Читать книгу Franz Josephs Land - Martin Haidinger - Страница 16
ALTE ZEITEN
ОглавлениеDas Fest des Huhns heißt ein satirischer Film aus dem Jahr 1992 von Walter Wippersberg, der die Sitten und Gebräuche der oberösterreichischen Ureinwohner aus der Sicht afrikanischer Dokumentarfilmer zeigt – verlassene Kirchen, stattdessen kultische Verehrung knuspriger Brathühner in Festzelten.
Wir haben es immer geahnt. Das eigentliche österreichische Wappentier ist nicht der ein- oder doppelköpfige Adler, sondern das kopflose, dafür umso reschere Grillhendl!
In seinen Haxen hält es Eispickel und Skistock, denn diese Utensilien sind in die Geschichte eingegangen, und das kam so: Wir schreiben ungefähr das Jahr 3200 vor Christus, obwohl da in der Gegend des Ötztals vermutlich noch keiner schreiben konnte. Die moderne Wissenschaft nennt diese Periode der Vorgeschichte die Kupfersteinzeit. Wir sehen einen Mann auf einen Berg steigen. Wohin er mit seinem Gepäck samt Pfeil und Bogen und Kupferbeil so eilig auf dem Weg ist, wissen wir nicht. Nur dass es ihn irgendwie auf den heute sogenannten Similaungletscher in den Ötztaler Alpen verschlagen hat, wo er auch gewaltsam zu Tode kommt. Er ist nicht nur der erste Wandersmann auf Tiroler und österreichischem Boden, dessen wir gewahr werden, sondern auch der erste, den wir irgendwie persönlich kennen – zumindest sind der Nachwelt seine sterblichen Überreste erhalten geblieben, 1991 zufällig aufgefunden im abgetauten Gletscher durch ein deutsches Alpinistenehepaar.
»Ötzi«, wie ihn der Wiener Journalist Niki Glattauer tauft, oder »Frozen Fritz«, wie ihn die Amis und die Briten kess bezeichnen, wird zunächst für das Opfer eines neuzeitlichen Mordes gehalten und von Bergsteigern und Polizisten mit den Attributen unseres Nationalgrillhendls grob aus Eis und Erde herausgehackt – mit Skistock und Eispickel. Erst nachdem ihm die Arme gebrochen worden sind und ihn ein Gerichtsmediziner als unbekannten Toten zur Beerdigung freigeben will, setzt sich die Erkenntnis durch, wessen Körper das wirklich ist – aber ja, wer war er denn eigentlich?
Genetisch gesehen besaß dieser Spätsteinzeitler vom Vater her Vettern in Korsika und Sardinien und mütterlicherseits eine nicht minder spannende Verwandtschaft, die auf Einwanderer aus dem Vorderen Orient und aus Südeuropa hindeutet. Kurz vor seinem Tod hatte er noch ein Steinbocksteak samt Beilagen zu sich genommen, ehe ihm ein heimtückischer Pfeil und ein wuchtiger Schlag auf den Kopf den Garaus machten. Ob er nun ein biederer Hirte, ein Handelsreisender, ein schamanischer Einsiedler, ein Erzsucher, ein Geächteter auf der Flucht von Süden nach Norden, oder, wie der vife, aus Tirol stammende Kärntner Frühgeschichtler Paul Gleirscher meint, ein Edelmann auf dem Kriegspfad gewesen ist, fasziniert die sterbliche Hülle des Eismannes all jene, die ihn ansehen und einen Blick in die Steinzeit zu werfen vermeinen.
Dass er tatsächlich »einer von uns« ist, durften die verblüfften Österreicher 2013 feststellen, als Tiroler Gerichtsmediziner anhand von Blutspenden in der Region durch einen Zufallsfund draufkamen, dass 19 noch heute lebende Tiroler ein paar entscheidende Gensegmente mit Ötzi gemeinsam haben und damit einen Vorfahren mit ihm teilen.
Die lebenden Nachfahren werden jedenfalls mit Sicherheit besser medizinisch betreut als seinerzeit er selbst. Ötzi war mit Fußpilz, Peitschenwürmern und Borreliose infiziert und von starken Gefäßverkalkungen geplagt, die ihn früher oder später ganz ohne Pfeil gekillt hätten.
Die Fundgegend wird übrigens auch als Hauslabjoch bezeichnet, so genannt nach dem General und Geologen Franz von Hauslab, den wir schon als Erzieher des jungen Erzherzogs Franz Joseph kennengelernt haben.
Es ist kein Zufall, dass sich der Mann mit dem südlichen Einschlag gerade dort ins Bergland gewagt hat, denn die Alpen östlich von Rhein und Bodensee sind nicht so hoch und unüberwindlich wie die West- und Zentralalpen und bieten seit jeher günstige Übergänge von der italienischen Tiefebene und dem Po-Tal Richtung Norden, aber auch gangbare Routen von Westen nach Osten. Sie sind also wie geschaffen als Durchzugsgebiet bis hin ins Wiener Becken und in die Pannonische Tiefebene. So funktionierten Wanderungen, Kommunikation und Handel in diesem Gebiet also schon lange, ehe das Ganze ein zusammenhängendes politisches Gebilde namens Österreich wurde.
Apropos Osten. Weitaus älter als der Mann aus dem Tiroler Eis sind die frühesten Kunstwerke auf österreichischem Boden, die rund 30 000 Jahre vor Christus gefertigten Venusfiguren vom Galgenberg und von Willendorf, die weiblichen Schönheitsidealen in schlanker, tänzerischer und in matronenhaft beleibter Form entsprechen und ganz ohne Mittel aus dem Kulturbudget des Landes Niederösterreich zustande gekommen sind.
Als die Eiszeiten zu Ende gegangen waren, entstanden Sümpfe und weiteten sich die Wälder, und die Menschen drangen immer tiefer in die Alpentäler vor. In den Alpen setzte sich der als Räter bekannte Stamm drahtiger Bergler fest, die wohl schon so zäh gewesen sein müssen wie die knorrigen Tiroler und Vorarlberger der Gegenwart, für die es daran ohnehin keinen Zweifel gibt. Manche meinen, sie seien mit den italischen Etruskern verwandt gewesen. Zwischen ihnen und den sogenannten Illyrern der ostösterreichischen Niederungen liegt als Schnittpunkt zweier Kulturen der Ort Hallstatt, eine Siedlung reicher Salzhändler. 400 Jahre lang bestimmen die Hallstätter Kultur und Wirtschaft des heutigen Österreich.
Wer glaubt, dass sich hinter Illyrern und Rätern ethnisch einheitliche Völker verbergen, irrt. Diese Bezeichnungen sind vielmehr Krücken der Neuzeit, um den antiken Damen und Herren irgendwelche Namen geben zu können. Die Forschung auf diesem Gebiet (die den Begriff Illyrer neuerdings wissenschaftlich gar nicht mehr verwendet) kann einen ganz schön verwirren …
»Als Adam grub und Eva spann – wo war denn da der Edelmann?« lautet ein Sprüchlein klassenkämpferischer Polemik der Neuzeit. Was für paradiesische Zustände gegolten haben mag, ist spätestens mit der boomenden Wirtschaft durch Erzbergbau und Eisenverarbeitung zu Ende. Aus Sippen werden Stämme, und ihre Häuptlinge sind wohl die ersten Aristokraten Österreichs – eine bestimmende Schicht der Gesellschaft formiert sich. Die Führer wachen über wohlhabende, sinnenfreudige Völkchen von Bauern, Handwerkern und Händlern, die auch das zweite wichtige Phänomen von Kultur und Zusammengehörigkeit entwickeln, eine identitätsstiftende Religion. Sie sah anders aus als die alten Kulte der frühgeschichtlichen Jäger und Sammler. Nach dem Wegfall von Realitäten, die die Nomadengesellschaften einst geeint hatten, wie etwa die Kameraderie der Jagdgemeinschaft, mussten die Sesshaften etwas »Heiliges« schaffen, repräsentiert durch Kultgegenstände und Symbole. Der im Grabhügel von Strettweg bei Judenburg in der Steiermark gefundene Sonnenwagen gibt einen Eindruck von regem kultischen Leben.
Doch die Idylle hat bald ein Ende. Während die Räter vorerst unbeirrt ihre Berge und Täler bewachen, wird das lieblichere Tiefland um 400 vor Christus zum Schauplatz einer blutigen Invasion.