bis ich mich in der Lage fühlte aufzustehen, die kleine Gasse zu verlassen und mich in meiner Umgebung zu orientieren.

Ich wusste: So konnte es nicht weitergehen. Es musste ein Ende finden.

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