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Wie kurze Filmsequenzen gingen mir Szenen wie die oben beschriebene durch den Kopf, derweil Tadeusz und Vater Prokofjews Violinkonzert zum Besten gaben. Ich konnte mich nicht auf die Musik konzentrieren, blickte immer wieder auf meine zitternden Hände und beschloss, in der Pause mit einem weiteren Glas Rotwein meine Nerven in den Griff zu bekommen.

Erst als die Leute neben mir begannen, Applaus zu spenden, wurde ich wieder in die Realität zurückgeholt, kam wie durch einen dunklen Tunnel wieder ans Licht, und es kam mir vor, als würde der Ton wie bei einer Stereoanlage lauter aufgedreht, bis ich wieder im Hier und Jetzt gelandet war.

Die Darbietung wurde mit Begeisterung aufgenommen, ich klatschte mit, verließ meinen Platz aber, nachdem Vater und der Geiger zum dritten Mal aufs Podest zurückgekehrt waren, wissend, dass nun noch eine Zugabe von Tadeusz folgen würde, und lief hinter den Plätzen die Seitengalerie entlang, bis ich an eine Türe gelangte, die mit »Salon Rose« angeschrieben war. Ich betrat den Raum, der mit Parkettboden ausgestattet war, auf dem ein großer Teppich in warmen Farben lag. Außer einem großen viereckigen Tisch, an den etwa zwanzig Stühle gelehnt waren, befand sich nichts im Raum, und ich setzte mich auf eine der Sitzgelegenheiten und blickte nach draußen in die Dunkelheit, die sich inzwischen über die Bundesstadt gelegt hatte. Helle Lichter glitzerten mir entgegen, und in der Fensterscheibe nahm ich mein Spiegelbild wahr: ein blonder Mann, der sich im Stuhl fläzte, erschöpft und fiebrig. Ich musste mich zusammenreißen.

Im Konzertsaal vernahm ich eine Bach-Zugabe von Tadeusz und versuchte, mich wieder auf meine Mission zu konzentrieren. Ich hob meine Hände in die Luft, stellte ein leichtes Zittern fest und fühlte eine Übelkeit in mir aufkommen. Als ich mich erheben wollte, wurde mir schwarz vor den Augen, ich ließ mich wieder in den Stuhl zurückgleiten und versuchte, meine Sinne zu schärfen. Nebenan war immer noch die Solovioline zu hören, bald würde aber die Zugabe beendet sein und mein Vorhaben würde in die entscheidende Phase treten. Ich fokussierte mich auf den Ablauf, den ich ganz exakt festgelegt hatte, fühlte mich wieder besser, und als ich aufstand, um den Salon Rose auf der anderen Seite wieder zu verlassen, vernahm ich den begeisterten Applaus für Tadeusz.

Nun konnte es losgehen. Ich durchquerte den Salon, öffnete die Türe und nahm den kleinen Lift, um ins Foyer zu gelangen. Dort war außer mir noch niemand anderes angekommen, und so konnte ich problemlos den Rotwein ordern. Lange Zeit blieb ich alleine – Tadeusz gab wohl noch eine zweite Zugabe. Jetzt war Geduld angesagt.

Als die Zuhörer schließlich ins Foyer strömten, zog ich mich mit dem Glas auf die Seite der Garderobentheke zurück, wo ich durch eine hohe Pflanze vor neugierigen Blicken geschützt war, trank den Wein in kleinen Schlücken, betrachtete die vorbeischlendernden Konzertbesucher und versuchte immer wieder, meine Konzentration nicht zu verlieren, indem ich meinen Blick auf das schachbrettartige Muster am Boden lenkte.

So verbrachte ich die Pause in meiner Ecke, und als das erste Klingeln ertönte, welches das Publikum zur Rückkehr in den Konzertsaal mahnte, wusste ich, dass es kein Zurück mehr geben würde.

Ich stellte das Glas ab, und begab mich zur Treppe, die mich zum Parkett hinauf führte. Oben angekommen hielt ich mich nach links und spazierte den Flur entlang, wo sich ganz hinten die Zimmer für die Solisten und den Dirigenten befanden. Ich hatte mein Ziel erreicht, lehnte mich ans Treppengeländer und blätterte in meinem Programm, während vor mir die Konzertbesucher vorbeiströmten, um wieder ihre Plätze einzunehmen und der ersten Symphonie von Jean Sibelius zu lauschen.

Das zweite Klingeln ertönte, und ich spähte immer wieder zum Dirigentenzimmer, weil vor dem Solistenzimmer Tadeusz Mowtschan mit zwei Damen in ein Gespräch vertieft war. Ich konnte ein paar fremdklingende Worte auffassen, wahrscheinlich unterhielten sie sich auf Russisch. Verflixt, wie lange sollte das noch dauern? Der Schweiß lief mir über den Rücken, und ich stellte fest, dass meine Hände wieder zu zittern begannen. Ich hatte damit rechnen müssen, dass irgendetwas Unvorhergesehenes noch eintreten könnte, und es war mir klar gewesen, dass das gerade in dieser finalen Phase der Fall sein könnte. So musste ich mich zur Ruhe mahnen, das Ziel vor Augen halten und Geduld walten lassen.

Es klingelte nochmals, die letzten Zuhörer schritten an mir vorbei, Tadeusz schien überhaupt keine Eile zu haben, das Gespräch zu beenden. Ich vernahm ein kehliges Lachen von den beiden Damen, er hatte wohl eine amüsante Anekdote zum Besten gegeben. Mittlerweile war der Gang komplett leer, ein Blick nach rechts zeigte mir, dass die Platzanweiser bereit waren, um die Eingangstüren zum Parkett zu schließen, und vor mir öffnete sich das Portal, hinter dem sich der Vorbereitungsraum der Orchestermusiker befand. Sie strömten an mir vorbei, um sich aufs Podium zu begeben und sich einzustimmen. Niemand schien mich zu beachten. Vielleicht würde sich der eine oder die andere bei der Vernehmung durch die Polizei an einen blonden, blauäugigen Mann erinnern, an welchem sie vorbeigelaufen waren und welcher seelenruhig im Programm geblättert hatte, obwohl er eigentlich schon seinen Platz eingenommen haben sollte. Aber was sollten die Polizisten mit dieser Aussage schon anfangen können? Tadeusz bereitete mir mit seinen beiden Damen da schon weit größere Sorgen.

Ein Mann huschte an mir vorbei und klopfte an Vaters Türe. »Maestro, noch zwei Minuten!« Das war sein neuer Agent, Roger Dombrowski, der das schwere Erbe seines allgegenwärtigen Vorgängers übernommen hatte. Ich hatte ihn nicht persönlich kennengelernt und hatte nur munkeln gehört, dass er teilweise heillos überfordert sei mit Vaters gewaltigen Ansprüchen. Wenn sich das Orchester fertig eingestimmt hatte, würde er nochmals an die Türe des Dirigentenzimmers klopfen und Vater ankünden, dass die Musiker bereit seien. Dieser legte Wert darauf, in der Pause so wenig wie möglich gestört zu werden und liebte es, die Spannung bis zu seinem Auftritt lange hinauszuzögern. Ich hatte nicht viel Zeit, um meine Absicht auszuführen - wann würde sich Tadeusz endlich von seinen Damen verabschieden?

Gerade als der letzte Musiker an mir vorbeigehuscht war, konnte ich in meinem Augenwinkel erkennen, wie vor dem Solistenzimmer Küsschen verteilt wurden, und dann begaben sich auch die beiden Osteuropäerinnen auf ihre Plätze und stöckelten auf ihren hohen Schuhen an mir vorbei.

Endlich! Ich blickte nach links und rechts und konnte gerade noch erkennen, wie eine Platzanweiserin den beiden Frauen die Türe öffnete und mir dabei den Rücken zudrehte. Jetzt musste es geschehen!

Ich griff unter mein Jackett, zog Pistole und Schalldämpfer hervor und schraubte die beiden Teile zusammen, während ich entschlossen Richtung Dirigentenzimmer schritt.

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