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Als ich mit Ende zwanzig den Entschluss fasste, zusätzlich zu meinem Solistendiplom mich zum Dirigenten ausbilden zu lassen, war der Kontakt zu meinem Vater bereits auf ein Minimum reduziert. Unsere letzten gemeinsamen Auftritte lagen eine Ewigkeit zurück und ich reiste durch die ganze Welt, um Konzerte zu geben, Recitals, Auftritte in Kammermusikformationen. Aber ohne Vater. Man kann durchaus sagen, dass ich ein gewisses Renommee erreicht hatte, und ich wage einmal zu behaupten, dass die zahlreichen Einladungen und Anfragen, die ich erhielt, nicht in erster Linie mit meinem Namen zu tun hatten, sondern dass meine Fähigkeiten als Pianist wohlwollend angesehen und geschätzt wurden.

Meine Agentin, Annette Peters, die mir noch von Vaters Manager empfohlen worden war, musste viele Absagen erteilen, weil ich großen Wert darauf legte, nicht möglichst viele Konzerte zu geben und mich damit rasch abzunützen, sondern bei meinen Auftritten hohe künstlerische Qualität zu erreichen, um damit nachhaltig bei meinem Publikum in Erinnerung zu bleiben, wozu aber zwangsläufig genug Vorbereitung und entsprechende Erholungsphasen notwendig sind.

Früher hatte ich mit Vater vier bis fünf Konzerte pro Saison gespielt, doch plötzlich waren keine Anfragen mehr eingetroffen, der Umgang bei unseren letzten Auftritten war eher kühl gewesen und das Lob, das ich früher von Vater in großen Mengen eingeheimst hatte, war sehr spärlich geworden.

Ich rief ihn von Zeit zu Zeit an und erzählte ihm von meinen Auftritten und Erlebnissen, merkte aber immer mehr, dass er das Interesse an meiner Karriere komplett verloren hatte. Er befand sich damals in einer schwierigen Zeit und hatte genug eigene Probleme, als dass ihn diejenigen seines Sohnes groß interessiert hätten.

Ich wollte nun endlich das Gefühl kennenlernen, wie es sich anfühlt, vor einem Orchester zu stehen, mich mit Partituren auseinanderzusetzen, Klangfarben zu modellieren und die Vorstellungen auf eine Musikerschar zu übertragen. Die Stereoanlage hatte ich ja häufig genug dirigiert, und ich fühlte mich nun reif und erfahren genug, um mich auf eine neue Erfahrung einzulassen und meiner Karriere eine andere Richtung zu verpassen.

Wahrscheinlich spielte noch eine andere Überlegung eine wichtige Rolle, die zu diesem Zeitpunkt wohl aber eher nur in meinem Unterbewusstsein existiert hatte: Ich suchte nach einem anderen Weg, um Vaters Aufmerksamkeit zurück zu gewinnen. Meine Fähigkeiten als Pianist schienen seinen hohen musikalischen Anforderungen bei weitem nicht mehr zu genügen, und ich dachte mir wohl, dass ich als Dirigent mich eher ihm wieder annähern und seine Zustimmung erhalten konnte.

Welch ein Irrtum! Hätte ich mich sorgfältig und gründlicher mit unserer schwierigen Beziehung auseinandergesetzt, so wäre mir wohl rasch klar geworden, dass mein Plan schon im Voraus komplett zum Scheitern verurteilt gewesen war.

Die Monate in Wien, wo ich das Dirigentendiplom bei Gregor von Borowski erwarb, waren eine Zeit voller Demütigungen und Erniedrigungen. Ich mag mich nicht erinnern, so viele Tränen vergossen zu haben, wie während meines Studiums in der Donaustadt. Von Borowski war ein verhinderter Dirigent, dem es nie zum Durchbruch gereicht hatte und der seinen Unmut darüber tagtäglich an seinen Studenten ausließ. Außerdem hatte er Vaters Aufstieg mit viel Missgunst und Neid mitverfolgt und war ein erklärter Gegner seiner musikalischen Vorstellungen.

»Oberflächlich, ohne Ecken und Kanten, alles auf Hochglanz poliert ohne in die musikalischen Tiefen vorzudringen.«

Das waren noch die höflicheren Urteile, die er über Vater fällte und verkündete. Er warf ihm – und das nicht zu Unrecht – sein autoritäres Auftreten vor, das er selbst in seinen Klassen aber auch an den Tag legte und das, so wie ich ihn einschätzte, wohl auch seine Art der Orchesterleitung gewesen wäre, wenn er die Möglichkeit dazu gekriegt hätte.

So war ich für ihn natürlich ein dankbares Opfer, dem gegenüber er seine Aversion gegen Victor Steinmann ausleben konnte.

Sein Fachwissen war unbestritten enorm, doch konnte er mir bei der Partituranalyse wenig Bedeutendes beibringen, worauf mich nicht schon Vater in früherer Zeit hingewiesen hätte.

Ich ließ mich geduldig von ihm unterweisen, doch er bemerkte ziemlich rasch, dass er mir, was das theoretische Wissen anbelangt, nicht mehr viel beibringen konnte, und die Tatsache, dass er wusste, woher ich mir meine Kenntnisse angeeignet hatte, brachte ihn umso mehr auf die Palme.

Und so arbeitete er mit aller Kraft daran, meine Schwächen, nämlich die Arbeit mit dem Orchester, in aller Öffentlichkeit bloß zu stellen. Er war ein kleiner, dürrer Mann mit Glatze, Kinnbart und Hornbrille und reichte mir knapp bis zu meinen Schultern. Wenn ich auf dem Podest stand, war ich fast zwei Köpfe grösser als er, sodass er, wenn er mich zurechtweisen wollte, mich zwang neben das Podest zu stehen und selber darauf stieg, um mit mir etwa auf Augenhöhe zu sein.

»Steinmann«, feixte er, »schließen Sie Ihren Mund. Sie sind kein Sänger, sie wollen Dirigent werden. Also machen Sie gefälligst, was ein Dirigent zu tun hat: Zeigen Sie, was Sie haben wollen. Und sparen Sie sich Ihre ausladenden Gesten. Deutlich, zweckmäßig und präzis sollen sie sein, sonst können Sie sich genauso gut der Schauspielerei widmen.«

Und immer dazu das Flackern in seinen Augen, das ich noch heute deutlich vor mir sehe, dieser Hohn, der mir suggerieren sollte, dass ich nie zustande bringen werde, was der von ihm verhasste Victor Steinmann so vorzüglich zu leisten in der Lage ist.

Nein, es war keine schöne Zeit für mich, damals in Wien.

Es ist eine Station in meinem Leben, die mir als dunkler Fleck in Erinnerung bleibt, die sich wie ein Pfeil in mein Herz bohrt, wenn ich an sie zurückdenke.

Und das Schlimmste am Ganzen ist, dass all diese Erniedrigungen, die ich in Kauf nahm, mich eher von Vater weggetrieben als mich mit ihm zusammengeführt hatten, so wie ich mir das eigentlich erhofft hatte.

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