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11. Platzkragen
ОглавлениеWir hatten beide wirklich gerade ein Problem miteinander gehabt. Sogar ein ziemlich großes, wenn auch nicht unlösbares. Ich wollte endlich einmal nach aktuellen Vorfällen die familiäre Barriere des Schweigens durchbrechen, hatte einfach genug von der vielen gespielten Freundlichkeit im gegenseitigen Umgang, die allerdings in keinem Zusammenhang mit dem stand, was hinterm Rücken passierte, und was ohne Anwesenheit derer, um die es ging, alles besprochen und in die Welt gesetzt wurde.
Nach dem „Aktenstudium“ im Spätherbst hatten mich verschiedenste Dinge gedanklich nicht mehr in Ruhe gelassen. Ständig ärgerte mich ihre Reaktion auf meinen geschilderten Plan und noch viel mehr, ihre zahlreichen Aktionen hinter meinem Rücken.
Geld ist nicht alles. Glaub ich gern. Wenn man damit auskommt. Kommt man aber nicht damit aus, wächst diese Tatsache zunehmend häufiger in Form von sorgenvollen Gedanken in den Vordergrund. Bestenfalls generiert man aus dem Mangel an finanziellem Auskommen Strategien und Wege, wie man eigene Fähigkeiten gewinnbringend anbietet. Die Idee war, Sabine und Lutz anzusprechen, die seit mehreren Jahren in Schleswig Holstein eine Jugendhilfeeinrichtung betreiben. Vor einigen Jahren habe ich deren Einrichtung in die Datenbank der Jugendhilfeeinrichtungen für die Stadt Bremen eintragen lassen und konnte so als Sachbearbeiter des Jugendamtes auch Jugendliche zu den beiden guten Freunden aus der Jugendzeit vermitteln, bei denen sich deren spezielle Einrichtung auf dem Land anbot.
Diese Tatsache galt als Voraussetzung für meine Idee:
Kindern in Bremen, die in der Schule massive soziale Probleme haben oder aber intensivere Unterstützung beim Lernen brauchen, werden zunehmend häufiger durch sogenannte Schulbegleitung unterstützt. Diese wird von Eltern beim Jugendamt beantragt. Ist der tatsächliche Bedarf geprüft und Einigkeit darüber, dass diese Maßnahme, wie es so blöd heißt, auch wirklich hilft und stabilisierend bei der Entwicklung wirkt, kann die Umsetzung der Hilfe an irgendeinen Träger vermittelt werden, der Mitarbeiter in der Region bereitstellt.
Es wäre also möglich gewesen, dass Nadia als Mitarbeiterin der Einrichtung von Sabine und Lutz hier in Bremen Schulbegleitung für Kinder anbieten könnte. So war der Plan. Ich hatte das mit Lutz einmal zusammenhangslos und unverbindlich am Telefon besprochen. Er wirkte nicht abgeneigt. Wie gesagt. Es war in erster Linie nur eine Idee, und alles hätte noch Zeit gebraucht für gemeinsame Planungen. Schließlich ist das eine anspruchsvolle soziale Arbeit, man hätte ein Konzept schreiben müssen, Werbung bei meinen bekannten Jugendamtskollegen im gesamten Stadtgebiet machen müssen und so weiter.
Meine liebe werte Mutter jedoch war zunächst völlig überrascht, als ich ihr davon erzählte. Nein, das könnten wir nicht machen, Sabine und Lutz hätten einen Namen zu verlieren. Und so etwas könne Nadia ja auch alles nicht. Und wenn was schiefginge, was sei dann mit der Einrichtung und dem Leumund der lieben beiden Busenfreunde von Harry?
Es ging noch ein wenig hin und her. Vielleicht darum, dass Nadia staatlich anerkannte Erzieherin und absolut in der Lage war, mit Kindern zu arbeiten, und dass ich seit über zwanzig Jahren in der Jugendhilfe tätig bin, wir beide wohl ganz genau wüssten, was wir da verfolgen, und dass wir sehr sicher in Bezug auf die Qualität der Arbeit und den Erfolg des Projektes waren. Ich brach das Gespräch dann ab, lenkte es wieder auf die Papiere, die wir ja gerade sortierten. In diesem Moment nahm ich an, dass ich dieses Thema vorerst nicht weiter verfolgen wollte. Dann ließ es mich aber doch nicht in Ruhe.
Zwei Wochen später telefonierte ich erneut mit Lutz. Dieser war nun unerwartet reserviert, erklärte, er habe kürzlich auch lange mit Thea darüber gesprochen, danach mit Sabine, und man sei daher vorerst zu der Entscheidung gekommen, in Bremen noch keine ambulanten Maßnahmen anbieten zu wollen.
Kürzlich lange mit Thea gesprochen? Ich glaubte es nicht. Hatte meine Mutter doch solange hinter meinem, unserem Rücken insistiert, schlecht über Nadia gesprochen, mit der sie ohnehin nie so richtig warm geworden war, und über mich geschludert, bis Sabine und Lutz sich von der Idee wieder verabschiedet haben.
Darüber werden wir noch sprechen, liebe Frau Mama. Es ist nicht dein Recht, dich so in mein Leben einzumischen und ohne Kenntnis der Lage schlecht über mich und Nadia zu sprechen. Noch viel weniger hast du das Recht, unsere Pläne zu vereiteln, indem du dich einmischst.
Lange ging ich damit schwanger. Jeden Tag habe ich daran denken müssen. Jeden Tag war ich wütend. Eine Woche lang.
Eine weitere Woche.
Dann rief ich sie an. Sie ging nicht ran. Ich versuchte es wieder, einige Zeit später erneut, immer mit Herzklopfen und zittrigen Händen. Bereit, jetzt ein Fass aufzumachen, eine schwierige Sache anzusprechen und vor allem einen gemeinsamen Besuch zu vereinbaren, an dem wir versuchen, Schwierigkeiten zu klären, Grenzen zu vereinbaren. Erfolglos. Sie war nicht da oder nicht bereit, zu reden. Meine Nummer wird sie sehen können.
Es ließ mich nicht los. Ich musste diese Gedanken aus meinem Kopf bekommen und schrieb los:
Den Brief, den inzwischen sogar Richter in ihren Akten durch die Gegend tragen…