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5. Zettelwirtschaft
ОглавлениеDie Maamaa am Telefon:
„Miiichi komm‘ doch maaal vorbei und kümmere dich um deine arme Mutter.“
„Klar, Mutz, was liegt an? Wann passt es dir? Ich könnte übermorgen, also Freitag.“
„Ach na gut. Muss ich eben noch zwei ganze Tage in diesem Chaos zurechtkommen. Ich brauche eine ganz bestimmte Rechnung und ich finde sie nicht. Und immer, wenn man Euch mal braucht…“, mein Bruder und ich werden in aller Regel in der Ihr und Euch Form angesprochen. Früher hatten wir auch immer beide Schuld. Oma sagte sogar zu mir gern Harry und zu Harry gern Michael. Zuletzt hießen wir beide HarryMichi,
„… dann kriegt man Euch nicht. Der eine in Brasilien und du hast immer keine Zeit.“
Eigentlich war ich der einzige der sich anbot.
„Mutz, ich besorge hier mal die notwendigsten Utensilien für eine korrekte Aktenablage und Freitag machen wir Klar-Schiff in deinem Zettelmeer.“
Das fand sie dann in Ordnung. Die Verabredung stand. Wenn ich mein eigenes Chaos ansehe, es mit der tadellosen Ordnung meines Fregattenvaters vergleiche, bleibt nur meine Mutter übrig, von der ich es haben kann. Bei ihr ist die Gefahr groß, dass ihr Zettelchaos ähnliche, wenn nicht sogar noch schlimmere Ausmaße hat, als mein eigenes.
Genauso war es, als ich sie am Freitag besuchte, bewaffnet mit Ordnern, Registern, Klarsichtfolien, Eddings, Heftern, Klammern und all dem Bürokram, den man so in deutschen Behörden nutzt.
Stundenlang ordneten wir Berge von Unterlagen. Versicherungspolicen, Arzneimittelrechnungen, Arztrechnungen, Hausnebenkosten, Wasser- und Stromabrechnungen, Kontoauszüge.
Drei große Ordner. Ein riesen Haufen Arbeit.
Die Gute war schon zittrig, leicht zickig und fix und fertig, nach einigen Stunden konzentrierten Sortierarbeiten. Ich stellte tausend Fragen nach endgültigen Bestimmungsordnern, wenn mir das nicht selbst schon eindeutig klar war.
Und plötzlich halte ich ein Blatt Papier in der Hand, auf dem steht: Sparkasse Varrel. Kontoauszug zugunsten meines Bruders Harald. Kontostand: 119.784,23 Euro. Ich zeigte Thea den Beleg. Darauf riss sie mir den Zettel aus der Hand mit den Worten. „Ich habe für euch vorgesorgt. Aber Einzelheiten musst du noch nicht wissen.“
Ziemlich schnell waren wir mit dem Rest fertig und ich wieder auf dem Heimweg. Sehr nachdenklich, aufgewühlt und verletzt. Dann hat sie eben gespart. Der ach so liebe, große Bruder kümmert sich und ich weiß von nichts.
„Eure Mutter hat für euch vorgesorgt!“ Ah ja, verstehe. Aber traut mir nicht über die Straße? Ein großes Geheimnis? Nicht gerade angenehm, als Erwachsener wieder zum kleinen Bruder degradiert zu werden.
Wie damals, als ich acht war oder neun. Ich habe den Scheiß Witz eben nicht verstanden. Es hat Tage gedauert, bis einer von beiden bereit war, mir den Sinn zu erklären.
Gehen zwei auf der Straße. Sagt der eine zum anderen, „Ey, lass mich auch mal in der Mitte gehen.“
Dann bogen sich meine Ma und Harry vor Lachen, weil ich selbst keinen blassen Schimmer davon hatte, was bitteschön daran witzig sein soll. Harry fand das natürlich besonders klasse, gab es ihm doch damals schon eine - meiner Meinung nach unverdiente – besondere Stellung.
Oder der hier. Ich, etwa vierzehn, vertraue meinem Bruder an, wie ungemein geschickt ich meine Batterie von zwanzig Schachteln Zigaretten im unteren Bereich meines Klaviers versteckt habe. Statt mir anerkennend auf die Schulter zu klopfen, zog er eine Augenbraue hoch, meinte „Geil“ oder sowas und verschwand. Wenige Stunden später erschien er gemeinsam mit meiner Mutter, die auch sehr interessiert war, wie geschickt ich meine Zigaretten versteckt hatte. Es gab ein Höllengewitter. Danke Harry. Rache ist süß. Du hast dich in der Folgezeit sicherlich immer wieder mal wieder gefragt, warum deine Herkules seit dem so viel Benzin verbrauchte. Ich weiß warum.
Jetzt, fünfunddreißig Jahre später erfahre ich davon, dass Theas Gespartes auf Haralds Konto liegt, oder was? Ein Sparbuch, das Harald heißt und meine Ma bekommt, quasi als Durchschlag, einen Kontoauszug? Und Harry wohnt in Ipanema und sein Konto ist in der Weltmetropole Varrel mit zwei Ampeln? Haben die in Ipanema keine Banken?
Was soll das alles bloß bedeuten? Warum blockt meine Mutter meine Fragen so ab? Und warum, verdammt, weiß ich von nichts? Kein Vertrauen?
Mutz, ob du willst oder nicht, wir werden darüber sprechen müssen, habe ich damals gedacht. Ich fühlte mich hintergangen und ausgegrenzt.