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ROME, SWEET ROME

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Machen wir’s kurz! Als nun die Germanen auch die keltischen Boier aus Böhmen vertrieben haben und der norische König Voccio dem mächtigen Germanenführer Ariovist ganz diplomatisch seine Schwester zur Frau gegeben hat, macht Julius Caesar 58 vor Christus mit der Schlacht im Elsass der germanischen Südwest-Tournee ein vorläufiges Ende. König Voccio nützt die Gunst der Stunde, fügt seinem Königreich alles hinzu, was noch südlich der Donau liegt, und nimmt sich im Osten einen Landzipfel der Pannonischen Tiefebene – heute nennt man dieses Gebiet Wien und Umgebung.

Jetzt haben die Noriker entlang der Donau die Kontrolle über einen Abschnitt der Bernsteinstraße, einer der wichtigsten Handelsrouten der Zeit. Aber wie das halt so ist mit den Römern – reicht man ihnen den kleinen Finger, so kassieren sie gleich die ganze Hand! Verdattert nehmen die Noriker zur Kenntnis, dass Caesars Nachfolger Kaiser Octavian, genannt Augustus, in einem Kraftakt die Grenzen des Imperiums bis zur Elbe vorschieben will und das Königreich Noricum als Hinterland dafür benötigt.

Nachdem schon das Tirolische und das Vorarlbergische in der römischen Provinz Rätien aufgegangen sind und die Römer das norische Gebiet östlich des Wienerwaldes ihrer Nordostprovinz Pannonien zuschlagen, okkupieren sie im Jahr 15 vor Christus das ganze keltische Königreich Noricum mit seiner Hauptstadt am Magdalensberg. Gewehrt haben sich die Noriker dagegen wohlweislich nicht, denn zum einen hat sich ihre Elite schon längst mit südlichen Importwaren versorgt (Stadtarchäologen haben solche Luxusgüter erst jüngst in Wien zutage gefördert) und ihren Lebensstil dem römischen angepasst, und außerdem hatte das Königreich schon ein Jahr zuvor von den Römern eins auf die Mütze bekommen, da es einen Keltenaufstand in Istrien unterstützte. So gibt es also keine Eroberungsschlacht, aber die Römer füllen Noricum bis unters Dach mit Militär, und das bleibt auch so, als sie sich nach ihrer vernichtenden Niederlage gegen die Germanen im Teutoburger Wald zur Donau zurückziehen und sich dort festkrallen. Um das Jahr 50 nach Christus finden wir Noricum als römische Provinz und als Teil des Limes vor, des Grenzwalls, der quer durch Europa verläuft. Römischer Sitte folgend dürfen die Kelten neben den importierten römischen und orientalischen auch ihre eigenen Götter behalten – es sind vor allem weibliche Gottheiten, deren einige möglicherweise noch heute in so mancher alten Sage in veränderter Form als verwunschene Wesen in Wäldern und an Quellen herumgeistern …


Viel wichtiger ist den Römern die Befestigung des Limes, und sie gründen, ob mit oder ohne keltische Vorgänger, Legionslager, Kastelle und Zivilstädte entlang des rechten Donauufers – von Castra Batava (Passau) und Juvavum (Salzburg) über Lentia (Linz) bis Vindobona (Wien) und bis zur pannonischen Metropole Carnuntum (Petronell). Verbunden wird das alles mit Römerstraßen, deren Verläufe die Verkehrsplaner bis heute nicht gänzlich ignorieren, und es ist fein zu wissen, dass nicht erst Adolf Hitler, sondern bereits die Römer im Prinzip die Idee zur Westautobahn hatten.

Kaiser Probus (der so um 280 nach Christus herrschte) gilt rotnasigen Weingenießern als Schutzpatron des österreichischen Weinbaus entlang der Donau und im Burgenland, dabei hat er doch nur die schon lange bestehende kelto-romanische Weinkultur veredelt und in die Verantwortung der Einheimischen gelegt. Was Wunder? Die alkoholischen Tagesrationen der immer zahlreicher werdenden Legionäre konnten längst nicht mehr aus Italien importiert werden.

Mit der römischen Zivilisation kamen auch Brot und Spiele. Erst im 21. Jahrhundert entdeckten Archäologen in der Metropole Carnuntum unter der Erde eine Sensation. Gladiatoren sind die allen Konsumenten bluttriefender Kino- und TV-Schinken wohlbekannten Schaukämpfer der römischen Antike, Sklaven, die bis zum Tod kämpften und zum Teil echte Stars ihrer Zeit waren. Im mittlerweile zum Archäologischen Park gewordenen Carnuntum erspähten Archäologen eines Ludwig-Boltzmann-Instituts 2011 mit Bodenradargeräten eine Gladiatorenschule, deren Fundamente unter der Erde so gut erhalten sind wie kaum eine vergleichbare Einrichtung der Antike.


Das Besondere am Fund von Carnuntum ist, dass er den ersten vollständig erhaltenen Grundriss einer römischen Gladiatorenschule außerhalb Roms markiert. Und es war ein feudaler Bau – vom üppigen Portal über Abwasserkanäle bis zur Fußbodenheizung einer antiken Hauptstadt von 50 000 Einwohnern wohl würdig. 40 bis 60 Gladiatoren lebten und trainierten hier auf 11 000 Quadratmetern ihr brutales Gewerbe, ein Riesending mit eigenem Mini-Amphitheater und Gehege für die wilden Tiere.

Das große Amphitheater aus dem 2. Jahrhundert kannte man schon lange. Es war immerhin das viertgrößte des Römischen Reiches. Die Gladiatorenschule hingegen ist laut Befunden der Experten sogar in manchen Details interessanter als vergleichbare Funde in Rom selbst.

Von der Kampfarena abgesehen herrschte im 1. Jahrhundert nach Christus in Noricum weitgehend Frieden – eine trügerische Ruhe, denn da waren ja noch die Germanen nördlich der Donau. Man darf sie sich nicht als wilde Barbaren vorstellen, als die sie mancherseits so gerne verzeichnet werden. Einige von ihnen pflegten regen Kontakt mit der römischen Welt, und ihre alles andere als einigen Stämme waren ihrerseits immer wieder auf dem Kriegspfad und auch auf der Flucht vor anderen vazierenden Völkern Ostmitteleuropas. Wenn sie sich allerdings zusammenschlossen und gegen Dritte verbündeten, machten sie gewaltigen Druck.

Schluss mit der Pax Romana! Die Germanenstämme der Markomannen, Quaden und Sarmaten dringen in Pannonien ein und im Süden bis an die Adria und die Tore von Aquileia vor. Der große stoische Philosoph und nebenbei auch römische Kaiser Mark Aurel drängt sie zurück und stirbt überraschend 180 in Vindobona, was das Legionslager erstmals berühmt macht. Von Westen dringen in den folgenden Jahrzehnten andere Germanen, die Alemannen, gegen den Bodensee vor. Im mittlerweile in vier kleinere Provinzen eingeteilten Noricum und in Pannonien versuchen die Amerikan… äääh die Römer das, was sie so gut können, nämlich die eingesickerten Germanen mit ihrer Kultur und Lebensart zu infizieren und zu Bundesgenossen zu machen. Das gelingt zum Teil, eröffnet den Neuen aber auch Karrierechancen. Bald sind im Römischen Heer mehr Germanen als Italiener unter Waffen! Die romanische oder romanisierte Bevölkerung in den norischen und pannonischen Provinzen fühlt sich kulturell und militärisch im Stich gelassen. Die Metropole Carnuntum (dem Aqincum, das spätere Budapest, als zweite pannonische Hauptstadt zur Seite gestellt worden ist) verwahrlost zusehends, wird nach 390 weitgehend zerstört, und 433 evakuieren die Römer Pannonien, weil ein Verband kampfeslustiger Reiterstämme aus dem Osten herangerückt ist, dem auch die germanischen Hilfstruppen nicht gewachsen sind: die Hunnen, die man wohl oder übel über die Reichsgrenzen hereinlassen muss. Nach deren König Attilas Tod 20 Jahre später übernehmen die germanischen Goten das Gebiet, und weiter nördlich tauchen andere Germanen, die Rugier, auf. Einigermaßen eilig rücken die römischen Truppen nun auch aus Noricum ab.


488 – längst sitzt in Rom statt dem Kaiser ein Germane namens Odoaker als »König von Italien« – ziehen die letzten römischen Legionäre nach Süden und überlassen die verbliebenen Einheimischen, eine Mischung aus Nachfahren der Kelten, aus Römern und Germanen, ihrem Schicksal. Die haben in den letzten Jahrzehnten ohnehin schon zur Selbsthilfe gegriffen und sich in lokalen Einheiten organisiert.

Hier sind wir an einem wichtigen Punkt angelangt. Er erweist, wie sich römisch geprägte Zivilisation in den von der Schutzmacht verlassenen Gebieten über die folgenden Jahrhunderte hinüberretten konnte.


Als wichtige Reliquie nehmen die abrückenden römischen Truppen des Jahres 488 die sterblichen Überreste eines sechs Jahre zuvor verschiedenen Mannes mit, die sie in der Nähe von Neapel beisetzen wollen: Severin von Noricum, genannt der heilige Severin.

Franz Josephs Land

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