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DIE SACHE MIT DEM CHRISTENTUM

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Neben anderen orientalischen Religionen wie etwa dem Mithras-Kult war auch das Christentum in Pannonien und Noricum angekommen, und hatte nach dem Aufstieg zur römischen Staatsreligion im 4. Jahrhundert einen Boom erlebt.

Christliche Bischöfe saßen bereits in wichtigen Städten und organisierten ihre Einflussgebiete in sogenannten Diözesen. Den Provinzen übergeordnete Verwaltungseinheiten dieses Namens gab es als zivile Einrichtungen auch im Römischen Reich, eine Art Netz europäischer Regionen. Zur weltlichen Diözese Pannonia etwa gehörten um 400 sowohl Pannonien als auch Noricum.

Schon anhand der Wahl des Begriffs Diözese für ihre Kirche sieht man, dass sich die Bischöfe ebenso als Herren und als Verwalter empfanden, wie ihre weltlichen Kollegen, die Vicarii.

Als sich die römische zentrale Zivilverwaltung der Diözesen und Provinzen nach und nach auflöste, blieben vielleicht nur mehr die örtlichen Bürgerinitiativen oder, wenn man so will, Selbsthilfegruppen übrig … und da und dort ein Nachhall, eine Erinnerung an die Autorität der Bischöfe.

Militärische Macht hatten sie kaum anzubieten gehabt, besaßen aber etwas viel Wertvolleres: eine faszinierende Ideologie. Funktionierende Politik setzt in Europa so wie anderswo auch Vertrauen in politische Einrichtungen und ihre Führer voraus. Das Christentum aber hatte noch mehr in seiner Schatzkiste, es schürte den Glauben an ein besseres Leben im Jenseits, und das erforderte Opfer in der diesseitigen Welt. Das größte brachten jene, die in den Christenverfolgungen wegen ihres Glaubens getötet wurden, wie der heilige Florian von Lorch, der erste Märtyrer Noricums, der 304 in Lauriacum mit einem Stein um den Hals in der Enns versenkt wurde. Alle anderen Getauften sollten im Geist solcher Vorbilder die Regeln erfüllen, die – und das war das Wichtige daran – über alle Stämme und Völker hinweg gelten konnten und sollten. Ideal für eine Mischbevölkerung, von der Armee verlassen und bedroht von äußeren Invasoren! Gesellschaften, die das Opfer fordern, sind im Kampf denen, die menschliche Individualität im Diesseits betonen, notorisch überlegen. Wem die Heiligkeit winkt, der kämpft verwegener, wie uns im 21. Jahrhundert die Erfahrungen mit den Heiligen Kriegern des Islam lehren.


Um das Gesellschaftsgefüge in unsicherer Zeit zu festigen, setzte eine Werbeaktion, eine Missionierungswelle ein. Wichtigster Apostel Noricums war dabei der geheimnisvolle Herr Severin, von dem wir annehmen, dass er ein römischer Aristokrat war. Die Romanen sind immerhin die ersten Christen in der Gegend gewesen. Vor allem für sie, aber nach und nach auch für einige Kelten und Germanen, wurde Severin zur Autorität inmitten des politischen Umbruchs. Er organisierte alles von der Beschaffung von Lebensmitteln und Kleidern bis zum Gefangenenaustausch zwischen Kriegsparteien in Ober- und Niederösterreich. Sein Missionshandwerk dürfte er im Osten des Römischen Reichs bei Einsiedlern in der Wüste gelernt haben, und die erklärten laut dem irischen Historiker und Biografen des heiligen Augustinus, Peter Brown, ihrer Klientel im Nahen Osten das christliche Ordnungsprinzip mithilfe der Heiligen Dreifaltigkeit.

Die Spätantike kannte drei vorchristliche Idealtypen. Da waren der Patronus, der Herrscher oder sein Stellvertreter bis hinab zum Gutsherren; der Gladiator, also der Kämpfer bis zum Tod; und der Sanctus, der weise Heilige, der meistens außerhalb des Dorfes im Wald oder in der Wüste lebte und aus seiner Entrückung nur hereingeholt wurde, wenn die Menschen Ratschläge brauchten, wenn es Streitigkeiten zu schlichten gab und es galt, einen Sündenbock oder eine Sau durchs Dorf zu treiben.


Fortan waren eben Patronus durch Gottvater, Gladiator durch Christus und Sanctus durch den Heiligen Geist repräsentiert. Ein für die frisch getauften Christen der Zeit leicht fassliches und taugliches Trio, an das sie gerne glaubten, da sie solche Bilder ohnehin schon kannten. Das galt auch für die christliche Version des Arianismus, die besonders unter Germanen populär war und Jesus vor allem als Mensch und nicht als Gott betrachtete. Dieses System bildete die Heilige Dreifaltigkeit auf der Erde ab und überdauerte den Untergang der antiken Welt.

Im Mittelalter wurden aus dem Patronus der Fürst und der Bischof, aus dem Gladiator der aufopfernde Ritter und Soldat, und aus dem Sanctus der Mönch, der moderne, intellektuelle Superheld mit Durchblick und Wissen.

Die neuere Zeit brachte dann schließlich die Teilung des Patronus in weltliche und geistliche Macht, den für alles Mögliche streitenden Gladiator, der für Gott, Herrscher und Vaterland, eine gerechte oder auch nur die Sache einer Streitpartei in die Schlacht zog, und den gar nicht mehr unbedingt so heiligen Sanctus, der aus der Mönchsklause heraustrat und vom Schreiber über den Alchemisten, den Wissenschaftler bis zum tätigen oder auch nur schwatzhaften Intellektuellen den Berater abgab und noch gibt. Bei dieser Dreifaltigkeit ist es lange geblieben. Sie hatte mit Kirchenglauben nicht mehr viel zu tun, machte aber die Politik.

Vor 1600 Jahren, ab dem späten 4. Jahrhundert, der Zeit der sogenannten Völkerwanderung, war die Religion im unübersichtlichen Mitteleuropa eine Frage des Überlebens. Religiöses Bekenntnis und Wohlverhalten waren ein Gebot der Political Correctness. Wer sich gegen sie verging, verriet die Gemeinschaft und wurde als Bedrohung für die Existenz aller empfunden. Nicht Gut und Schlecht bildeten die beiden Pole solchen Lebensentwurfs, sondern Richtig oder Falsch. Ein letzter Nachhall dieser Zweiheit klingt noch in den alten Volksmärchen nach, in denen das Brutale richtig und das Duldsame falsch sein kann.


Das unter anderem ist eine Wurzel der gottgewollten Gesellschaftsordnung und der Sendung von Gottes Gnaden künftiger Herrscher, die uns in den nächsten eineinhalbtausend Jahren beschäftigen wird. Zunächst ist sie das Fundament des Mittelalters und macht die unerhörte Tragweite von Phänomenen wie Ketzerei, Zauberei, Hexerei und Andersgläubigkeit klar. Erst als sie den Prinzipien eines neuen Humanismus und danach der Aufklärung weicht, wird der Weg in die Neuzeit frei.

So weit sind wir allerdings in unsrer Zeitreise noch lange nicht fortgeschritten, und kritische Zungen meinen, wir seien bis heute nicht vollends angekommen.

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