Читать книгу BruderLos - Martin Pfennigschmidt - Страница 14
12. Liebe Mutz, ich hätte da mal was zu besprechen…
ОглавлениеHallo Mutz,
Heiligabend habe ich dich nicht mehr erreicht, offenbar warst du schon weg zu Sven, Petra und den Kindern.
Sicherlich hast du auch bemerkt, dass ich recht frostig und ungewohnt wortkarg war am Telefon, als du mich im Dienst erreicht hast. Hier zuhause hast du zweimal ohne Erfolg angerufen, auch im Büro hast du offensichtlich versucht mich zu erreichen.
Ich wollte es eigentlich schon vor Weihnachten klären, fand jedoch nie die Zeit und Muße, dann bist du nicht ans Telefon gegangen. So also nun ein Brief mit meinen Gedanken, die ich dir fairerweise mitteilen will.
Seitdem wir uns das letze Mal gesehen haben, habe ich jeden Tag eine wahnsinnige Wut in mir, die ich mit diesem Brief beenden werde. Jeden Tag wache ich auf mit einem scheiß Gefühl, von dir nie richtig geliebt geworden zu sein. Alles an deinem Verhalten spricht die gleiche Aussage: Michael ist der Kummer und die Sorge, Michael ist nichts geworden und wird entsprechend behandelt.
Jetzt ist der Moment, diesen Brief zu zerreißen oder zu verbrennen. Mir ist es eigentlich egal. Mir reicht, dass ich es aufgeschrieben und damit aus meinem Kopf heraus habe.
Vielleicht willst du ja auch einmal was von mir wissen und liest weiter. Eine Chance…
Du hast im Auto schon so merkwürdig reagiert, als ich dir davon erzählte, für Lutz’ und Sabines Einrichtung ambulante Hilfen in Bremen anzubieten, die ich mir hier in der Stadt selbstständig auf den jeweiligen Jugendämtern besorge, Lutz und Sabine also:
A: … kein Risiko eingehen, weil ich hier seit etwa dreißig Jahren professionell mit Kindern und Jugendlichen arbeite.
B: … zusätzliche Einkünfte durch die Betreuungen hier in Bremen hätten, ich hätte nicht alles kassiert, auch die hätten davon etwas gehabt.
C: … hier in Bremen überhaupt durch mich erst einen Namen verdienen konnten. Schließlich habe ich dafür gesorgt, dass deren Einrichtung hier in den Verteiler der Jugendämter kommen konnte. Ohne mich hätte Lutz Matthäusz nicht aufnehmen können, weil er und seine Einrichtung hier in Bremen nicht bekannt waren.
Ich habe dir auch gesagt, dass mich deine Reaktion befremdet, worauf ich keine Antwort von dir bekam. Ich konnte und kann bis jetzt nicht verstehen, wie du so eine schlechte Meinung über mich und Nadia haben kannst.
Damit nicht genug. Ich hätte hier in Bremen bereits zwei Fälle übernehmen können, einen aus Hemelingen, einen aus Mitte, und allein im Dezember zusätzlich etwa 800,- € verdienen können. Daraus wurde jedoch nichts, weil du inzwischen bei Sabine und Lutz angerufen und derart schlecht über uns geredet hast, dass aus der Geschichte nichts geworden ist.
Ich danke also recht herzlich für den Verdienstausfall von 800,- €, der nur durch dein schlechtes Gerede entstanden ist.
Das ist aber noch nicht alles. Warum haben Vattern und du Harry davon abgeraten, mich zu unterstützen, als ich fast bankrott gewesen war? Was ist das denn? Eine liebende Familie mit gemeinsamer schöner Vergangenheit, die sich stützt? Ist es nicht. Wie soll ich mich von euch geachtet und geliebt fühlen? Wie? Bei derartig „netten“ Eltern, die hinter mir stehen? Und mich unterstützen?
Harry ist so edel, dass er nicht auf euch gehört hat. So edel!
Er ist der einzige, der mir so zurückgegeben hat, was ich damals für ihn getan habe. Ohne Nadia und mich hätte man ihn eingeliefert. Und nur weil ich meinen Urlaub habe platzen lassen und wir ihn aufgenommen haben, konnten Nadia und ich ihn davor bewahren. Der Arzt sagte zu uns, dass das eine ziemlich anstrengende Sache werden würde, Harry aufzunehmen und bedeuten kann, in den nächsten Wochen nur abwechselnd zu schlafen. Genauso war es dann auch. Ich habe es gern getan für Harry und würde es wieder tun.
Mutti, wie kannst du nur so schlecht über mich und Nadia reden. Ich gehöre zu der Familie, nicht Sabine und Lutz. Woher willst du überhaupt wissen, wie wir arbeiten oder wie wir gegenüber Kindern und Jugendlichen sind?
Du kennst Nadia nicht und du kennst auch mich nicht mehr. Du wolltest Nadia und Lennard nie richtig kennenlernen und hast dich all die Jahre nicht um Kontakt bemüht und es war deine Aufgabe. Eltern gehen auf Kinder zu, die Großen laden die Kleinen ein, die Großen machen den ersten Schritt. Du hast dich all die Jahre nicht interessiert, vielleicht weil ich Lennard nicht adoptiert und Nadia nicht geheiratet habe. Woher, glaubst du, soll ich Lust auf Heiraten entwickelt haben. Du hast mir dreimal vorgemacht, wie das in die Hose gehen kann. Und Vattern ist genau so weit weg und auch kein Vorbild für mich. Er hat genauso wenig Interesse. Zudem hat er uns auch noch enterbt, sich freigekauft, jedem von uns fünfzehntausend Mark überwiesen.
Uns drei hat er in seinem zweihundertseitigen Familienbuch als „Ausrutscher“ definiert. Schön, nicht?
War ich der „Ausrutscher“ innerhalb der Ehe? Hat es nicht geklappt, mich abzutreiben, habt ihr mich adoptiert oder was ist hier los? Faszinierend finde ich, dass du tatsächlich glaubst, ich bemerke all deine Ausflüchte nicht und glaube deinen fadenscheinigen Erklärungsversuchen und Halbwahrheiten?
Mutti, wie konntest du Lennard zu seiner Volljährigkeit so einen schmutzigen Brief schreiben, wie konntest du nur? Und der Brief war dem Wortlaut eher an meine Adresse zu verstehen. Du verhöhnst ihn mit diesem Brief und legst noch einen Fünfziger bei, damit die Pille besser rutscht. Meine Güte!
Wie konntest du nur bei deinen zahllosen Besuchen bei Sven und Petra so derart schlecht über Nadia und Lennard reden, dass die es sogar uns erzählten. Das ist schon Jahre her, aber ich kann es nicht vergessen.
Wie konntest du nur Harry am Telefon auf der anderen Seite der Welt solche Lügengeschichten auftischen, dass der aufgeregt hier anruft und mir erzählen soll, dass ich mich doch bei dir zu melden habe. Es war schließlich so, dass du mich um Hilfe gebeten hast. Ich habe daraufhin hier alle Termine umgeschmissen und bin so schnell gekommen, wie möglich, um dir zu helfen. Nur weil ich nicht sofort, sondern erst einen Tag später komme, machst du einen Alarm um die Welt? Für was habe ich dich eigentlich bei deinem Umzug so gestärkt, dich und deine Sorgen verstanden, dir Mut gemacht und dich unterstützt wo ich konnte? Für was? Dass du jetzt so über uns redest?
Harry hat in Brasilien sein Lager aufgeschlagen. Was glaubst du wohl warum? Weil er so besorgt ist um dich und sich so um dich kümmern will?
Wie kannst du erwarten, dass ich dich liebe, achte, dir zur Seite stehe, obwohl du mich sichtlich so abgrundtief hassen musst, wenn ich mir ansehe, wie schlecht du über mich, über uns redest und dich so verhältst, wie du es tust?
Wie soll ich denken, dass du mich magst, wenn ich nur gerufen werde, wenn es etwas zu helfen gibt. Komme ich nicht sofort deinen Forderungen nach, ist das Frevel und wird in die Welt herausgeschrien und allen gegenüber um dich herum aufs Übelste breitgetreten und ich von dir schlecht gemacht.
Ich kann dir irgendwie auch nichts mehr glauben. Du machst irgendwelche undurchsichtigen finanziellen Aktionen mit Harry, siehe Kontoauszug in deinen Akten, und als ich dich danach fragte, kamst du ganz schön ins Stottern. Du spielst kein klares Spiel, bist nicht transparent und wirkst unehrlich.
Auch damals in Brasilien hattest du eine Geldrolle von Hundertern und Zweihundertern dabei, die du vor mir verstecken wolltest, ich es aber doch gesehen habe. Was willst du mit zwanzigtausend Euro auf einem zehn tägigen Urlaub? Das wirkt so undurchsichtig auf mich. Harry ist eingeweiht, ich gehöre nicht dazu, weiß nichts.
Das was du mir damals in Jugendzeiten auf Schärfste vorgeworfen hast, war meine Unehrlichkeit. Wusstest du, dass Kinder zu 90 % aus Vorbildern lernen und nur zu 10 % im kommunikativen Kontext? Sicher nicht. Aber ich weiß es. Ich habe beruflich seit fast dreißig Jahren mit Eltern zu tun, die bei der Erziehung ihrer Kinder Probleme hatten. Auch du gehörst zu dieser Sorte Eltern, die mit ihren Kindern nicht fertig werden. Internat ist nur ein akademisches Wort für Heim.
Du hast mich ins Heim gesteckt, weil ich dir offenbar zu viel wurde, weil du mit den Schwierigkeiten, die ich gemacht habe, nicht klargekommen bist. Und mittlerweile weiß ich genau, warum Kinder Schwierigkeiten machen. Ich habe Erziehung und Pädagogik zu meiner beruflichen Profession gemacht und weiß inzwischen sehr viel darüber.
Soviel ist eigentlich nicht gut gelaufen, damals. Sie sieht nach außen vielleicht ganz gut aus, unsere Familie, weil du dir selbst, mir und anderen gegenüber alles beschönigst und bagatellisierst.
Ich habe im Laufe meines Lebens jedenfalls an einigen Zinken und Schwierigkeiten hart arbeiten müssen und einige vielleicht unangenehme Fragen an dich, die ich aus Rücksicht auf dich, aus Familiensinn und dem Wunsch nach Nähe bisher nicht gestellt habe, aber bereite dich darauf vor, dass ich sie dir stelle, wenn sich die Gelegenheit ergibt.
Mutz, tut mir leid – irgendwie auch nicht – dass ich gerade nicht freundlich zu dir sein kann. Ich bin aufs Heftigste enttäuscht, fühle mich verraten und es entbrennt wieder mein Gefühl, zu unserer Familie nicht dazuzugehören. Du hast mit Harry ein Agreement, kommst offenbar saugut mit ihm und seiner Familie klar. Er hat Joan übrigens auch nicht geheiratet.
Nur mich hast du schon vor meinem ersten Geburtstag zum Problemkind gemacht und mich aus der Rolle nicht mehr entlassen, bis ich ins Heim kam, bis du mich dann tatsächlich entlassen hast und ich ein Jugendhilfefall wurde, wie hunderte von Heimkindern auch, mit denen ich bisher zu tun hatte. Denk nicht, dass ein Internat etwas Besseres ist. Es ist ein stinknormaler Jugendhilfeträger nach SGB VIII 27/34, zu dem ich selbst völlig normal Kinder und Jugendliche verfügt habe. Kein Unterschied! Bilde dir nicht ein, dass du etwas Besseres für mich getan hast.
Und warum hatte ich kein eigenes Zimmer mehr, als ihr umgezogen seid, während ich im Internat war? Schau da mal hin! Ich musste mit fünfzehn Jahren zuhause ausziehen! Du hast mich aus der Familie geschmissen, weil ich auf einer Klassenfahrt angezogen im Zimmer eines Mädchens gewesen und mit ihr eingeschlafen bin. Hier in Bremen würde kein Jugendamt in so einem Fall Hilfen bewilligen, sondern dir ganz gehörig einheizen. Deshalb hast du es dann ja auch privat zahlen müssen, weil du den Gang zum Jugendamt gescheut hast. Aber das ändert nichts.
Und du willst hier auf glückliche Familie machen. Und dann willst du auch noch lästern und kritisieren und dich über andere stellen, wenn dir was nicht passt.
Allein durch die Lästerei ist nichts an der Familie mehr glücklich, sondern alle Beziehungen unecht und falsch.
Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll nach den letzten Erlebnissen mit dir und deinen Handlungen oder Aktionen. Ich kann dir kein nettes Wort mehr glauben, was du an mich richtest, weil ich mittlerweile erfahren habe, wie du hinter meinem Rücken über mich und meine Familie redest, und wie du uns nach Strich und Faden vor anderen denunzierst, kein Haar an uns lässt.
Dabei bin ich deins, aus dir heraus, eine Kopie von Dir und Vati.
Aber ich war ja das Versöhnungskind, welches jedoch keine Versöhnung mehr bewirkt hatte und daher auch immer schon wie aussätzig und nicht zur Familie gehörend behandelt und bei erster Gelegenheit zur „Reparatur“abgegeben wurde.
Kannst du dir vorstellen, wie ich mich gefühlt habe damals, was es für ein Weg war für mich, im Internat, und wie scheiße es war, der zu sein, der zuletzt kommt, seinen Job nicht angemessen erfüllt und daher auch zuerst wieder gehen kann? Ich kann nicht erkennen, dass du das kannst.
Ich habe dich bisher aus Rücksicht nicht mit meinen Problemen und Gedanken aus meiner Vergangenheit konfrontiert, sondern alles allein für mich gerade gerückt und mir ein gutes Leben eingerichtet. Aus lebenslanger von dir verlangter und erwarteter „Rücksicht“. Nie ging es um etwas anderes, als darum, warum wir dir etwas antun, und dass wir doch um Himmels willen Rücksicht auf unsere arme alleinerziehende Mutter zu nehmen haben.
Erwin hat mich fast die ganzen Jahre über regelmäßig geschlagen. Hast du auch nur die geringste Ahnung, was du uns mit diesem Schwein angetan hast? Viele lange Jahre habe ich immer wieder Schläge bekommen und du hast es hingenommen, weil er, wie du sagtest, ja nur mit uns nicht klargekommen ist. Mit dir hatte er ja nichts. Mensch, weißt du was du da gesagt hast?
Ich habe diesem Schwein für jede Gewalt an mir Geld geklaut. Zwanzig bis fünfzig Mark hat es ihn schon jedes Mal gekostet. Ich hatte viel Geld wegen vieler Ohrfeigen und vielen Schlägen. Das könnte dir einen Hinweis geben, was ich aushalten durfte.
Abschließendes Ergebnis: Ich kann ich dir nichts mehr erzählen. Von mir nicht, von meiner Familie nicht, von meiner Arbeit nicht, weil ich nicht sicher sein kann, dass du es nicht gegen mich verwendest.
Ich gehöre zu deiner Familie, nicht Sabine und Lutz, auch wenn du die lieber magst. Seine Kinder kann man sich eben genauso wenig aussuchen, wie seine Eltern.
Noch einmal wirst du es nicht schaffen, mir Stöcke zwischen die Beine zu werfen!
Es gäbe noch ziemlich viel, was ich dir noch gerne mal sagen oder schreiben würde. Du glaubst nicht, wie sehr ich mich im Sinne eines guten Verhältnisses zurückhalte.
Und mit Hans verheimlichst du auch irgendwas, ich weiß nicht genau, was es ist, aber du hast mit dem ständigen Streit mit ihm auch etwas zu tun. In dem Punkt bin ich mir sicher. Mal sehen, was Carola, deine Nachbarin, oder die Anwältin oder Hans mir erzählen werden. Soll ich auch in deinem Leben einmal umherwildern und dich schlecht machen vor allen anderen?
Ich denke, ich habe mich in den letzten Jahren selbst belogen. Geglaubt, dass du irgendwann mal selbst merkst, was ich alles für dich mache und ebenso, dass du auch mal Verantwortung für deine Entscheidungen von damals übernimmst. (du hast einem fünfzehnjährigen Kind die Schuld gelassen und es rausgeworfen.)
Ich habe gehofft, dass einmal alles ehrlich wahrhaftig und wirklich nah und liebend wird. Aber das kommt dann wohl doch nicht mehr…
Zum Glück habe ich jetzt meine eigene Familie. Meinen Sohn und meine Frau, zwei Menschen, die mir dann eben später noch beigebracht haben, was Liebe ist. Von dir habe ich es so nicht lernen können, weil du es selbst nicht kannst. Oder aber von Liebe eine völlig andere Vorstellung hast, die ich nicht nachvollziehen kann.
Vielleicht tauschen wir uns ja mal darüber aus, was ich dir gerade an den Kopf werfe. Vielleicht schaffen wir das aber auch nicht mehr, weil unsere Zeit dafür abläuft.
Wie kannst du nur so hassen?
Ich erwarte nichts von dir, verlange nichts und sehe nichts, was du aus freien Stücken bereit bist zu geben. Und das ist sehr wenig.
Gruß, dein Sohn, dein Sohn, dein Sohn!