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13. Erleichterung
ОглавлениеEin gutes Gefühl, diesen ganzen Mist aus meinem Kopf heraus zu haben, in Form von Buchstaben, Worten und Sätzen. Kotzbrocken zusammengebrüllter innerer Aufruhr – es gibt beim Schreiben kein Wort fürs Brüllen – ich war wirklich sauer. Und es war mir nicht genug, diese harsche Kritik nun zu speichern und dann im geeigneten Moment mit Blümchen verziert bei einem netten Beisammensein am Rande der üblichen Belanglosigkeiten fallen zu lassen. Nein, ich wollte ihr eine verpassen. Wollte sie wachrütteln, ihr Spiel anzeigen. Sie mit dem, was sie tut, konfrontieren. Eben mit all den vielen Kleinigkeiten, unter denen ich früher schon ziemlich gelitten habe. Es gehörte auch irgendwie alles zusammen. Bis heute, vier Jahre nach ihrem Tod wabern die Nachwirkungen um mich herum, wie Bodennebel.
Keine Beschönigungen also, kein pädagogisches Weichspülen, nicht immer nur Rücksicht, Rücksicht. Wer nimmt auf mich Rücksicht? Noch mal gelesen, Fehler verbessert, die eine oder andere Unverständlichkeit anders formuliert, aber die Wut drin gelassen.
Rein in die Posttüte, Marke drauf und weg damit zur Post. Wenn du das gelesen hast, liebe Mutter, wirst du vielleicht auch mal reden wollen. Oder nie wieder.
Ich wollte das wirklich klären. Meine Ma hatte zwei Seiten. Einerseits trieb sie ihre Spiele, wie beispielsweise jedem die Verhaltensweisen ihrer „Gegnertäter“ möglichst blutig zu beschreiben. Schilderungen der eigenen Handlungen hingegen betonten natürlich die arme unterdrückte Opferrolle, in die man sie hineinzwingt. Sie erreichte damit erfolgreich beim anderen ein Höchstmaß an Folgendem:
a: Aufmerksamkeit | b: Mitgefühl | c: Verständnis | d: Hilfsbereitschaft
Außerhalb dieser Spiele war sie aber auch eine sensible Frau mit hoher pädagogischer Kompetenz. Eine menschliche, mitfühlende und sehr intelligente emotionale Frau. Folglich musste sie so einen Brief auch mal abkönnen. Wir werden reden. Muss doch gehen.
Rainer, ein guter Bekannter, sagte später, als ich ihm davon erzählte:
„Was willst du nur mit der alten Frau noch besprechen. Du musst Derartiges mit dir selbst abklären und loslassen. Der Schmerz ist in dir und deine Ma kann ihn dir jetzt auch nicht mehr nehmen.“
Da hat er Recht, das muss ich zugeben, stand aber weiter dazu, wenigstens den Versuch zu unternehmen, eben auch jetzt noch mit einer alten Dame wie ihr zu sprechen. Und wenn sie auch an der Vergangenheit nichts mehr ändern kann, was mir natürlich auch klar ist, besteht doch immerhin die Gelegenheit, in Zukunft mal ehrlicher, offener und wertschätzender miteinander umzugehen.
Gruselig, wirklich gruselig ist, dass ich am Ende des Briefes so polemisch geschrieben habe, dass wir nicht warten sollten, diese Probleme zu klären. Man wisse nie wie viel Zeit noch bliebe…
Wenige Tage später trug man meine Ma leblos aus ihrer Wohnung. Wir werden das nicht mehr klären. Garnichts mehr.