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BÖHMEN-OTTO UND DER SCHWEIZER GRAF
ОглавлениеIm 13. Jahrhundert ist Wien drauf und dran, ein Schmuckkästchen mittelalterlicher Architektur und Kultur zu werden. Leopold VI. holt weltberühmte Minnesänger wie Walther von der Vogelweide, Neidhart von Reuental und Tannhäuser an seinen Hof, die ihn umso inniger besingen, als er ihre Schulden bezahlt. Und Steinmetze beginnen mit der Arbeit am Stephansdom.
Dass die Babenberger in die vorderen Reihen der Macht gerückt sind, beweist, dass der sechste Poldl 1230 einen wieder einmal aufgeflammten Streit zwischen Papst und Kaiser erfolgreich schlichten kann.
Im selben Jahr stirbt er, und sein Sohn Friedrich »der Streitbare« geht sofort daran, das Erbe zu verspielen. Er streitet mit seinen Ministerialen, drückt das Volk mit Steuern, raubt die Güter seiner Mutter und Schwester und befehdet die Nachbarn. Alle rufen um Hilfe vor dem Wüterich, und der Kaiser setzt ihn kurzerhand ab. Das wirkt sich aber in der Praxis nicht aus, denn der Papst hat den Kaiser (der verwirrenderweise auch ein Friedrich II. ist) wieder einmal exkommuniziert, und zu allem Überfluss dringen die Mongolen in Osteuropa ein und der Babenbergerherzog eilt den Ungarn gegen sie zu Hilfe.
Jetzt könnte er darin schwelgen, dass ihn alle Welt umwirbt … Tut er aber nicht! Der Kauz führt seinerseits Krieg gegen die Ungarn. Mit der linken Hand ordnet er daneben sein Herzogtum, teilt es administrativ in »Ob der Enns« und »Unter der Enns« – und erschafft so das heutige Ober- und Niederösterreich. Er holt geistliche Orden wie die Johanniter (später Malteser genannt), Dominikaner, Minoriten und den Deutschen Orden nach Wien, stellt die jüdischen Finanzdienstleister unter seinen Schutz … Und dann, irgendwann, wird er größenwahnsinnig. Da er sieht, dass sein großer Namensvetter, Kaiser Friedrich II., von allen Seiten in Bedrängnis geraten ist, will er diesen zwingen, ihm die Königswürde zu verleihen. Daraus wird allerdings nichts. Denn der streitbare Babenberger Friedrich fällt 1246 in einer Schlacht gegen die Ungarn an der Leitha. Kinder hat er keine.
Und jetzt geht’s los, jetzt geht’s so richtig zur Sache um Österreich! Denn der Kaiser ist böse auf die Babenberger, und plötzlich zählt das »Privilegium minus« nichts mehr. Nix wird’s mit der weiblichen Nachfolge! Er teilt den Babenberger-Besitz zwischen den bayerischen Wittelsbachern und den Grafen von Görz-Tirol auf, Chaos bricht aus. Man nennt so etwas allgemein ein »Interregnum«, eine herrscherlose Zeit. Der österreichische Adel, die Ministerialen, bekommt es mit der Angst zu tun und bittet einen mächtigen Nachbarn, die Ordnung wiederherzustellen. Dieser dynamische Herr lässt sich nicht zwei Mal bitten und sitzt bereits 1251 in Wien: Ottokar II., Markgraf von Mähren, König von Böhmen!
Selten hat sich ein Gast so schnell eingelebt wie Ottokar in Wien. Der 22-jährige Herr aus dem slawischen Geschlecht der Přemysliden heiratet die 48-jährige Schwester des letzten Babenbergers namens Margarete, lässt eine Hofburg hochziehen und forciert den Weiterbau des Stephansdoms.
Doch auch der König von Ungarn hätte Österreich gern gehabt. Einer seiner Verwandten heiratet die allerletzte Babenbergerprinzessin Gertrud. Nun beginnt der Kampf zwischen den verschwägerten Königen Ungarns und Böhmens um Österreich, Steiermark, Kärnten, Krain, Friaul und Aquileia, die sich Ottokar samt und sonders unter den Nagel gerissen hat.
Kurz gesagt: Der Böhmen-Otto siegt auf der ganzen Linie. Er kämpft die Ungarn nieder, gibt Margarete den Laufpass, heiratet die Enkelin des Ungarnkönigs und beherrscht ein Reich von Schlesien bis an die Adria – circa 150 000 Quadratkilometer!
Und er tut etwas Folgenreiches: Er holt deutsche Siedler ins Königreich Böhmen, die sich in Stadt und Land ansiedeln und Kultur, Reichtum und Wohlstand des Stammlandes der Přemysliden mehren.
»Den Deutschen will ich setzen euch in’ Pelz. / Der soll euch kniepen, / bis euch Schmerz und Ärger / Aus eurer Dumpfheit wecken …«– lässt Franz Grillparzer »seinen« Ottokar 1825 im Drama König Ottokars Glück und Ende sagen. Und sie werden einander über Jahrhunderte kräftig »kniepen«, die Deutschen und die Tschechen …
Inzwischen ist ein Interregnum auch im Reich eingetreten, und Ottokar bewirbt sich als mächtigster deutscher Reichsfürst um die Krone des Heiligen Römischen Reiches.
Doch die sieben Königsmacher, die nachmals Kurfürsten genannt werden, spielen da nicht mit. Sie wollen zwar einen Herrscher, der Ordnung schafft, die Kirche schützt, die kleinen Ritter, Grafen und Städte im Zaum hält, aber sie, die großen Herzöge, unbehelligt schalten und walten lässt.
Sie finden Rudolf, einen reichen, frommen, nicht mehr allzu jungen Grafen, einen Nachfahren Guntrams »des Reichen« aus Muri im Aargau, der üppige Besitzungen im Elsass und der nördlichen Schweiz, aber sonst keine großen Landmassen oder militärischen Mittel hat. 1273 wird Rudolf von Habsburg in Frankfurt zum deutschen König gewählt und in Aachen gekrönt. Ottokar, der Unterlegene, schmollt und bleibt von Wahl und Krönung fern. Das kann sich der neue König nicht bieten lassen! Rudolf gewinnt den Ungarnkönig und den Bayernherzog, denen Ottokar ohnehin schon gefährlich übermütig geworden ist, für einen Feldzug. Er belagert Wien, das Ottokar treu bleibt, jedoch kapituliert, als der Habsburger droht, die Weinberge im Umland zu roden.
Ottokar gibt vorerst klein bei und Österreich samt Steiermark in die Obhut des deutschen Königs.
Rudolf will nun seine eigene Familie mit den österreichischen Ländern belehnen. Als das ruchbar wird, fällt der österreichische Adel von ihm ab. Ottokar fühlt sich stark, lockt Rudolf zur Schlacht auf dem Marchfeld. Bei Dürnkrut und Jedenspeigen, nordöstlich von Wien, kommt es am 26. August 1278 pünktlich um 9 Uhr Früh zum Gemetzel. 60 000 Mann dreschen aufeinander ein.
Rudolf siegt. Das sagt sich so leicht. Immerhin ist Ottokar tot, durchbohrt von 17 Lanzenstichen persönlicher Rivalen, die ihn am Schlachtfeld eingeholt haben, als er sich zur Flucht wenden wollte. Rudolfs Traum in der Nacht vor der Schlacht hat ihm einen Reichsadler gezeigt, der dem böhmischen Löwen den Garaus macht. Doch selbst in seinen kühnsten Träumen mag sich der alte Rudolf – er ist Anfang 60, also ein Greis – nicht gedacht haben, dass er 1282 mit der Ernennung seiner Söhne Albrecht und Rudolf als Doppelspitze das erste von 636 Jahren einläuten wird, die seine Familie über Österreich (was immer das auch meinen soll) herrschen wird.
Noch einmal haben die Wiener 1278 Gelegenheit, den beliebten Ottokar zu sehen. Wochenlang bleibt sein Leichnam bei den Minoriten zur Verabschiedung aufgebahrt. In den dumpf gewölbten Hallen mischt sich unter geflüsterte Gebete für den Gefallenen auch Murren. Von den neuen Herren erwartet man an der Donau nichts Gutes. Lauter Schwaben werden sie mitbringen. Ausländer also.
Das kann ja heiter werden.