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MEHR ALS EIN FAMILIENNAME

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Seinerzeit, als noch Herzogshüte, Königs- und Kaiserkronen über Mitteleuropa hingen, da verstand man unter Österreich in aller Welt zunächst einmal einen Familiennamen. Denn »das Österreich«, das in der Dichtung des deutschen Schriftstellers Ernst Moritz Arndt etwas süffisant als »an Ehren und an Siegen reich« besungen wird, meinte seit dem Spätmittelalter die Habsburger, die »Domus Austriae« oder »Casa de Austria«, das Haus Österreich. Schon 1282 nannte sich der Landesfürst von Österreich und Steiermark, Albrecht I., nach dem ranghöheren Herzogtum »Albrecht von Österreich« – aber davon später mehr.

Kurioserweise wurden die Habsburger von den Geschichtsschreibern erst ab Mitte des 15. Jahrhunderts – und das nicht frei von Spott – als solche bezeichnet, als der namensgebende Stammsitz, die »Habichtsburg« oder eben »Habsburg« im Aargau, bereits an die Schweizer Eidgenossen verloren gegangen war (1415). Sogar die Exponenten der spanischen Linie wurden in der frühen Neuzeit allgemein als »von Österreich« und nicht als »von Habsburg« tituliert – man denke an den Sieger der Seeschlacht von Lepanto, Don Juan de Austria, oder an die Frau des französischen Königs Ludwig XIII. und Mutter des »Sonnenkönigs«, Anna von Österreich. Ja genau, das ist die Königin, deren Romanversion in Alexandre Dumas’ Die drei Musketiere eine Affäre mit dem Herzog von Buckingham hat und der die Musketiere gegen die Intrigen Kardinal Richelieus helfen müssen, und … aber das können Sie ja bei Dumas selbst nachlesen.

Wie lange die Gleichsetzung von Österreich mit Habsburg andauerte, mag man daran ermessen, dass sich der Kaiserstaat erst 1915, also kurz vor dem Ende, dazu durchringen konnte, den im Volksmund immer schon »Österreich« genannten Teil der Monarchie, der so amtlich wie sperrig »die im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder« hieß, auch offiziell in »österreichische Länder« umzutaufen, womit der Produktname vom Herrscherhaus wieder auf das Land überzugehen schien.

Wenn sie überhaupt – was zu bezweifeln ist – beabsichtigt gewesen sein sollte, so war es eine sehr begrenzte emotionale Emanzipation des Österreichbegriffs von der Familie Habsburg. Der letzte Ministerpräsident, und als solcher quasi Liquidator des Reichs, der pazifistisch gesinnte Völkerrechtsprofessor Heinrich Lammasch, dachte 1918 daran, unter Rückgriff auf das antike Noricum den Reststaat »Norische Republik« zu benennen. Mit dem Fall der Dynastie war für viele ein Staat namens Österreich nicht mehr vorstellbar. Oder, um es kurz und knapp mit dem patriotischen Senior-Protagonisten von Joseph Roths Jahrhundertroman Radetzkymarsch zu sagen: »Mit großer Anstrengung brachte Herr von Trotta noch die Frage zustande: ›Ich verstehe nicht! Wie sollte die Monarchie nicht mehr dasein?‹«


Streng genommen war das mit der konsequenten Bindung Österreichs an Habsburg und an den Kaiser aber schon damals nur die halbe Wahrheit, denn ursprünglich gab es ein noch viel eigentlicheres Österreich, was bis ins 20. Jahrhundert hinein noch jedem heimischen Schulkind bekannt war: ein kleines Gebiet rund um Neuhofen an der Ybbs, in einer Urkunde von 996 als »Ostarrichi« bezeichnet, das im Lauf von mehr als 900 Jahren so mancher Gegend in Europa seinen Namen lieh – mehr oder weniger lang und von deren Bewohnern mal mehr und mal weniger freudig angenommen –, von Belgrad bis nach Flandern, von Dalmatien bis Podwolotschyska und von schwäbischen Flecken bis hinunter in die Karpaten, hinauf nach Schlesien und hinüber in die Bukowina. Diese Erweiterungen gingen natürlich nicht von den Einwohnern vom Neuhofen des Jahres 996 aus, die etwa beschlossen hätten, ihren Einflussbereich zu vergrößern, sondern es lief ganz anders.

Wie ein heißes Eisen wurde Österreich von vielen Schmieden immer neu zurechtgehämmert und ummodelliert – ein Objekt staatsmännischer und herrscherlicher Handwerkskunst. »Es gibt kein historisch-politisches Gebilde in Europa, das so sehr außengesteuert ist wie Österreich«, meinte im 20. Jahrhundert der linkskatholische Historiker Friedrich Heer und widersprach damit jenen konservativen Betrachtern der Geschichte, die vor allem an ein dominantes intrinsisches, also aus sich selbst kommendes österreichisches Sendungsbewusstsein glaubten, das erst ein großes Reich möglich gemacht hatte. Vielleicht stimmt aber auch beides, nur nicht zu allen Zeiten und in allen Ländern, die jeweils in das »Österreich« miteinbezogen wurden.


Um es noch verwirrender zu machen, bezeichneten die Alten schon das ostfränkische Reich Ludwigs des Deutschen, eines Enkels Karls des Großen, im 9. Jahrhundert als »Ostarrichi«. Dieses karolingische Ostreich, die Vorform Deutschlands, reichte von Schleswig-Holstein bis Bayern und war riesig im Vergleich zu dem Fleckchen Erde um Neuhofen.

Unser kleines Ostarrichi geriet bald in den Einflussbereich der Bayern (manche schreiben die alten Bayern auch »Baiern«, aber das irritiert hier nur, finde ich …), wovon wir später noch hören werden, hatte aber zunächst keinen festen bayerischen Namen. Vielleicht weil es schon bald von den Awaren und den Slawen eingenommen wurde? Der östliche Ankick zur Westverschiebung hatte übrigens schon früher bewirkt, dass drüben, ganz im Westen, die Angeln und die Sachsen um das Jahr 440 vom Festland übers Wasser ins bis dahin keltische Britannien übersetzten, womit wir schon mit Biegen und Brechen den ersten Bezug der österreichischen zur englischen Geschichte hergestellt haben! Hätte ich das 1984 meinen Engländern erzählt, die wären vor Verblüffung glatt vom Gartenstühlchen gefallen …

Der nachmals durch den Gebrauch der Nationalsozialisten im 20. Jahrhundert vergiftete Begriff »Ostmark« tauchte um 1074 auf, als unser Beobachtungsraum schon längst wieder in bayerisches Fahrwasser gekommen war. Eine Mark, das war nichts anderes als ein Gebiet an der Außengrenze des Deutschen Reiches, und neben der Mark Österreich sind dann später auch aus der Mark Brandenburg mit Preußen und der Mark Meißen mit Sachsen große Staaten geworden.

Mehr oder weniger vorbei mit der Ostmark war’s 1156, als Österreich ein eigenes Herzogtum wurde und sein Name sich verfestigt hatte. Seine damaligen Herrscher, die Babenberger, wollten feine Herren sein und ihr Land für die Gebildeten der Zeit erkennbar machen, die vor allem Latein lasen. Also musste ein altrömisch klingender Landesname her. Ab Mitte des 12. Jahrhunderts ließen die Babenberger ihre Gelehrten und Schreiber den lateinischen Begriff »Austria« verwenden. Sprachzutaten waren das fränkische Wort für Ostland »Austrasia« und der althochdeutsche Stamm »Ostar«. Noch dazu hatte seinerzeit auch Mainfranken, aus dem die Babenberger (der Name kommt vom Ort Bamberg) nach ihrer eigenen Überlieferung angeblich herstammten, Austria geheißen. Welch schöne Parallele!

Lange konnten sie das alles nicht genießen, denn die Habsburger standen schon in der Warteschlange, überdribbelten spektakulär das Zwischenspiel des Böhmenkönigs Ottokar und übernahmen 1282 Herzogtum und Name.

Fortan wanderte das Signet Österreich über die Landkarten und wurde durch den portugiesisch-spanischen Seefahrer und Entdecker Pedro Fernández de Quirós 1606 sogar der Hebriden-Insel Espiritu Santo verliehen, die er für den bis dahin noch unentdeckten fünften Kontinent hielt und der er die Bezeichnung »Austrialia« gab. Erst die Engländer tilgten mit der Streichung des mittleren »i« dann den Habsburg-Bezug und erschufen für den tatsächlichen Südkontinent die Marke »Australia«. Also besitzt das Land der Kängurus, das so oft mit der Alpenrepublik verwechselt wird, tatsächlich eine historische Tangente zu Österreich.

Derweilen gerieten im guten alten Europa immer mehr Länder unter die Oberhoheit des Hauses Österreich – eine höchst vielfältige Sammlung, mit illustren Völkern in ihrer Streubüchse.

Ende 1918 hießen dann gleich drei Gebilde Österreich, die einander überlappten:

■ das Erzherzogtum unter und ob der Enns (die heutigen Nieder- und Oberösterreich),

■ der österreichische Reichsteil, auch Cisleithanien genannt,

■ und das große ganze Österreich-Ungarn – die viel verklärte, verzerrte, verkitschte Donaumonarchie, die doch nur ein Intermezzo in der Geschichte dieses Patchworks war.


Die Österreich-Story ist also nicht nur eine Ländergeschichte, sondern auch eine Familienserie mit vielen Staffeln und Folgen. Und ihr langlebigster Darsteller ist – erraten – jene reale Persönlichkeit, die das Bild Alt-Österreichs schlechthin geprägt hat: Kaiser Franz Joseph I.

Von 1848 bis 1916 hat er Österreich 68 Jahre durchgehend regiert – länger hat das die Zweite Republik nur unter Verbrauch einiger gewählter Staatsoberhäupter geschafft. Anlass genug, um 100 Jahre nach dem Tod des stilprägenden Monarchen nachzuzeichnen, woraus sich sein Reich einst historisch entwickelt hat.

Dieses Unterfangen sei jenen Österreichern gewidmet, die so wie ich seinerzeit als kleiner Tourist im Ausland feststellen müssen: »Na geh! Die anderen, also 7,2 Milliarden Menschen minus 8,49 Millionen Österreicher, kennen uns ja gar nicht …« Und wir selbst – seien wir ehrlich – finden uns in diesem komplizierten Heimatroman auch nicht immer zurecht.

Lasst uns das ändern und gleich mit dem prominenten Protagonisten beginnen. Franz Joseph wollen wir vor allen anderen kennenlernen, seine prägende Ära entgegen dem Uhrzeigersinn der Geschichte vorziehen, weil sie bis heute so präsent nachwirkt. Hernach gilt es herauszufinden, wie die Ländermasse zustande gekommen ist, die er geerbt hat.

Franz Josephs Land

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