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3.2.1 Beschreibung (Deskription)
ОглавлениеZiel deskriptiver Arbeiten ist es, einen bestimmten Zustand oder Prozess zu beschreiben:
• Wie lässt sich die derzeitige Lage der Dinge konkret beschreiben?
• Was ist der Fall?
• Wie sieht „die Realität“ aus?
• Sieht „die Realität“ wirklich so aus?
Auf den ersten Blick erscheint diese Aufgabe zwar relativ anspruchslos und damit einfach und trivial; tatsächlich aber verlangt der deskriptive Ansatz weit mehr als nur das (sinnlose) Aufzählen im Stile von „es gibt …, es gibt …, es gibt …“. Deskription ist u. a. dann sehr bedeutsam, wenn ein in der Realität beobachtbares Phänomen
• relativ neu ist oder
• bislang nur wenig Aufmerksamkeit in der Forschung gefunden hat.
Denn in diesen Fällen ist der Bedarf an einer möglichst genauen Dokumentation besonders groß.
Abb. 9: Arten von Forschungsfragen in wissenschaftlichen Arbeiten
Beispiel
Zu Beginn der Siebzigerjahre beschäftigten sich verschiedene Forscher intensiv damit, ob die im Zuge der Internationalisierung zu beobachtenden Erscheinungsformen des Markteintritts (z.B. Export, Lizenzvergabe, eigene Produktion im Ausland) einem vorhersagbaren Muster folgen (vgl. hierzu Müller/Kornmeier 2002, S. 230 f.). Wie andere Disziplinen (z.B. Strategische Unternehmensführung) wollte auch die Internationalisierungsforschung anfangs die relevanten Phänomene
• definieren (z.B. Internationalisierungsgrad),
• beschreiben (z.B. Motive der Internationalisierung),
• klassifizieren (z.B. Markteintrittsstrategien).
Dabei wurden zunächst die konkreten Erscheinungsformen des Erkenntnisobjekts (hier = Erschließung ausländischer Märkte) systematisch erfasst. Sodann versuchte man, die zwischen diesen bestehenden Beziehungen (im Sinne einer inneren Ordnung) aufzudecken und modellhaft abzubilden, häufig in Form von Phasenmodellen. Erst in den Achtzigerjahren, als der Ruf nach einer Theorie der internationalen Unternehmung (bzw. Unternehmenstätigkeit) immer lauter wurde, löste man sich langsam von der (deskriptiven) „Jäger-und-Sammler-Phase“, zunächst im anglo-amerikanischen, später auch im deutschsprachigen Raum. Viele Wissenschaftler begannen nun, die im Zuge der Internationalisierung der Geschäftstätigkeit auftretenden Phänomene zu erklären, zu prognostizieren und Gestaltungsempfehlungen abzuleiten.
Der deskriptive Ansatz kann auch dann angezeigt sein, wenn man prüfen will, ob die vorherrschende Meinung tatsächlich der Realität entspricht oder aber bspw. interessengeleitet – und damit verzerrt – ist. Denn aus der Tatsache, dass sich zahlreiche Wissenschaftler mit einem bestimmten Phänomen auseinandersetz(t)en, kann man keineswegs folgern, dass dieses bereits gut erklärt ist.
Beispiel
Lange Zeit ging man davon aus, dass Kundenzufriedenheit die Basis für den Unternehmenserfolg bildet, weil sie Kundenbindung, Kundentreue bzw. positive Mundpropaganda nach sich zieht. Unzufriedenheit hingegen verursache beim betroffenen Unternehmen häufig Kosten (z.B. Aufwendungen für die Befriedigung von Regressansprüchen; Opportunitätskosten infolge von Abwanderung, negativer Mundpropaganda und Beschwerden). Tatsächlich aber ist der Zusammenhang weit weniger eindeutig als man i. d. R. meint (vgl. Schneider/Kornmeier 2006, S. 38).
Wer einen Sachverhalt umfassend beschreiben will, muss empirische Studien suchen, lesen und auswerten. Der große Stellenwert der Deskription sei im Folgenden beispielhaft dargelegt.
Winter (2005, S. 63 f.) analysierte den Zusammenhang zwischen Mitarbeiterverhalten („Commitment“, Zufriedenheit) und Kundenverhalten (Zufriedenheit, Kundenbindung, Beschwerden) und trug deshalb die einschlägigen empirischen Studien zusammen. Dabei zeigte sich (vgl. Abb. 10), dass die jeweiligen Forscher
• ihre Studien in verschiedenen Jahren und auch in verschiedenen Disziplinen durchführten (z.B. Psychologie, Personal / Organisation, Marketing, Rechnungswesen),
• Unternehmen verschiedener Branchen betrachteten,
• eine unterschiedlich große Anzahl an Probanden (hier = Mitarbeiter, Kunden) befragten,
• unterschiedlich viele Schnittstellen (z.B. Kontaktpunkte zwischen Unternehmen und Kunden) analysierten,
• verschiedene Ebenen untersuchten (z.B. Individualebene, Abteilung),
• den Zusammenhang mit verschiedenen Methoden analysierten
(z.B. Korrelations-, Regressionsanalyse),
• die zentralen Begriffe in den einzelnen Studien teilweise unterschiedlich definierten und operationalisierten.
Abb. 10: Synopse empirischer Studien zum Zusammenhang zwischen dem Verhalten von Mitarbeitern und Kunden (Auszug)
Quelle: Winter (2005, S. 63 f.); modifiziert.
Mit anderen Worten: Die Studien zum Verhalten von Mitarbeitern und Kunden sind viel zu heterogen, als dass man sie bzw. ihre Ergebnisse in einen Topf werfen könnte. Wer auf Basis der Befunde den Stand der Forschung dokumentieren (= beschreiben) und damit den Zusammenhang zwischen den fraglichen Größen (hier = Kundenund Mitarbeiterzufriedenheit) konkretisieren will, muss folglich
• alle verfügbaren Analysen genau kennen,
• die verschiedenen Methoden zur Erfassung des Zusammenhangs zwischen den Größen berücksichtigen,
• auf Basis dieser Studien ein Gesamtbild entwerfen.
Erst indem Winter (2005, S. 77) alle relevanten Studien auswertete, offenbarte sich der überaus bedeutsame Befund: Der Zusammenhang zwischen Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit ist keineswegs so eindeutig wie man glaubte.
Für eine Beschreibung (hier = Beziehung zwischen Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit) genügt es demnach nicht, lediglich eine – womöglich die zuletzt erschienene – Studie heranzuziehen oder selektiv Ergebnisse darzustellen. Vielmehr müssen Sie
• die Qualität der verschiedenen Befunde sowie die jeweils angewandten Methoden berücksichtigen und
• die vielfältigen Resultate vergleichen und kommentieren.
Wer nun seinen Blick nochmals über die ersten Absätze dieses Abschnitts schweifen lässt, wird auf den Hinweis stoßen, dass die Deskription im Allgemeinen weniger wichtig ist als etwa die Explikation. Wie Sie jedoch gesehen haben, bedeutet dies nicht, dass das Beschreiben von Phänomenen irrelevant sei. Im Gegenteil! Die Deskription ist – bspw. bei Studien mit heterogenem Untersuchungsdesign – sehr bedeutsam und überdies äußerst anspruchsvoll. Ergo: Die häufig genannte Befürchtung „Wo bleibt bei der Beschreibung mein eigener Beitrag?“ ist auch bei einem simpel erscheinenden Forschungsansatz i. d. R. nicht gerechtfertigt.